Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

schon alle zum Patriciat erhoben waren. Plebejer wa-
ren im Senat noch ehe sie das Militärtribunat erlang-
ten 93).

So lange aber ein Tarquinius die höchste Gewalt
theilte, so lange mußte die Republik in Gefahr scheinen
Ansprüche und heimliche Unternehmungen auf die Herstel-
lung der Königswürde für diese Linie zu erfahren, bey der
sich die Anhänger der Verbannten mit denen vereinigen
konnten die, der Republikanischen Regierung abhold, doch
mit dem alten Fürsten unversöhnlich waren. Im Nahmen
des Vaterlands erklärte Brutus, kein Tarquinius könne
zu Rom gebieten: dies werde das Volk beschließen, und
Collatinus seine Würde nehmen wenn er ihr nicht frey-
willig entsagte: ihn verbannen wenn er nicht friedlich die
Stadt verließe. Nach langem Widerstand gab dieser nach,
legte sein Amt nieder, verließ Rom, unter dem Segen
und dem Dank der Mitbürger, reichlich entschädigt und
beschenkt, und begab sich nach Lavinium. Von ihm und
seinem Geschlecht ist die Rede nicht mehr.

Die Römische Revolution war, als Heilung des
Staats von einem bestimmt erkannten unleidlichen Uebel
mit großer Mäßigung und nur bis an die Gränzen der
Nothwendigkeit ausgeführt worden. Das Eigenthum des
Königs war noch unangetastet: aus Etrurien forderte die-
ser durch eine Gesandtschaft Auslieferung der beweglichen
Habe, und Befugniß die liegenden Gründe zu verkaufen;

93) Livius V. c. 12. von P. Licinius Calvus, nach ihm dem
ersten plebejischen Militärtribun: vir nullis ante honoribus
usus, vetus tantum senator.

ſchon alle zum Patriciat erhoben waren. Plebejer wa-
ren im Senat noch ehe ſie das Militaͤrtribunat erlang-
ten 93).

So lange aber ein Tarquinius die hoͤchſte Gewalt
theilte, ſo lange mußte die Republik in Gefahr ſcheinen
Anſpruͤche und heimliche Unternehmungen auf die Herſtel-
lung der Koͤnigswuͤrde fuͤr dieſe Linie zu erfahren, bey der
ſich die Anhaͤnger der Verbannten mit denen vereinigen
konnten die, der Republikaniſchen Regierung abhold, doch
mit dem alten Fuͤrſten unverſoͤhnlich waren. Im Nahmen
des Vaterlands erklaͤrte Brutus, kein Tarquinius koͤnne
zu Rom gebieten: dies werde das Volk beſchließen, und
Collatinus ſeine Wuͤrde nehmen wenn er ihr nicht frey-
willig entſagte: ihn verbannen wenn er nicht friedlich die
Stadt verließe. Nach langem Widerſtand gab dieſer nach,
legte ſein Amt nieder, verließ Rom, unter dem Segen
und dem Dank der Mitbuͤrger, reichlich entſchaͤdigt und
beſchenkt, und begab ſich nach Lavinium. Von ihm und
ſeinem Geſchlecht iſt die Rede nicht mehr.

Die Roͤmiſche Revolution war, als Heilung des
Staats von einem beſtimmt erkannten unleidlichen Uebel
mit großer Maͤßigung und nur bis an die Graͤnzen der
Nothwendigkeit ausgefuͤhrt worden. Das Eigenthum des
Koͤnigs war noch unangetaſtet: aus Etrurien forderte die-
ſer durch eine Geſandtſchaft Auslieferung der beweglichen
Habe, und Befugniß die liegenden Gruͤnde zu verkaufen;

93) Livius V. c. 12. von P. Licinius Calvus, nach ihm dem
erſten plebejiſchen Militaͤrtribun: vir nullis ante honoribus
usus, vetus tantum senator.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="328"/>
&#x017F;chon alle zum Patriciat erhoben waren. Plebejer wa-<lb/>
ren im Senat noch ehe &#x017F;ie das Milita&#x0364;rtribunat erlang-<lb/>
ten <note place="foot" n="93)">Livius <hi rendition="#aq">V. c. 12.</hi> von P. Licinius Calvus, nach ihm dem<lb/>
er&#x017F;ten plebeji&#x017F;chen Milita&#x0364;rtribun: <hi rendition="#aq">vir nullis ante honoribus<lb/>
usus, vetus tantum senator.</hi></note>.</p><lb/>
          <p>So lange aber ein Tarquinius die ho&#x0364;ch&#x017F;te Gewalt<lb/>
theilte, &#x017F;o lange mußte die Republik in Gefahr &#x017F;cheinen<lb/>
An&#x017F;pru&#x0364;che und heimliche Unternehmungen auf die Her&#x017F;tel-<lb/>
lung der Ko&#x0364;nigswu&#x0364;rde fu&#x0364;r die&#x017F;e Linie zu erfahren, bey der<lb/>
&#x017F;ich die Anha&#x0364;nger der Verbannten mit denen vereinigen<lb/>
konnten die, der Republikani&#x017F;chen Regierung abhold, doch<lb/>
mit dem alten Fu&#x0364;r&#x017F;ten unver&#x017F;o&#x0364;hnlich waren. Im Nahmen<lb/>
des Vaterlands erkla&#x0364;rte Brutus, kein Tarquinius ko&#x0364;nne<lb/>
zu Rom gebieten: dies werde das Volk be&#x017F;chließen, und<lb/>
Collatinus &#x017F;eine Wu&#x0364;rde nehmen wenn er ihr nicht frey-<lb/>
willig ent&#x017F;agte: ihn verbannen wenn er nicht friedlich die<lb/>
Stadt verließe. Nach langem Wider&#x017F;tand gab die&#x017F;er nach,<lb/>
legte &#x017F;ein Amt nieder, verließ Rom, unter dem Segen<lb/>
und dem Dank der Mitbu&#x0364;rger, reichlich ent&#x017F;cha&#x0364;digt und<lb/>
be&#x017F;chenkt, und begab &#x017F;ich nach Lavinium. Von ihm und<lb/>
&#x017F;einem Ge&#x017F;chlecht i&#x017F;t die Rede nicht mehr.</p><lb/>
          <p>Die Ro&#x0364;mi&#x017F;che Revolution war, als Heilung des<lb/>
Staats von einem be&#x017F;timmt erkannten unleidlichen Uebel<lb/>
mit großer Ma&#x0364;ßigung und nur bis an die Gra&#x0364;nzen der<lb/>
Nothwendigkeit ausgefu&#x0364;hrt worden. Das Eigenthum des<lb/>
Ko&#x0364;nigs war noch unangeta&#x017F;tet: aus Etrurien forderte die-<lb/>
&#x017F;er durch eine Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft Auslieferung der beweglichen<lb/>
Habe, und Befugniß die liegenden Gru&#x0364;nde zu verkaufen;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[328/0350] ſchon alle zum Patriciat erhoben waren. Plebejer wa- ren im Senat noch ehe ſie das Militaͤrtribunat erlang- ten 93). So lange aber ein Tarquinius die hoͤchſte Gewalt theilte, ſo lange mußte die Republik in Gefahr ſcheinen Anſpruͤche und heimliche Unternehmungen auf die Herſtel- lung der Koͤnigswuͤrde fuͤr dieſe Linie zu erfahren, bey der ſich die Anhaͤnger der Verbannten mit denen vereinigen konnten die, der Republikaniſchen Regierung abhold, doch mit dem alten Fuͤrſten unverſoͤhnlich waren. Im Nahmen des Vaterlands erklaͤrte Brutus, kein Tarquinius koͤnne zu Rom gebieten: dies werde das Volk beſchließen, und Collatinus ſeine Wuͤrde nehmen wenn er ihr nicht frey- willig entſagte: ihn verbannen wenn er nicht friedlich die Stadt verließe. Nach langem Widerſtand gab dieſer nach, legte ſein Amt nieder, verließ Rom, unter dem Segen und dem Dank der Mitbuͤrger, reichlich entſchaͤdigt und beſchenkt, und begab ſich nach Lavinium. Von ihm und ſeinem Geſchlecht iſt die Rede nicht mehr. Die Roͤmiſche Revolution war, als Heilung des Staats von einem beſtimmt erkannten unleidlichen Uebel mit großer Maͤßigung und nur bis an die Graͤnzen der Nothwendigkeit ausgefuͤhrt worden. Das Eigenthum des Koͤnigs war noch unangetaſtet: aus Etrurien forderte die- ſer durch eine Geſandtſchaft Auslieferung der beweglichen Habe, und Befugniß die liegenden Gruͤnde zu verkaufen; 93) Livius V. c. 12. von P. Licinius Calvus, nach ihm dem erſten plebejiſchen Militaͤrtribun: vir nullis ante honoribus usus, vetus tantum senator.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/350
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/350>, abgerufen am 22.11.2024.