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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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Eine unwandelbare Zeitrechnung da anzuwenden wo
auch unwillkührliche Verletzung Strafe der Götter nach
sich zu ziehen drohte, war zuverlässig im Geist der Etrus-
ker: und wäre schon damals in die Römischen Intercala-
tionen Unordnung gekommen gewesen, so würde dieser
Grund zwiefaches Gewicht gehabt haben. Die Latinischen
Völker und die Herniker gebrauchten höchst sonderbare
Zeitrechnungen, deren System vielleicht ein Andrer aus
Censorinus Erwähnungen der Kalender von Alba, Lavi-
nium, Tusculum, Aricia und Ferentinum errathen wird.
Ihre Monate sollen von 39 Tagen bis zu 16 von einander
abgewichen seyn60). Wie auch der Kalender der Ausoni-
schen Völker geordnet gewesen seyn mag, von dem römi-
schen bürgerlichen war er gewiß ganz verschieden. Mit
ihnen, den Volskern und Aequern, schloß Rom daher
auch nach cyclischen Jahren Waffenstillstand: der welcher
im Jahr 323 auf acht Jahre (6 2/3 bürgerliche) beschworen
ward, endigte so mit dem Jahr 330: daher es auch den
Volskern nicht als Meineid vorgeworfen wird, daß sie im
folgenden die Feindseligkeiten erneuerten.

Das zehnmonatliche Jahr war die Frist der Trauer:
der Auszahlung legirter Aussteuer: des Credits beym
Verkauf von Früchten, und höchst wahrscheinlich aller
Darleihen, und Maaßstab des ältesten Zinsfußes.

Scaliger, der nur noch einen Schritt von dem Punkt
zurückblieb wo er das Wesen dieser Zeitrechnung ergrif-
fen haben würde, und vielleicht nur deswegen sich durch
das Fremdartige abschrecken ließ, weil er über den Azte-

60) Censorinus c. 20. 22.

Eine unwandelbare Zeitrechnung da anzuwenden wo
auch unwillkuͤhrliche Verletzung Strafe der Goͤtter nach
ſich zu ziehen drohte, war zuverlaͤſſig im Geiſt der Etrus-
ker: und waͤre ſchon damals in die Roͤmiſchen Intercala-
tionen Unordnung gekommen geweſen, ſo wuͤrde dieſer
Grund zwiefaches Gewicht gehabt haben. Die Latiniſchen
Voͤlker und die Herniker gebrauchten hoͤchſt ſonderbare
Zeitrechnungen, deren Syſtem vielleicht ein Andrer aus
Cenſorinus Erwaͤhnungen der Kalender von Alba, Lavi-
nium, Tuſculum, Aricia und Ferentinum errathen wird.
Ihre Monate ſollen von 39 Tagen bis zu 16 von einander
abgewichen ſeyn60). Wie auch der Kalender der Auſoni-
ſchen Voͤlker geordnet geweſen ſeyn mag, von dem roͤmi-
ſchen buͤrgerlichen war er gewiß ganz verſchieden. Mit
ihnen, den Volskern und Aequern, ſchloß Rom daher
auch nach cycliſchen Jahren Waffenſtillſtand: der welcher
im Jahr 323 auf acht Jahre (6⅔ buͤrgerliche) beſchworen
ward, endigte ſo mit dem Jahr 330: daher es auch den
Volskern nicht als Meineid vorgeworfen wird, daß ſie im
folgenden die Feindſeligkeiten erneuerten.

Das zehnmonatliche Jahr war die Friſt der Trauer:
der Auszahlung legirter Ausſteuer: des Credits beym
Verkauf von Fruͤchten, und hoͤchſt wahrſcheinlich aller
Darleihen, und Maaßſtab des aͤlteſten Zinsfußes.

Scaliger, der nur noch einen Schritt von dem Punkt
zuruͤckblieb wo er das Weſen dieſer Zeitrechnung ergrif-
fen haben wuͤrde, und vielleicht nur deswegen ſich durch
das Fremdartige abſchrecken ließ, weil er uͤber den Azte-

60) Cenſorinus c. 20. 22.
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[203/0225] Eine unwandelbare Zeitrechnung da anzuwenden wo auch unwillkuͤhrliche Verletzung Strafe der Goͤtter nach ſich zu ziehen drohte, war zuverlaͤſſig im Geiſt der Etrus- ker: und waͤre ſchon damals in die Roͤmiſchen Intercala- tionen Unordnung gekommen geweſen, ſo wuͤrde dieſer Grund zwiefaches Gewicht gehabt haben. Die Latiniſchen Voͤlker und die Herniker gebrauchten hoͤchſt ſonderbare Zeitrechnungen, deren Syſtem vielleicht ein Andrer aus Cenſorinus Erwaͤhnungen der Kalender von Alba, Lavi- nium, Tuſculum, Aricia und Ferentinum errathen wird. Ihre Monate ſollen von 39 Tagen bis zu 16 von einander abgewichen ſeyn 60). Wie auch der Kalender der Auſoni- ſchen Voͤlker geordnet geweſen ſeyn mag, von dem roͤmi- ſchen buͤrgerlichen war er gewiß ganz verſchieden. Mit ihnen, den Volskern und Aequern, ſchloß Rom daher auch nach cycliſchen Jahren Waffenſtillſtand: der welcher im Jahr 323 auf acht Jahre (6⅔ buͤrgerliche) beſchworen ward, endigte ſo mit dem Jahr 330: daher es auch den Volskern nicht als Meineid vorgeworfen wird, daß ſie im folgenden die Feindſeligkeiten erneuerten. Das zehnmonatliche Jahr war die Friſt der Trauer: der Auszahlung legirter Ausſteuer: des Credits beym Verkauf von Fruͤchten, und hoͤchſt wahrſcheinlich aller Darleihen, und Maaßſtab des aͤlteſten Zinsfußes. Scaliger, der nur noch einen Schritt von dem Punkt zuruͤckblieb wo er das Weſen dieſer Zeitrechnung ergrif- fen haben wuͤrde, und vielleicht nur deswegen ſich durch das Fremdartige abſchrecken ließ, weil er uͤber den Azte- 60) Cenſorinus c. 20. 22.

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/225>, abgerufen am 22.11.2024.