weniger als die Verfassungen und Sitten der Völker, ihre Abstammung und Verwandtschaften, die Gründungen der Staaten und der Städte, ohne das mythische zu ver- achten, welches in der Geschichte der Alten, wie in jeder die aus einheimischen Sagen und durch einheimische Ge- schichtschreiber begonnen hat, nirgends durch eine scharfe Linie von den historischen Erzählungen abgesondert wird. Seine Quellen waren Bücher, von Griechen und Einge- bohrnen in griechischer Sprache geschrieben, und Erkundi- gungen und mündliche Erzählungen: von jenen ver- schwand vieles, was er über Italien lesen konnte, in den späteren Verheerungen; jüngere Schriftsteller übersahen gleichgültig was von Chroniken ohne Nahmen noch er- halten seyn mochte: diese gaben eine reiche und lautre Ausbeute für den forschenden Frager, der zu Athen alle Vortheile genoß, welche einer Seestadt voll Verkehr un- ersetzliche Reize für den Liebhaber der Völkergeschichte geben.
Weit weniger geistreich und vielseitig war allerdings, aber unmittelbar und auf jeden einzelnen Gegenstand dieser Geschichte gerichtet, das in sieben Büchern abgefaßte histo- rische Werk des censorischen Cato, worin er, neben einer, wie es scheint, zusammenhängend von Erbauung der Stadt bis auf seine Tage herabgeführten Geschichte Roms, die Ab- stammung der Völker, die Gründung der Städte Italiens verzeichnete. Man darf bey diesem ächtalten Römer Aristoteles Gabe der Forschung und Läuterung der Wahr- heit so wenig voraussetzen, als seinen Durst nach Kennt- niß jeder Art, sein nie ermüdetes Interesse, und alle Vor-
weniger als die Verfaſſungen und Sitten der Voͤlker, ihre Abſtammung und Verwandtſchaften, die Gruͤndungen der Staaten und der Staͤdte, ohne das mythiſche zu ver- achten, welches in der Geſchichte der Alten, wie in jeder die aus einheimiſchen Sagen und durch einheimiſche Ge- ſchichtſchreiber begonnen hat, nirgends durch eine ſcharfe Linie von den hiſtoriſchen Erzaͤhlungen abgeſondert wird. Seine Quellen waren Buͤcher, von Griechen und Einge- bohrnen in griechiſcher Sprache geſchrieben, und Erkundi- gungen und muͤndliche Erzaͤhlungen: von jenen ver- ſchwand vieles, was er uͤber Italien leſen konnte, in den ſpaͤteren Verheerungen; juͤngere Schriftſteller uͤberſahen gleichguͤltig was von Chroniken ohne Nahmen noch er- halten ſeyn mochte: dieſe gaben eine reiche und lautre Ausbeute fuͤr den forſchenden Frager, der zu Athen alle Vortheile genoß, welche einer Seeſtadt voll Verkehr un- erſetzliche Reize fuͤr den Liebhaber der Voͤlkergeſchichte geben.
Weit weniger geiſtreich und vielſeitig war allerdings, aber unmittelbar und auf jeden einzelnen Gegenſtand dieſer Geſchichte gerichtet, das in ſieben Buͤchern abgefaßte hiſto- riſche Werk des cenſoriſchen Cato, worin er, neben einer, wie es ſcheint, zuſammenhaͤngend von Erbauung der Stadt bis auf ſeine Tage herabgefuͤhrten Geſchichte Roms, die Ab- ſtammung der Voͤlker, die Gruͤndung der Staͤdte Italiens verzeichnete. Man darf bey dieſem aͤchtalten Roͤmer Ariſtoteles Gabe der Forſchung und Laͤuterung der Wahr- heit ſo wenig vorausſetzen, als ſeinen Durſt nach Kennt- niß jeder Art, ſein nie ermuͤdetes Intereſſe, und alle Vor-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0043"n="21"/>
weniger als die Verfaſſungen und Sitten der Voͤlker, ihre<lb/>
Abſtammung und Verwandtſchaften, die Gruͤndungen<lb/>
der Staaten und der Staͤdte, ohne das mythiſche zu ver-<lb/>
achten, welches in der Geſchichte der Alten, wie in jeder<lb/>
die aus einheimiſchen Sagen und durch einheimiſche Ge-<lb/>ſchichtſchreiber begonnen hat, nirgends durch eine ſcharfe<lb/>
Linie von den hiſtoriſchen Erzaͤhlungen abgeſondert wird.<lb/>
Seine Quellen waren Buͤcher, von Griechen und Einge-<lb/>
bohrnen in griechiſcher Sprache geſchrieben, und Erkundi-<lb/>
gungen und muͤndliche Erzaͤhlungen: von jenen ver-<lb/>ſchwand vieles, was er uͤber Italien leſen konnte, in den<lb/>ſpaͤteren Verheerungen; juͤngere Schriftſteller uͤberſahen<lb/>
gleichguͤltig was von Chroniken ohne Nahmen noch er-<lb/>
halten ſeyn mochte: dieſe gaben eine reiche und lautre<lb/>
Ausbeute fuͤr den forſchenden Frager, der zu Athen alle<lb/>
Vortheile genoß, welche einer Seeſtadt voll Verkehr un-<lb/>
erſetzliche Reize fuͤr den Liebhaber der Voͤlkergeſchichte<lb/>
geben.</p><lb/><p>Weit weniger geiſtreich und vielſeitig war allerdings,<lb/>
aber unmittelbar und auf jeden einzelnen Gegenſtand dieſer<lb/>
Geſchichte gerichtet, das in ſieben Buͤchern abgefaßte hiſto-<lb/>
riſche Werk des cenſoriſchen Cato, worin er, neben einer,<lb/>
wie es ſcheint, zuſammenhaͤngend von Erbauung der Stadt<lb/>
bis auf ſeine Tage herabgefuͤhrten Geſchichte Roms, die Ab-<lb/>ſtammung der Voͤlker, die Gruͤndung der Staͤdte Italiens<lb/>
verzeichnete. Man darf bey dieſem aͤchtalten Roͤmer<lb/>
Ariſtoteles Gabe der Forſchung und Laͤuterung der Wahr-<lb/>
heit ſo wenig vorausſetzen, als ſeinen Durſt nach Kennt-<lb/>
niß jeder Art, ſein nie ermuͤdetes Intereſſe, und alle Vor-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[21/0043]
weniger als die Verfaſſungen und Sitten der Voͤlker, ihre
Abſtammung und Verwandtſchaften, die Gruͤndungen
der Staaten und der Staͤdte, ohne das mythiſche zu ver-
achten, welches in der Geſchichte der Alten, wie in jeder
die aus einheimiſchen Sagen und durch einheimiſche Ge-
ſchichtſchreiber begonnen hat, nirgends durch eine ſcharfe
Linie von den hiſtoriſchen Erzaͤhlungen abgeſondert wird.
Seine Quellen waren Buͤcher, von Griechen und Einge-
bohrnen in griechiſcher Sprache geſchrieben, und Erkundi-
gungen und muͤndliche Erzaͤhlungen: von jenen ver-
ſchwand vieles, was er uͤber Italien leſen konnte, in den
ſpaͤteren Verheerungen; juͤngere Schriftſteller uͤberſahen
gleichguͤltig was von Chroniken ohne Nahmen noch er-
halten ſeyn mochte: dieſe gaben eine reiche und lautre
Ausbeute fuͤr den forſchenden Frager, der zu Athen alle
Vortheile genoß, welche einer Seeſtadt voll Verkehr un-
erſetzliche Reize fuͤr den Liebhaber der Voͤlkergeſchichte
geben.
Weit weniger geiſtreich und vielſeitig war allerdings,
aber unmittelbar und auf jeden einzelnen Gegenſtand dieſer
Geſchichte gerichtet, das in ſieben Buͤchern abgefaßte hiſto-
riſche Werk des cenſoriſchen Cato, worin er, neben einer,
wie es ſcheint, zuſammenhaͤngend von Erbauung der Stadt
bis auf ſeine Tage herabgefuͤhrten Geſchichte Roms, die Ab-
ſtammung der Voͤlker, die Gruͤndung der Staͤdte Italiens
verzeichnete. Man darf bey dieſem aͤchtalten Roͤmer
Ariſtoteles Gabe der Forſchung und Laͤuterung der Wahr-
heit ſo wenig vorausſetzen, als ſeinen Durſt nach Kennt-
niß jeder Art, ſein nie ermuͤdetes Intereſſe, und alle Vor-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/43>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.