vorgeht. Sicher ahndete auch Virgil daß aller fremde Schmuck mit dem er sein Werk zierte wohl Reichthum des Gedichts aber nicht der seinige ward, und daß die Nach- welt dies einst erkennen werde. Daß er ungeachtet dieses quälenden Bewußtseyns auf dem ihm offnem Wege dahin strebte einem Gedicht, welches er nicht aus freyer Wahl schrieb, die größte Schönheit zu geben die es aus seinen Händen empfangen konnte; daß er nicht eitel und irrig einer ihm versagten Genialität nachtrachtete; daß er sich nicht bethören ließ als ihn alles ringsum vergötterte, und Properz sang:
Latiums Dichter weichet, und weicht, ihr grajischen Sänger! Ueber die Ilias ragt bald ein erhabneres Lied:
daß er, als der Tod ihn von den Fesseln bürgerlicher Rück- sichten lößte, vernichten wollte was er in diesen feyerli- chen Momenten eben als den Stoff falsches Ruhms unmu- thig betrachten mußte, das macht ihn uns achtungswür- dig und nachsichtig für alle Schwächen seines Gedichts. Nicht immer entscheidet der Werth eines ersten Versuchs: aber Virgils erstes Jugendgedicht zeigt daß er sich mit unglaublichem Fleiß ausbildete, keine versäumte Kraft in ihm erlosch. Wie liebenswürdig aber und edel er war, erscheint da wo er aus dem Herzen redet: nicht allein im Landbau, und in allen Schilderungen reines stillen Lebens; in dem Epigramm auf Syrons Villa; sondern nicht weniger in der Aufführung jener großen Seelen die hell in der römischen Geschichte leuchten.
vorgeht. Sicher ahndete auch Virgil daß aller fremde Schmuck mit dem er ſein Werk zierte wohl Reichthum des Gedichts aber nicht der ſeinige ward, und daß die Nach- welt dies einſt erkennen werde. Daß er ungeachtet dieſes quaͤlenden Bewußtſeyns auf dem ihm offnem Wege dahin ſtrebte einem Gedicht, welches er nicht aus freyer Wahl ſchrieb, die groͤßte Schoͤnheit zu geben die es aus ſeinen Haͤnden empfangen konnte; daß er nicht eitel und irrig einer ihm verſagten Genialitaͤt nachtrachtete; daß er ſich nicht bethoͤren ließ als ihn alles ringsum vergoͤtterte, und Properz ſang:
Latiums Dichter weichet, und weicht, ihr grajiſchen Saͤnger! Ueber die Ilias ragt bald ein erhabneres Lied:
daß er, als der Tod ihn von den Feſſeln buͤrgerlicher Ruͤck- ſichten loͤßte, vernichten wollte was er in dieſen feyerli- chen Momenten eben als den Stoff falſches Ruhms unmu- thig betrachten mußte, das macht ihn uns achtungswuͤr- dig und nachſichtig fuͤr alle Schwaͤchen ſeines Gedichts. Nicht immer entſcheidet der Werth eines erſten Verſuchs: aber Virgils erſtes Jugendgedicht zeigt daß er ſich mit unglaublichem Fleiß ausbildete, keine verſaͤumte Kraft in ihm erloſch. Wie liebenswuͤrdig aber und edel er war, erſcheint da wo er aus dem Herzen redet: nicht allein im Landbau, und in allen Schilderungen reines ſtillen Lebens; in dem Epigramm auf Syrons Villa; ſondern nicht weniger in der Auffuͤhrung jener großen Seelen die hell in der roͤmiſchen Geſchichte leuchten.
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vorgeht. Sicher ahndete auch Virgil daß aller fremde
Schmuck mit dem er ſein Werk zierte wohl Reichthum des
Gedichts aber nicht der ſeinige ward, und daß die Nach-
welt dies einſt erkennen werde. Daß er ungeachtet dieſes
quaͤlenden Bewußtſeyns auf dem ihm offnem Wege dahin
ſtrebte einem Gedicht, welches er nicht aus freyer Wahl
ſchrieb, die groͤßte Schoͤnheit zu geben die es aus ſeinen
Haͤnden empfangen konnte; daß er nicht eitel und irrig
einer ihm verſagten Genialitaͤt nachtrachtete; daß er ſich
nicht bethoͤren ließ als ihn alles ringsum vergoͤtterte,
und Properz ſang:
Latiums Dichter weichet, und weicht, ihr grajiſchen Saͤnger!
Ueber die Ilias ragt bald ein erhabneres Lied:
daß er, als der Tod ihn von den Feſſeln buͤrgerlicher Ruͤck-
ſichten loͤßte, vernichten wollte was er in dieſen feyerli-
chen Momenten eben als den Stoff falſches Ruhms unmu-
thig betrachten mußte, das macht ihn uns achtungswuͤr-
dig und nachſichtig fuͤr alle Schwaͤchen ſeines Gedichts.
Nicht immer entſcheidet der Werth eines erſten Verſuchs:
aber Virgils erſtes Jugendgedicht zeigt daß er ſich mit
unglaublichem Fleiß ausbildete, keine verſaͤumte Kraft
in ihm erloſch. Wie liebenswuͤrdig aber und edel er
war, erſcheint da wo er aus dem Herzen redet: nicht
allein im Landbau, und in allen Schilderungen reines
ſtillen Lebens; in dem Epigramm auf Syrons Villa;
ſondern nicht weniger in der Auffuͤhrung jener großen
Seelen die hell in der roͤmiſchen Geſchichte leuchten.
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Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/161>, abgerufen am 22.11.2024.
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