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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

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die alte Sage erzählt habe, es hätte sich zu ihnen auch
Volk aus Alba gesellt, sogar troischer Adel. Aber die
Brüder, mit gleicher Macht gebietend, und sich selbst
überlassen, stritten wem die Ehre zukomme Stifter der
Stadt zu werden, sie nach seinem Nahmen Roma oder
Remoria zu benennen; ob sie auf dem Palatinischen oder
dem Aventinischen Hügel, nach einer andern Sage, ob sie
am Tiber oder vier Millien vom Fluß entfernt erbaut
werden solle. Darüber sollten Augurien richten. Jeder
beobachtete den Himmel von dem Gipfel seines Lieblings-
hügels: wer zuerst glückliche Vögel erblicken würde, der
sollte als König entscheiden. Wer Auspicien suchte erhob
sich in der Stille tiefer Nacht, und sah, nachdem er die
Gränzen des Himmelstempels in seinem Gemüth bestimmt
hatte, weissagenden Erscheinungen entgegen. Beide harr-
ten lange vergeblich. Endlich erblickte zuerst Remus sechs
Geyer die von Nord nach Süd hinflogen; aber mit dem
Aufgang der Sonne, als diese Botschaft Romulus ange-
kündigt ward, flog ihm vorüber ein Zug von zwölf Geyern.
Das Recht entschied für jenen: aber Romulus berief sich
auf die doppelte Zahl seines Auguriums als offenbares
Zeichen der Gunst der Götter; und sein stärkerer Anhang
entschied zum Vortheil seiner Anmaaßung.

Dieses Augurium der zwölf Schicksalsvögel scheint
ursprünglich dichterischer Ausdruck etruskischer Weissagung
gewesen zu seyn, daß Rom zwölf Säkeln Zeit zugetheilt
wären: nachher erst die Allegorie Gestalt einer Sage ange-
nommen zu haben, oder zurückgedeutet zu seyn: dies ge-
schah schon zu Varros Zeit von einem berühmten Augur

die alte Sage erzaͤhlt habe, es haͤtte ſich zu ihnen auch
Volk aus Alba geſellt, ſogar troiſcher Adel. Aber die
Bruͤder, mit gleicher Macht gebietend, und ſich ſelbſt
uͤberlaſſen, ſtritten wem die Ehre zukomme Stifter der
Stadt zu werden, ſie nach ſeinem Nahmen Roma oder
Remoria zu benennen; ob ſie auf dem Palatiniſchen oder
dem Aventiniſchen Huͤgel, nach einer andern Sage, ob ſie
am Tiber oder vier Millien vom Fluß entfernt erbaut
werden ſolle. Daruͤber ſollten Augurien richten. Jeder
beobachtete den Himmel von dem Gipfel ſeines Lieblings-
huͤgels: wer zuerſt gluͤckliche Voͤgel erblicken wuͤrde, der
ſollte als Koͤnig entſcheiden. Wer Auſpicien ſuchte erhob
ſich in der Stille tiefer Nacht, und ſah, nachdem er die
Graͤnzen des Himmelstempels in ſeinem Gemuͤth beſtimmt
hatte, weiſſagenden Erſcheinungen entgegen. Beide harr-
ten lange vergeblich. Endlich erblickte zuerſt Remus ſechs
Geyer die von Nord nach Suͤd hinflogen; aber mit dem
Aufgang der Sonne, als dieſe Botſchaft Romulus ange-
kuͤndigt ward, flog ihm voruͤber ein Zug von zwoͤlf Geyern.
Das Recht entſchied fuͤr jenen: aber Romulus berief ſich
auf die doppelte Zahl ſeines Auguriums als offenbares
Zeichen der Gunſt der Goͤtter; und ſein ſtaͤrkerer Anhang
entſchied zum Vortheil ſeiner Anmaaßung.

Dieſes Augurium der zwoͤlf Schickſalsvoͤgel ſcheint
urſpruͤnglich dichteriſcher Ausdruck etruskiſcher Weiſſagung
geweſen zu ſeyn, daß Rom zwoͤlf Saͤkeln Zeit zugetheilt
waͤren: nachher erſt die Allegorie Geſtalt einer Sage ange-
nommen zu haben, oder zuruͤckgedeutet zu ſeyn: dies ge-
ſchah ſchon zu Varros Zeit von einem beruͤhmten Augur

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[154/0176] die alte Sage erzaͤhlt habe, es haͤtte ſich zu ihnen auch Volk aus Alba geſellt, ſogar troiſcher Adel. Aber die Bruͤder, mit gleicher Macht gebietend, und ſich ſelbſt uͤberlaſſen, ſtritten wem die Ehre zukomme Stifter der Stadt zu werden, ſie nach ſeinem Nahmen Roma oder Remoria zu benennen; ob ſie auf dem Palatiniſchen oder dem Aventiniſchen Huͤgel, nach einer andern Sage, ob ſie am Tiber oder vier Millien vom Fluß entfernt erbaut werden ſolle. Daruͤber ſollten Augurien richten. Jeder beobachtete den Himmel von dem Gipfel ſeines Lieblings- huͤgels: wer zuerſt gluͤckliche Voͤgel erblicken wuͤrde, der ſollte als Koͤnig entſcheiden. Wer Auſpicien ſuchte erhob ſich in der Stille tiefer Nacht, und ſah, nachdem er die Graͤnzen des Himmelstempels in ſeinem Gemuͤth beſtimmt hatte, weiſſagenden Erſcheinungen entgegen. Beide harr- ten lange vergeblich. Endlich erblickte zuerſt Remus ſechs Geyer die von Nord nach Suͤd hinflogen; aber mit dem Aufgang der Sonne, als dieſe Botſchaft Romulus ange- kuͤndigt ward, flog ihm voruͤber ein Zug von zwoͤlf Geyern. Das Recht entſchied fuͤr jenen: aber Romulus berief ſich auf die doppelte Zahl ſeines Auguriums als offenbares Zeichen der Gunſt der Goͤtter; und ſein ſtaͤrkerer Anhang entſchied zum Vortheil ſeiner Anmaaßung. Dieſes Augurium der zwoͤlf Schickſalsvoͤgel ſcheint urſpruͤnglich dichteriſcher Ausdruck etruskiſcher Weiſſagung geweſen zu ſeyn, daß Rom zwoͤlf Saͤkeln Zeit zugetheilt waͤren: nachher erſt die Allegorie Geſtalt einer Sage ange- nommen zu haben, oder zuruͤckgedeutet zu ſeyn: dies ge- ſchah ſchon zu Varros Zeit von einem beruͤhmten Augur

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Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/176>, abgerufen am 24.11.2024.