Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

wie in allen ähnlichen Fällen Gefühle und Urtheile ge-
trennt seyn mußten: und ihr wollte Valerius durch das
Gesetz von der Provocation ein Ziel setzen. Für bürger-
liche Verbrechen bestimmten die Gesetze andre Arten der
Todesstrafe: gewöhnlich den Strick. Vergehungen gegen
die Nation und die höchste Gewalt des Staats wurden mi-
litärisch, durch Streiche und Enthauptung geahndet.
Von dem Valerischen Gesetz, welches die Ausführung
eines solchen Urtheilsspruchs untersagte wenn der Ver-
dammte an das Gericht des Volks provocirte, sagt Livius
an zwey entscheidenden Stellen daß es zum Vortheil der
Plebs gegeben ward 2). Dennoch scheint es, da selbst
der senatorische Charakter nicht heilig war, daß ein Con-
sul, wenn er von dem wüthenden Gemüth getrieben ward
welches in den älteren Tagen der Republik mehrere zu den
grausamsten Gewaltthätigkeiten hinriß, einen ihm ver-
haßten Patricier, selbst einen Senator, nicht mehr als
einen Plebejer verschont haben werde, wenn ihn nicht
furchtbare Strafen zurückhielten. Man muß also anneh-
men daß die Patricier das Recht der Provocation an ihre
Gemeinde (das Gericht ihrer Pairs) schon besaßen, wel-
ches jetzt den Plebejern zugesichert ward: deren Provoca-
tion, weil das Tribunat eigentlich zu seiner Handhabung

2) III. c. 55. Cum plebem hinc provocatione, hinc tribu-
nicio auxilio satis firmassent
(die Consuln L. Valerius und
M. Horatius) und c. 56. fundata deinde plebis libertate.
X. c. 9. M. Valerius Consul de provocatione legem tu-
lit. -- Tertio tum lata est, semper a familia eadem. Cau-
sam renovandae saepius haud aliam fuisse reor, quam quod
plus paucorum opes quam libertas plebis poterant.

wie in allen aͤhnlichen Faͤllen Gefuͤhle und Urtheile ge-
trennt ſeyn mußten: und ihr wollte Valerius durch das
Geſetz von der Provocation ein Ziel ſetzen. Fuͤr buͤrger-
liche Verbrechen beſtimmten die Geſetze andre Arten der
Todesſtrafe: gewoͤhnlich den Strick. Vergehungen gegen
die Nation und die hoͤchſte Gewalt des Staats wurden mi-
litaͤriſch, durch Streiche und Enthauptung geahndet.
Von dem Valeriſchen Geſetz, welches die Ausfuͤhrung
eines ſolchen Urtheilsſpruchs unterſagte wenn der Ver-
dammte an das Gericht des Volks provocirte, ſagt Livius
an zwey entſcheidenden Stellen daß es zum Vortheil der
Plebs gegeben ward 2). Dennoch ſcheint es, da ſelbſt
der ſenatoriſche Charakter nicht heilig war, daß ein Con-
ſul, wenn er von dem wuͤthenden Gemuͤth getrieben ward
welches in den aͤlteren Tagen der Republik mehrere zu den
grauſamſten Gewaltthaͤtigkeiten hinriß, einen ihm ver-
haßten Patricier, ſelbſt einen Senator, nicht mehr als
einen Plebejer verſchont haben werde, wenn ihn nicht
furchtbare Strafen zuruͤckhielten. Man muß alſo anneh-
men daß die Patricier das Recht der Provocation an ihre
Gemeinde (das Gericht ihrer Pairs) ſchon beſaßen, wel-
ches jetzt den Plebejern zugeſichert ward: deren Provoca-
tion, weil das Tribunat eigentlich zu ſeiner Handhabung

2) III. c. 55. Cum plebem hinc provocatione, hinc tribu-
nicio auxilio satis firmassent
(die Conſuln L. Valerius und
M. Horatius) und c. 56. fundata deinde plebis libertate.
X. c. 9. M. Valerius Consul de provocatione legem tu-
lit. — Tertio tum lata est, semper a familia eadem. Cau-
sam renovandæ sæpius haud aliam fuisse reor, quam quod
plus paucorum opes quam libertas plebis poterant.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="340"/>
wie in allen a&#x0364;hnlichen Fa&#x0364;llen Gefu&#x0364;hle und Urtheile ge-<lb/>
trennt &#x017F;eyn mußten: und ihr wollte Valerius durch das<lb/>
Ge&#x017F;etz von der Provocation ein Ziel &#x017F;etzen. Fu&#x0364;r bu&#x0364;rger-<lb/>
liche Verbrechen be&#x017F;timmten die Ge&#x017F;etze andre Arten der<lb/>
Todes&#x017F;trafe: gewo&#x0364;hnlich den Strick. Vergehungen gegen<lb/>
die Nation und die ho&#x0364;ch&#x017F;te Gewalt des Staats wurden mi-<lb/>
lita&#x0364;ri&#x017F;ch, durch Streiche und Enthauptung geahndet.<lb/>
Von dem Valeri&#x017F;chen Ge&#x017F;etz, welches die Ausfu&#x0364;hrung<lb/>
eines &#x017F;olchen Urtheils&#x017F;pruchs unter&#x017F;agte wenn der Ver-<lb/>
dammte an das Gericht des Volks provocirte, &#x017F;agt Livius<lb/>
an zwey ent&#x017F;cheidenden Stellen daß es zum Vortheil der<lb/>
Plebs gegeben ward <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">III. c. 55. Cum <hi rendition="#i">plebem</hi> hinc provocatione, hinc tribu-<lb/>
nicio auxilio satis firmassent</hi> (die Con&#x017F;uln L. Valerius und<lb/>
M. Horatius) und <hi rendition="#aq">c. 56. fundata deinde <hi rendition="#i">plebis</hi> libertate.<lb/>
X. c. 9. M. Valerius Consul de provocatione legem tu-<lb/>
lit. &#x2014; Tertio tum lata est, semper a familia eadem. Cau-<lb/>
sam renovandæ sæpius haud aliam fuisse reor, quam quod<lb/>
plus paucorum opes quam libertas <hi rendition="#i">plebis</hi> poterant.</hi></note>. Dennoch &#x017F;cheint es, da &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
der &#x017F;enatori&#x017F;che Charakter nicht heilig war, daß ein Con-<lb/>
&#x017F;ul, wenn er von dem wu&#x0364;thenden Gemu&#x0364;th getrieben ward<lb/>
welches in den a&#x0364;lteren Tagen der Republik mehrere zu den<lb/>
grau&#x017F;am&#x017F;ten Gewalttha&#x0364;tigkeiten hinriß, einen ihm ver-<lb/>
haßten Patricier, &#x017F;elb&#x017F;t einen Senator, nicht mehr als<lb/>
einen Plebejer ver&#x017F;chont haben werde, wenn ihn nicht<lb/>
furchtbare Strafen zuru&#x0364;ckhielten. Man muß al&#x017F;o anneh-<lb/>
men daß die Patricier das Recht der Provocation an ihre<lb/>
Gemeinde (das Gericht ihrer Pairs) &#x017F;chon be&#x017F;aßen, wel-<lb/>
ches jetzt den Plebejern zuge&#x017F;ichert ward: deren Provoca-<lb/>
tion, weil das Tribunat eigentlich zu &#x017F;einer Handhabung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[340/0362] wie in allen aͤhnlichen Faͤllen Gefuͤhle und Urtheile ge- trennt ſeyn mußten: und ihr wollte Valerius durch das Geſetz von der Provocation ein Ziel ſetzen. Fuͤr buͤrger- liche Verbrechen beſtimmten die Geſetze andre Arten der Todesſtrafe: gewoͤhnlich den Strick. Vergehungen gegen die Nation und die hoͤchſte Gewalt des Staats wurden mi- litaͤriſch, durch Streiche und Enthauptung geahndet. Von dem Valeriſchen Geſetz, welches die Ausfuͤhrung eines ſolchen Urtheilsſpruchs unterſagte wenn der Ver- dammte an das Gericht des Volks provocirte, ſagt Livius an zwey entſcheidenden Stellen daß es zum Vortheil der Plebs gegeben ward 2). Dennoch ſcheint es, da ſelbſt der ſenatoriſche Charakter nicht heilig war, daß ein Con- ſul, wenn er von dem wuͤthenden Gemuͤth getrieben ward welches in den aͤlteren Tagen der Republik mehrere zu den grauſamſten Gewaltthaͤtigkeiten hinriß, einen ihm ver- haßten Patricier, ſelbſt einen Senator, nicht mehr als einen Plebejer verſchont haben werde, wenn ihn nicht furchtbare Strafen zuruͤckhielten. Man muß alſo anneh- men daß die Patricier das Recht der Provocation an ihre Gemeinde (das Gericht ihrer Pairs) ſchon beſaßen, wel- ches jetzt den Plebejern zugeſichert ward: deren Provoca- tion, weil das Tribunat eigentlich zu ſeiner Handhabung 2) III. c. 55. Cum plebem hinc provocatione, hinc tribu- nicio auxilio satis firmassent (die Conſuln L. Valerius und M. Horatius) und c. 56. fundata deinde plebis libertate. X. c. 9. M. Valerius Consul de provocatione legem tu- lit. — Tertio tum lata est, semper a familia eadem. Cau- sam renovandæ sæpius haud aliam fuisse reor, quam quod plus paucorum opes quam libertas plebis poterant.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/362
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/362>, abgerufen am 22.11.2024.