nicht erblich hinterlassen konnte, und, da sie sehr jung wa- ren, sein Andenken nur dann als Hülfsmittel ihn in reife- ren Jahren zu erlangen, wenn sie würdig gefunden wür- den um ihn zu werben, vertraute ihm der Knaben Vor- mundschaft.
So ist die griechische Abstammung der Tarquinier vor Polybius Zeit erzählt geworden, weil er sie ohne einen Zweifel annahm 69). Aber dawider gilt der Beweis der Nichtigkeit alles zu viel erweisenden. Es mag als spätere Verfälschung einer ursprünglichen allerdings möglichen Erzählung gelten, daß der Ankunft des Demaratus von den Griechen nicht nur die Einführung der bildenden Künste, sondern auch der Schrift in Etrurien zugeschrie- ben wird 70), obwohl eine solche Erdichtung leicht vom Anfang an in der größten Ausdehnung besteht. Den ein- heimischen römischen Annalen muß man Kenntniß von der Geschichte Korinths schlechthin absprechen, die über grie- chische Geschichte so unwissend sind, daß sie Dionysius für einen Zeitgenossen Coriolans halten, und mit entgegenge- setztem Irrthum wähnen, im Jahr 323 hätten Karthagi- niensische Heere Sicilien zum erstenmale betreten 71). Also ist die Erzählung gewiß griechisches Ursprungs: daß Etruriens Kultur von dem Korinthier ausgegangen sey, war das ursprüngliche; um den Römern zu schmeicheln ward der Lucumo welcher Roms Thron gewann sein Sohn genannt. Die Vermählung eines landflüchtigen Griechen
69) Polybius VI. c. 2.
70) Plinius H. N. XXXV. c. 5. 43. Tacitus Annal. XI. c. 14.
71) Dionysius VII. c. 1. Livius IV. c. 29.
nicht erblich hinterlaſſen konnte, und, da ſie ſehr jung wa- ren, ſein Andenken nur dann als Huͤlfsmittel ihn in reife- ren Jahren zu erlangen, wenn ſie wuͤrdig gefunden wuͤr- den um ihn zu werben, vertraute ihm der Knaben Vor- mundſchaft.
So iſt die griechiſche Abſtammung der Tarquinier vor Polybius Zeit erzaͤhlt geworden, weil er ſie ohne einen Zweifel annahm 69). Aber dawider gilt der Beweis der Nichtigkeit alles zu viel erweiſenden. Es mag als ſpaͤtere Verfaͤlſchung einer urſpruͤnglichen allerdings moͤglichen Erzaͤhlung gelten, daß der Ankunft des Demaratus von den Griechen nicht nur die Einfuͤhrung der bildenden Kuͤnſte, ſondern auch der Schrift in Etrurien zugeſchrie- ben wird 70), obwohl eine ſolche Erdichtung leicht vom Anfang an in der groͤßten Ausdehnung beſteht. Den ein- heimiſchen roͤmiſchen Annalen muß man Kenntniß von der Geſchichte Korinths ſchlechthin abſprechen, die uͤber grie- chiſche Geſchichte ſo unwiſſend ſind, daß ſie Dionyſius fuͤr einen Zeitgenoſſen Coriolans halten, und mit entgegenge- ſetztem Irrthum waͤhnen, im Jahr 323 haͤtten Karthagi- nienſiſche Heere Sicilien zum erſtenmale betreten 71). Alſo iſt die Erzaͤhlung gewiß griechiſches Urſprungs: daß Etruriens Kultur von dem Korinthier ausgegangen ſey, war das urſpruͤngliche; um den Roͤmern zu ſchmeicheln ward der Lucumo welcher Roms Thron gewann ſein Sohn genannt. Die Vermaͤhlung eines landfluͤchtigen Griechen
69) Polybius VI. c. 2.
70) Plinius H. N. XXXV. c. 5. 43. Tacitus Annal. XI. c. 14.
71) Dionyſius VII. c. 1. Livius IV. c. 29.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0237"n="215"/>
nicht erblich hinterlaſſen konnte, und, da ſie ſehr jung wa-<lb/>
ren, ſein Andenken nur dann als Huͤlfsmittel ihn in reife-<lb/>
ren Jahren zu erlangen, wenn ſie wuͤrdig gefunden wuͤr-<lb/>
den um ihn zu werben, vertraute ihm der Knaben Vor-<lb/>
mundſchaft.</p><lb/><p>So iſt die griechiſche Abſtammung der Tarquinier vor<lb/>
Polybius Zeit erzaͤhlt geworden, weil er ſie ohne einen<lb/>
Zweifel annahm <noteplace="foot"n="69)">Polybius <hirendition="#aq">VI. c.</hi> 2.</note>. Aber dawider gilt der Beweis der<lb/>
Nichtigkeit alles zu viel erweiſenden. Es mag als ſpaͤtere<lb/>
Verfaͤlſchung einer urſpruͤnglichen allerdings moͤglichen<lb/>
Erzaͤhlung gelten, daß der Ankunft des Demaratus von<lb/>
den Griechen nicht nur die Einfuͤhrung der bildenden<lb/>
Kuͤnſte, ſondern auch der Schrift in Etrurien zugeſchrie-<lb/>
ben wird <noteplace="foot"n="70)">Plinius <hirendition="#aq">H. N. XXXV. c.</hi> 5. 43. Tacitus <hirendition="#aq">Annal. XI. c.</hi> 14.</note>, obwohl eine ſolche Erdichtung leicht vom<lb/>
Anfang an in der groͤßten Ausdehnung beſteht. Den ein-<lb/>
heimiſchen roͤmiſchen Annalen muß man Kenntniß von der<lb/>
Geſchichte Korinths ſchlechthin abſprechen, die uͤber grie-<lb/>
chiſche Geſchichte ſo unwiſſend ſind, daß ſie Dionyſius fuͤr<lb/>
einen Zeitgenoſſen Coriolans halten, und mit entgegenge-<lb/>ſetztem Irrthum waͤhnen, im Jahr 323 haͤtten Karthagi-<lb/>
nienſiſche Heere Sicilien zum erſtenmale betreten <noteplace="foot"n="71)">Dionyſius <hirendition="#aq">VII. c.</hi> 1. Livius <hirendition="#aq">IV. c.</hi> 29.</note>.<lb/>
Alſo iſt die Erzaͤhlung gewiß griechiſches Urſprungs: daß<lb/>
Etruriens Kultur von dem Korinthier ausgegangen ſey,<lb/>
war das urſpruͤngliche; um den Roͤmern zu ſchmeicheln<lb/>
ward der Lucumo welcher Roms Thron gewann ſein Sohn<lb/>
genannt. Die Vermaͤhlung eines landfluͤchtigen Griechen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[215/0237]
nicht erblich hinterlaſſen konnte, und, da ſie ſehr jung wa-
ren, ſein Andenken nur dann als Huͤlfsmittel ihn in reife-
ren Jahren zu erlangen, wenn ſie wuͤrdig gefunden wuͤr-
den um ihn zu werben, vertraute ihm der Knaben Vor-
mundſchaft.
So iſt die griechiſche Abſtammung der Tarquinier vor
Polybius Zeit erzaͤhlt geworden, weil er ſie ohne einen
Zweifel annahm 69). Aber dawider gilt der Beweis der
Nichtigkeit alles zu viel erweiſenden. Es mag als ſpaͤtere
Verfaͤlſchung einer urſpruͤnglichen allerdings moͤglichen
Erzaͤhlung gelten, daß der Ankunft des Demaratus von
den Griechen nicht nur die Einfuͤhrung der bildenden
Kuͤnſte, ſondern auch der Schrift in Etrurien zugeſchrie-
ben wird 70), obwohl eine ſolche Erdichtung leicht vom
Anfang an in der groͤßten Ausdehnung beſteht. Den ein-
heimiſchen roͤmiſchen Annalen muß man Kenntniß von der
Geſchichte Korinths ſchlechthin abſprechen, die uͤber grie-
chiſche Geſchichte ſo unwiſſend ſind, daß ſie Dionyſius fuͤr
einen Zeitgenoſſen Coriolans halten, und mit entgegenge-
ſetztem Irrthum waͤhnen, im Jahr 323 haͤtten Karthagi-
nienſiſche Heere Sicilien zum erſtenmale betreten 71).
Alſo iſt die Erzaͤhlung gewiß griechiſches Urſprungs: daß
Etruriens Kultur von dem Korinthier ausgegangen ſey,
war das urſpruͤngliche; um den Roͤmern zu ſchmeicheln
ward der Lucumo welcher Roms Thron gewann ſein Sohn
genannt. Die Vermaͤhlung eines landfluͤchtigen Griechen
69) Polybius VI. c. 2.
70) Plinius H. N. XXXV. c. 5. 43. Tacitus Annal. XI. c. 14.
71) Dionyſius VII. c. 1. Livius IV. c. 29.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/237>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.