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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Diese Ansicht bald enger bald weitläuftiger gefaßt stand
vor den Augen vieler edeln Männer des Alterthums die je-
des Zinsgewerbe verabscheuten und die Schuldenlasten mit
Gewalt anzugreifen sich nicht fürchteten. Aber sie verga-
ßen daß die Entscheidung der einzelnen Fälle ein über-
menschliches Werk seyn würde, und allgemeine Regeln in
solchen Fällen einen Mißbrauch und Ungerechtigkeiten ge-
bähren für die der Staat verantwortlich ist, während die
strenge Anwendung des nackten Rechts nur unvermeid-
liche Unfälle verursacht die von keinem positiven Recht zu
trennen sind, dessen unbedingte Heiligkeit uns doch allein
gegen Despotismus schützt; ein Schutz für den kein
Opfer zu groß ist.

Es scheint daß die Vermögenssteuer zu Rom von dem
einmal geschätzten Vermögen, und von dem steuerfähigen
Eigenthum an liegenden Gründen, auch dann entrichtet
ward wenn dieses Eigenthum durch contrahirte Schulden
verschlungen war. Das ist bey jeder Grundsteuer unver-
meidlich, und das römische Tributum hatte viel mehr von
dieser als von einem Kapitalschoß. Auch würden Abän-
derungen die fortwährende Thätigkeit einer beständigen
Behörde vorausgesetzt haben, welche jährlich die An-
gabe der eingetretenen Veränderungen angenommen hät-
te, und dadurch wären die periodischen Schätzungen
der Censur überflüssig und zwecklos geworden. Vielmehr
scheint es nothwendige Folge derselben gewesen zu seyn
daß die Steuerpflichtigkeit persönlich auch von veräußer-
ten steuerbaren Gegenständen von einer Schätzung zur an-
dern für den fortdauerte, welcher sie bey der letzten in sei-

Dieſe Anſicht bald enger bald weitlaͤuftiger gefaßt ſtand
vor den Augen vieler edeln Maͤnner des Alterthums die je-
des Zinsgewerbe verabſcheuten und die Schuldenlaſten mit
Gewalt anzugreifen ſich nicht fuͤrchteten. Aber ſie verga-
ßen daß die Entſcheidung der einzelnen Faͤlle ein uͤber-
menſchliches Werk ſeyn wuͤrde, und allgemeine Regeln in
ſolchen Faͤllen einen Mißbrauch und Ungerechtigkeiten ge-
baͤhren fuͤr die der Staat verantwortlich iſt, waͤhrend die
ſtrenge Anwendung des nackten Rechts nur unvermeid-
liche Unfaͤlle verurſacht die von keinem poſitiven Recht zu
trennen ſind, deſſen unbedingte Heiligkeit uns doch allein
gegen Despotismus ſchuͤtzt; ein Schutz fuͤr den kein
Opfer zu groß iſt.

Es ſcheint daß die Vermoͤgensſteuer zu Rom von dem
einmal geſchaͤtzten Vermoͤgen, und von dem ſteuerfaͤhigen
Eigenthum an liegenden Gruͤnden, auch dann entrichtet
ward wenn dieſes Eigenthum durch contrahirte Schulden
verſchlungen war. Das iſt bey jeder Grundſteuer unver-
meidlich, und das roͤmiſche Tributum hatte viel mehr von
dieſer als von einem Kapitalſchoß. Auch wuͤrden Abaͤn-
derungen die fortwaͤhrende Thaͤtigkeit einer beſtaͤndigen
Behoͤrde vorausgeſetzt haben, welche jaͤhrlich die An-
gabe der eingetretenen Veraͤnderungen angenommen haͤt-
te, und dadurch waͤren die periodiſchen Schaͤtzungen
der Cenſur uͤberfluͤſſig und zwecklos geworden. Vielmehr
ſcheint es nothwendige Folge derſelben geweſen zu ſeyn
daß die Steuerpflichtigkeit perſoͤnlich auch von veraͤußer-
ten ſteuerbaren Gegenſtaͤnden von einer Schaͤtzung zur an-
dern fuͤr den fortdauerte, welcher ſie bey der letzten in ſei-

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[398/0420] Dieſe Anſicht bald enger bald weitlaͤuftiger gefaßt ſtand vor den Augen vieler edeln Maͤnner des Alterthums die je- des Zinsgewerbe verabſcheuten und die Schuldenlaſten mit Gewalt anzugreifen ſich nicht fuͤrchteten. Aber ſie verga- ßen daß die Entſcheidung der einzelnen Faͤlle ein uͤber- menſchliches Werk ſeyn wuͤrde, und allgemeine Regeln in ſolchen Faͤllen einen Mißbrauch und Ungerechtigkeiten ge- baͤhren fuͤr die der Staat verantwortlich iſt, waͤhrend die ſtrenge Anwendung des nackten Rechts nur unvermeid- liche Unfaͤlle verurſacht die von keinem poſitiven Recht zu trennen ſind, deſſen unbedingte Heiligkeit uns doch allein gegen Despotismus ſchuͤtzt; ein Schutz fuͤr den kein Opfer zu groß iſt. Es ſcheint daß die Vermoͤgensſteuer zu Rom von dem einmal geſchaͤtzten Vermoͤgen, und von dem ſteuerfaͤhigen Eigenthum an liegenden Gruͤnden, auch dann entrichtet ward wenn dieſes Eigenthum durch contrahirte Schulden verſchlungen war. Das iſt bey jeder Grundſteuer unver- meidlich, und das roͤmiſche Tributum hatte viel mehr von dieſer als von einem Kapitalſchoß. Auch wuͤrden Abaͤn- derungen die fortwaͤhrende Thaͤtigkeit einer beſtaͤndigen Behoͤrde vorausgeſetzt haben, welche jaͤhrlich die An- gabe der eingetretenen Veraͤnderungen angenommen haͤt- te, und dadurch waͤren die periodiſchen Schaͤtzungen der Cenſur uͤberfluͤſſig und zwecklos geworden. Vielmehr ſcheint es nothwendige Folge derſelben geweſen zu ſeyn daß die Steuerpflichtigkeit perſoͤnlich auch von veraͤußer- ten ſteuerbaren Gegenſtaͤnden von einer Schaͤtzung zur an- dern fuͤr den fortdauerte, welcher ſie bey der letzten in ſei-

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/420>, abgerufen am 24.11.2024.