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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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das bestimmteste Zeugniß nicht geglaubt werden kann; da
es fast unbillig ist sie zu fordern; und die wo sie erscheint
zu den herrlichsten Wundern der Geschichte gehört. Den-
noch aber konnte der König an der Rechtmäßigkeit, also
an der Heilsamkeit seiner Einrichtungen nicht zweifeln:
an ihrer Heilsamkeit, nicht für den Augenblick nur, und
nach dem Maaß welches für diesen berechnet werden
konnte, sondern in anwachsendem Verhältniß der Zukunft.
Es kam eine Zeit worin die Manen der stolzen Patricier,
die ihn haßten, ihren Irrthum erkennen mußten, wenn
sie die frey erworbene Größe anschauten worin ihre späten
Enkel glänzten, und das Heil des Vaterlands, entstanden
aus jenen verhaßten Gesetzen, wenn es ihnen wirklich theuer
gewesen war.

Denn Servius trachtete nicht Despotismus unter dem
Vorwand der Gleichheit einzuführen, noch auch diese nach
der Kopfzahl, noch zwang er die Bürger des ersten Stands
Formen zu entsagen die ihnen erblich und eigenthümlich
waren. Dieser plebejische von den Patriciern gereizte
Fürst war kein Gesetzgeber wie der adliche Klisthenes, der,
seinem eignen Stande verhaßt, eine Gleichheit einführte
welche zur wüthenden Demokratie ward und werden
mußte, da ein unbegreifliches Glück die Tyranney von
Athen entfernt hielt. Sein Zweck war eine in den Staat
aufgenommene Menge, moralisch und einzeln betrachtet
den Patriciern gleich zu achtender Freyer, gleich ihnen
im Staat als Stand zu bilden, und neben ihnen als
freye Macht hinzustellen, weil, wie das vollkommenste
Leben die größte Mannichfaltigkeit beseelt, auch der Staat

das beſtimmteſte Zeugniß nicht geglaubt werden kann; da
es faſt unbillig iſt ſie zu fordern; und die wo ſie erſcheint
zu den herrlichſten Wundern der Geſchichte gehoͤrt. Den-
noch aber konnte der Koͤnig an der Rechtmaͤßigkeit, alſo
an der Heilſamkeit ſeiner Einrichtungen nicht zweifeln:
an ihrer Heilſamkeit, nicht fuͤr den Augenblick nur, und
nach dem Maaß welches fuͤr dieſen berechnet werden
konnte, ſondern in anwachſendem Verhaͤltniß der Zukunft.
Es kam eine Zeit worin die Manen der ſtolzen Patricier,
die ihn haßten, ihren Irrthum erkennen mußten, wenn
ſie die frey erworbene Groͤße anſchauten worin ihre ſpaͤten
Enkel glaͤnzten, und das Heil des Vaterlands, entſtanden
aus jenen verhaßten Geſetzen, wenn es ihnen wirklich theuer
geweſen war.

Denn Servius trachtete nicht Deſpotismus unter dem
Vorwand der Gleichheit einzufuͤhren, noch auch dieſe nach
der Kopfzahl, noch zwang er die Buͤrger des erſten Stands
Formen zu entſagen die ihnen erblich und eigenthuͤmlich
waren. Dieſer plebejiſche von den Patriciern gereizte
Fuͤrſt war kein Geſetzgeber wie der adliche Kliſthenes, der,
ſeinem eignen Stande verhaßt, eine Gleichheit einfuͤhrte
welche zur wuͤthenden Demokratie ward und werden
mußte, da ein unbegreifliches Gluͤck die Tyranney von
Athen entfernt hielt. Sein Zweck war eine in den Staat
aufgenommene Menge, moraliſch und einzeln betrachtet
den Patriciern gleich zu achtender Freyer, gleich ihnen
im Staat als Stand zu bilden, und neben ihnen als
freye Macht hinzuſtellen, weil, wie das vollkommenſte
Leben die groͤßte Mannichfaltigkeit beſeelt, auch der Staat

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[251/0273] das beſtimmteſte Zeugniß nicht geglaubt werden kann; da es faſt unbillig iſt ſie zu fordern; und die wo ſie erſcheint zu den herrlichſten Wundern der Geſchichte gehoͤrt. Den- noch aber konnte der Koͤnig an der Rechtmaͤßigkeit, alſo an der Heilſamkeit ſeiner Einrichtungen nicht zweifeln: an ihrer Heilſamkeit, nicht fuͤr den Augenblick nur, und nach dem Maaß welches fuͤr dieſen berechnet werden konnte, ſondern in anwachſendem Verhaͤltniß der Zukunft. Es kam eine Zeit worin die Manen der ſtolzen Patricier, die ihn haßten, ihren Irrthum erkennen mußten, wenn ſie die frey erworbene Groͤße anſchauten worin ihre ſpaͤten Enkel glaͤnzten, und das Heil des Vaterlands, entſtanden aus jenen verhaßten Geſetzen, wenn es ihnen wirklich theuer geweſen war. Denn Servius trachtete nicht Deſpotismus unter dem Vorwand der Gleichheit einzufuͤhren, noch auch dieſe nach der Kopfzahl, noch zwang er die Buͤrger des erſten Stands Formen zu entſagen die ihnen erblich und eigenthuͤmlich waren. Dieſer plebejiſche von den Patriciern gereizte Fuͤrſt war kein Geſetzgeber wie der adliche Kliſthenes, der, ſeinem eignen Stande verhaßt, eine Gleichheit einfuͤhrte welche zur wuͤthenden Demokratie ward und werden mußte, da ein unbegreifliches Gluͤck die Tyranney von Athen entfernt hielt. Sein Zweck war eine in den Staat aufgenommene Menge, moraliſch und einzeln betrachtet den Patriciern gleich zu achtender Freyer, gleich ihnen im Staat als Stand zu bilden, und neben ihnen als freye Macht hinzuſtellen, weil, wie das vollkommenſte Leben die groͤßte Mannichfaltigkeit beſeelt, auch der Staat

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/273>, abgerufen am 22.11.2024.