zelne Vergehung. Ist dieses bey der Clientel denkbar, welche dem Patricier die Pflicht des Schutzes, noch mehr die Ausübung der Liebespflichten gegen seine eignen Clien- ten gebot? Kann man sich wenigstens die Ausartung all- gemein denken, und so verbreitet daß sich das gesammte Volk zum Aufstand entschlossen hätte, da doch jeden, dessen Patron mit leidlicher Gutartigkeit verfuhr, die heilige und schwer verpönte Ehrerbietung gegen seinen Schutzherrn zurückhalten mußte, wider den er nicht einmal stimmen durste ohne sich des Todes schuldig zu machen? Hätten Clienten, wenn man nicht eine undenkbare Gewissenlosig- keit der Patrone annehmen will, einen andern Schutz als den ihrigen, hätten sie je den der Volkstribune bedürfen können? Und wie hätten in den Volksversammlungen Be- schlüsse gegen das Interesse der Patricier gefaßt werden können, welches die Sache jedes Patrons war, und wo jeder Patron die Beleidigung an seinem Clienten ahnden konnte, der durch solche Gewissenlosigkeit gesetzlich ge- ächtet war.
Die zuletzt aus Livius angeführte Stelle beweis't, daß die Clienten der Patricier in den Versammlungen der Tri- bus nicht erschienen und stimmten. Wären sie in diesen, wenn auch nicht in überwiegender Zahl, mit den Plebejern vermischt gewesen, so konnten die Patricier durch das Publilische Gesetz nicht allen Einfluß auf die tribunicischen Wahlen ganz und gar verlieren. Ihrer Stimmen waren sie durch die heiligsten Pflichten und unerschütterliche Ge- wohnheit versichert; und das kann nicht gefehlt haben daß sie nicht auf einen Theil der Plebejer persönlichen Einfluß
zelne Vergehung. Iſt dieſes bey der Clientel denkbar, welche dem Patricier die Pflicht des Schutzes, noch mehr die Ausuͤbung der Liebespflichten gegen ſeine eignen Clien- ten gebot? Kann man ſich wenigſtens die Ausartung all- gemein denken, und ſo verbreitet daß ſich das geſammte Volk zum Aufſtand entſchloſſen haͤtte, da doch jeden, deſſen Patron mit leidlicher Gutartigkeit verfuhr, die heilige und ſchwer verpoͤnte Ehrerbietung gegen ſeinen Schutzherrn zuruͤckhalten mußte, wider den er nicht einmal ſtimmen durſte ohne ſich des Todes ſchuldig zu machen? Haͤtten Clienten, wenn man nicht eine undenkbare Gewiſſenloſig- keit der Patrone annehmen will, einen andern Schutz als den ihrigen, haͤtten ſie je den der Volkstribune beduͤrfen koͤnnen? Und wie haͤtten in den Volksverſammlungen Be- ſchluͤſſe gegen das Intereſſe der Patricier gefaßt werden koͤnnen, welches die Sache jedes Patrons war, und wo jeder Patron die Beleidigung an ſeinem Clienten ahnden konnte, der durch ſolche Gewiſſenloſigkeit geſetzlich ge- aͤchtet war.
Die zuletzt aus Livius angefuͤhrte Stelle beweiſ’t, daß die Clienten der Patricier in den Verſammlungen der Tri- bus nicht erſchienen und ſtimmten. Waͤren ſie in dieſen, wenn auch nicht in uͤberwiegender Zahl, mit den Plebejern vermiſcht geweſen, ſo konnten die Patricier durch das Publiliſche Geſetz nicht allen Einfluß auf die tribuniciſchen Wahlen ganz und gar verlieren. Ihrer Stimmen waren ſie durch die heiligſten Pflichten und unerſchuͤtterliche Ge- wohnheit verſichert; und das kann nicht gefehlt haben daß ſie nicht auf einen Theil der Plebejer perſoͤnlichen Einfluß
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0405"n="383"/>
zelne Vergehung. Iſt dieſes bey der Clientel denkbar,<lb/>
welche dem Patricier die Pflicht des Schutzes, noch mehr<lb/>
die Ausuͤbung der Liebespflichten gegen ſeine eignen Clien-<lb/>
ten gebot? Kann man ſich wenigſtens die Ausartung all-<lb/>
gemein denken, und ſo verbreitet daß ſich das geſammte<lb/>
Volk zum Aufſtand entſchloſſen haͤtte, da doch jeden, deſſen<lb/>
Patron mit leidlicher Gutartigkeit verfuhr, die heilige und<lb/>ſchwer verpoͤnte Ehrerbietung gegen ſeinen Schutzherrn<lb/>
zuruͤckhalten mußte, wider den er nicht einmal ſtimmen<lb/>
durſte ohne ſich des Todes ſchuldig zu machen? Haͤtten<lb/>
Clienten, wenn man nicht eine undenkbare Gewiſſenloſig-<lb/>
keit der Patrone annehmen will, einen andern Schutz als<lb/>
den ihrigen, haͤtten ſie je den der Volkstribune beduͤrfen<lb/>
koͤnnen? Und wie haͤtten in den Volksverſammlungen Be-<lb/>ſchluͤſſe gegen das Intereſſe der Patricier gefaßt werden<lb/>
koͤnnen, welches die Sache jedes Patrons war, und wo<lb/>
jeder Patron die Beleidigung an ſeinem Clienten ahnden<lb/>
konnte, der durch ſolche Gewiſſenloſigkeit geſetzlich ge-<lb/>
aͤchtet war.</p><lb/><p>Die zuletzt aus Livius angefuͤhrte Stelle beweiſ’t, daß<lb/>
die Clienten der Patricier in den Verſammlungen der Tri-<lb/>
bus nicht erſchienen und ſtimmten. Waͤren ſie in dieſen,<lb/>
wenn auch nicht in uͤberwiegender Zahl, mit den Plebejern<lb/>
vermiſcht geweſen, ſo konnten die Patricier durch das<lb/>
Publiliſche Geſetz nicht allen Einfluß auf die tribuniciſchen<lb/>
Wahlen ganz und gar verlieren. Ihrer Stimmen waren<lb/>ſie durch die heiligſten Pflichten und unerſchuͤtterliche Ge-<lb/>
wohnheit verſichert; und das kann nicht gefehlt haben daß<lb/>ſie nicht auf einen Theil der Plebejer perſoͤnlichen Einfluß<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[383/0405]
zelne Vergehung. Iſt dieſes bey der Clientel denkbar,
welche dem Patricier die Pflicht des Schutzes, noch mehr
die Ausuͤbung der Liebespflichten gegen ſeine eignen Clien-
ten gebot? Kann man ſich wenigſtens die Ausartung all-
gemein denken, und ſo verbreitet daß ſich das geſammte
Volk zum Aufſtand entſchloſſen haͤtte, da doch jeden, deſſen
Patron mit leidlicher Gutartigkeit verfuhr, die heilige und
ſchwer verpoͤnte Ehrerbietung gegen ſeinen Schutzherrn
zuruͤckhalten mußte, wider den er nicht einmal ſtimmen
durſte ohne ſich des Todes ſchuldig zu machen? Haͤtten
Clienten, wenn man nicht eine undenkbare Gewiſſenloſig-
keit der Patrone annehmen will, einen andern Schutz als
den ihrigen, haͤtten ſie je den der Volkstribune beduͤrfen
koͤnnen? Und wie haͤtten in den Volksverſammlungen Be-
ſchluͤſſe gegen das Intereſſe der Patricier gefaßt werden
koͤnnen, welches die Sache jedes Patrons war, und wo
jeder Patron die Beleidigung an ſeinem Clienten ahnden
konnte, der durch ſolche Gewiſſenloſigkeit geſetzlich ge-
aͤchtet war.
Die zuletzt aus Livius angefuͤhrte Stelle beweiſ’t, daß
die Clienten der Patricier in den Verſammlungen der Tri-
bus nicht erſchienen und ſtimmten. Waͤren ſie in dieſen,
wenn auch nicht in uͤberwiegender Zahl, mit den Plebejern
vermiſcht geweſen, ſo konnten die Patricier durch das
Publiliſche Geſetz nicht allen Einfluß auf die tribuniciſchen
Wahlen ganz und gar verlieren. Ihrer Stimmen waren
ſie durch die heiligſten Pflichten und unerſchuͤtterliche Ge-
wohnheit verſichert; und das kann nicht gefehlt haben daß
ſie nicht auf einen Theil der Plebejer perſoͤnlichen Einfluß
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 383. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/405>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.