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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Silber, am Werth damals dem Vermögen der ersten
Klasse und der höchsten bey den Römern damals ge-
bräuchlichen Zahleinheit für Geldsummen gleich. Auch
hier zeigt sich wie die Wahrheit denen weit näher liegt
die mit unschuldigem Gemüth ihr nachgehen, als sol-
chen die sie küustlich suchen, wenn sie den angebohrnen
Sinn für sie verscherzt haben. Es scheint unmöglich
daß Livius das Werk eines wie Dionysius als Kritiker un-
ter seinen Zeitgenossen berühmten Mannes nicht gekannt
haben sollte, welches sich als das erste kritische über die
Römische Geschichte ankündigt. Er scheint es verschmäht
zu haben, vielleicht ohne es durchzulesen: denn er er-
wähnt es nie, und nimmt nie Rücksicht darauf. Ihm,
der in jenen Zeiten eine weit größere Ureinfalt glaubt als
wir einräumen können, der Kroton von Rom durch unzu-
gängliche Völker, noch unter diesem Tarquinius Delphi
von Rom durch unbekannte Völker und unbekannte Meere
getrennt glaubt, ihm scheint damals die Summe von
40000 Pfunden Silber unglaublich: mir scheint es mit
Unrecht, wenn nicht allein der Werth der verkauften Ge-
fangnen, aller Beute, sondern auch der vielleicht zum
Theil verkauften Feldmark gerechnet wird. Was hätte er,
was müssen wir von Dionysius Urtheil denken, welcher
jene vierhundert Talente nur als den geweihten Zehnten
des erbeuteten Goldes und Silbers angiebt, ohne die den
Soldaten preis gegebne übrige Beute zu rechnen. Seine
Erfindung ist diese Angabe übrigens gewiß nicht, sondern
wahrscheinlich die eines Römischen Fablers, vielleicht ist
sie Uebertreibung des Gedichts selbst, wie die Zahlen in

Silber, am Werth damals dem Vermoͤgen der erſten
Klaſſe und der hoͤchſten bey den Roͤmern damals ge-
braͤuchlichen Zahleinheit fuͤr Geldſummen gleich. Auch
hier zeigt ſich wie die Wahrheit denen weit naͤher liegt
die mit unſchuldigem Gemuͤth ihr nachgehen, als ſol-
chen die ſie kuͤuſtlich ſuchen, wenn ſie den angebohrnen
Sinn fuͤr ſie verſcherzt haben. Es ſcheint unmoͤglich
daß Livius das Werk eines wie Dionyſius als Kritiker un-
ter ſeinen Zeitgenoſſen beruͤhmten Mannes nicht gekannt
haben ſollte, welches ſich als das erſte kritiſche uͤber die
Roͤmiſche Geſchichte ankuͤndigt. Er ſcheint es verſchmaͤht
zu haben, vielleicht ohne es durchzuleſen: denn er er-
waͤhnt es nie, und nimmt nie Ruͤckſicht darauf. Ihm,
der in jenen Zeiten eine weit groͤßere Ureinfalt glaubt als
wir einraͤumen koͤnnen, der Kroton von Rom durch unzu-
gaͤngliche Voͤlker, noch unter dieſem Tarquinius Delphi
von Rom durch unbekannte Voͤlker und unbekannte Meere
getrennt glaubt, ihm ſcheint damals die Summe von
40000 Pfunden Silber unglaublich: mir ſcheint es mit
Unrecht, wenn nicht allein der Werth der verkauften Ge-
fangnen, aller Beute, ſondern auch der vielleicht zum
Theil verkauften Feldmark gerechnet wird. Was haͤtte er,
was muͤſſen wir von Dionyſius Urtheil denken, welcher
jene vierhundert Talente nur als den geweihten Zehnten
des erbeuteten Goldes und Silbers angiebt, ohne die den
Soldaten preis gegebne uͤbrige Beute zu rechnen. Seine
Erfindung iſt dieſe Angabe uͤbrigens gewiß nicht, ſondern
wahrſcheinlich die eines Roͤmiſchen Fablers, vielleicht iſt
ſie Uebertreibung des Gedichts ſelbſt, wie die Zahlen in

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[298/0320] Silber, am Werth damals dem Vermoͤgen der erſten Klaſſe und der hoͤchſten bey den Roͤmern damals ge- braͤuchlichen Zahleinheit fuͤr Geldſummen gleich. Auch hier zeigt ſich wie die Wahrheit denen weit naͤher liegt die mit unſchuldigem Gemuͤth ihr nachgehen, als ſol- chen die ſie kuͤuſtlich ſuchen, wenn ſie den angebohrnen Sinn fuͤr ſie verſcherzt haben. Es ſcheint unmoͤglich daß Livius das Werk eines wie Dionyſius als Kritiker un- ter ſeinen Zeitgenoſſen beruͤhmten Mannes nicht gekannt haben ſollte, welches ſich als das erſte kritiſche uͤber die Roͤmiſche Geſchichte ankuͤndigt. Er ſcheint es verſchmaͤht zu haben, vielleicht ohne es durchzuleſen: denn er er- waͤhnt es nie, und nimmt nie Ruͤckſicht darauf. Ihm, der in jenen Zeiten eine weit groͤßere Ureinfalt glaubt als wir einraͤumen koͤnnen, der Kroton von Rom durch unzu- gaͤngliche Voͤlker, noch unter dieſem Tarquinius Delphi von Rom durch unbekannte Voͤlker und unbekannte Meere getrennt glaubt, ihm ſcheint damals die Summe von 40000 Pfunden Silber unglaublich: mir ſcheint es mit Unrecht, wenn nicht allein der Werth der verkauften Ge- fangnen, aller Beute, ſondern auch der vielleicht zum Theil verkauften Feldmark gerechnet wird. Was haͤtte er, was muͤſſen wir von Dionyſius Urtheil denken, welcher jene vierhundert Talente nur als den geweihten Zehnten des erbeuteten Goldes und Silbers angiebt, ohne die den Soldaten preis gegebne uͤbrige Beute zu rechnen. Seine Erfindung iſt dieſe Angabe uͤbrigens gewiß nicht, ſondern wahrſcheinlich die eines Roͤmiſchen Fablers, vielleicht iſt ſie Uebertreibung des Gedichts ſelbſt, wie die Zahlen in

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/320>, abgerufen am 25.11.2024.