ihre Landsgemeinde im Hain der Ferentina hielten. Mir ist es wahrscheinlich daß Servius zugleich die Aufnahme Roms in den Bund der Latiner und ihre Hegemonie er- langt habe. Der alte Gottesdienst dieser Nation war ein Naturdienst; Sonne und Mond, Dianus und Diana die Gottheiten welche sie als die mächtigsten, anschaulichsten und freundlichsten verehrten. Alle Föderationen der al- ten Völker waren auf Religion gegründet, über ihre Er- haltung waltete nur das Gewissen. Servius schloß für Rom einen Bund mit den unbezwungenen latinischen Städten, unter denen damals Tusculum, Gabii, Prä- neste, Aricia, Tibur, Ardea die ansehnlichsten waren: und sie errichteten gemeinschaftlich einen Tempel der Diana auf dem Aventinus, dem Wohnorte der latinischen Bürger Roms. Mir scheint man könne darin daß dieser Tempel ein Gemeingut des ganzen Bundes gewesen ist, die Ursache entdecken warum dieser Berg nicht im Pomörium der Stadt begriffen war: eine Sonderbarkeit über die Roms Archäologen nicht einmal Vermuthungen äußer- ten 20). Bey der Einweihung dieses Tempels war noch kein Staat im Besitz der Hegemonie, deren Recht vor den Göttern der Römische Priester seinem Vaterland durch List sicherte, als er den Fremden verführte das herange- führte ungeheure Opferthier, dessen riesenmäßige Hörner noch sehr spät an den Thüren des Tempels angenagelt wa- ren, zu verlassen: und es selbst opferte, während jener sich im Strohm der Tiber badete, um, rein opfernd, den Sinn des Schicksalspruchs ganz zu erfüllen, dasjenige
20) Gellius XIII. c. 14.
ihre Landsgemeinde im Hain der Ferentina hielten. Mir iſt es wahrſcheinlich daß Servius zugleich die Aufnahme Roms in den Bund der Latiner und ihre Hegemonie er- langt habe. Der alte Gottesdienſt dieſer Nation war ein Naturdienſt; Sonne und Mond, Dianus und Diana die Gottheiten welche ſie als die maͤchtigſten, anſchaulichſten und freundlichſten verehrten. Alle Foͤderationen der al- ten Voͤlker waren auf Religion gegruͤndet, uͤber ihre Er- haltung waltete nur das Gewiſſen. Servius ſchloß fuͤr Rom einen Bund mit den unbezwungenen latiniſchen Staͤdten, unter denen damals Tuſculum, Gabii, Praͤ- neſte, Aricia, Tibur, Ardea die anſehnlichſten waren: und ſie errichteten gemeinſchaftlich einen Tempel der Diana auf dem Aventinus, dem Wohnorte der latiniſchen Buͤrger Roms. Mir ſcheint man koͤnne darin daß dieſer Tempel ein Gemeingut des ganzen Bundes geweſen iſt, die Urſache entdecken warum dieſer Berg nicht im Pomoͤrium der Stadt begriffen war: eine Sonderbarkeit uͤber die Roms Archaͤologen nicht einmal Vermuthungen aͤußer- ten 20). Bey der Einweihung dieſes Tempels war noch kein Staat im Beſitz der Hegemonie, deren Recht vor den Goͤttern der Roͤmiſche Prieſter ſeinem Vaterland durch Liſt ſicherte, als er den Fremden verfuͤhrte das herange- fuͤhrte ungeheure Opferthier, deſſen rieſenmaͤßige Hoͤrner noch ſehr ſpaͤt an den Thuͤren des Tempels angenagelt wa- ren, zu verlaſſen: und es ſelbſt opferte, waͤhrend jener ſich im Strohm der Tiber badete, um, rein opfernd, den Sinn des Schickſalſpruchs ganz zu erfuͤllen, dasjenige
20) Gellius XIII. c. 14.
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ihre Landsgemeinde im Hain der Ferentina hielten. Mir
iſt es wahrſcheinlich daß Servius zugleich die Aufnahme
Roms in den Bund der Latiner und ihre Hegemonie er-
langt habe. Der alte Gottesdienſt dieſer Nation war ein
Naturdienſt; Sonne und Mond, Dianus und Diana die
Gottheiten welche ſie als die maͤchtigſten, anſchaulichſten
und freundlichſten verehrten. Alle Foͤderationen der al-
ten Voͤlker waren auf Religion gegruͤndet, uͤber ihre Er-
haltung waltete nur das Gewiſſen. Servius ſchloß fuͤr
Rom einen Bund mit den unbezwungenen latiniſchen
Staͤdten, unter denen damals Tuſculum, Gabii, Praͤ-
neſte, Aricia, Tibur, Ardea die anſehnlichſten waren:
und ſie errichteten gemeinſchaftlich einen Tempel der
Diana auf dem Aventinus, dem Wohnorte der latiniſchen
Buͤrger Roms. Mir ſcheint man koͤnne darin daß dieſer
Tempel ein Gemeingut des ganzen Bundes geweſen iſt, die
Urſache entdecken warum dieſer Berg nicht im Pomoͤrium
der Stadt begriffen war: eine Sonderbarkeit uͤber die
Roms Archaͤologen nicht einmal Vermuthungen aͤußer-
ten 20). Bey der Einweihung dieſes Tempels war noch
kein Staat im Beſitz der Hegemonie, deren Recht vor den
Goͤttern der Roͤmiſche Prieſter ſeinem Vaterland durch
Liſt ſicherte, als er den Fremden verfuͤhrte das herange-
fuͤhrte ungeheure Opferthier, deſſen rieſenmaͤßige Hoͤrner
noch ſehr ſpaͤt an den Thuͤren des Tempels angenagelt wa-
ren, zu verlaſſen: und es ſelbſt opferte, waͤhrend jener
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20) Gellius XIII. c. 14.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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