Ascanius bat um Frieden: aber der Hochmuth des Sie- gers schrieb die Bedingung vor, die Latiner sollten ihm, wie er es von den Rutulern empfing, die den Göt- tern geweihten Erstlinge der Früchte entrichten, oder (nach einer andern Sage) allen Wein den ihre Landschaft hervorbrachte. Jenes war ruchlos, dieses unerträglich: Verzweiflung gewährte ihnen einen Sieg, nach welchem Mezentius freyen Rückzug durch einen annehmlichen Frie- den erkaufte.
Diese Kriege schildert Virgil, die Folge der Bege- benheiten in der Sage verändernd und beschleunigend, in der letzten Hälfte der Aeneis. Allerdings war ihr Inhalt national, doch ist es kaum glaublich, daß selbst unbe- fangne Römer an diesen Erzählungen aufrichtige Freude gehabt haben sollten. Wir fühlen es nur zu unangenehm, wie wenig es dem Dichter gelang, diese Schatten, die charakterlosen Nahmen alltäglicher Barbaren, zu lebendi- gen Wesen zu erheben, wie es die Helden Homers sind. Vielleicht war die Aufgabe unauflösbar, gewiß für Vir- gil, dessen Genie zu Schöpfungen zu dürftig war, wie groß auch sein Talent zum Schmücken. Daß er dieses selbst fühlte, und es nicht verschmähte in der Art groß zu seyn wozu er ausgerüstet war, beweisen grade seine Nachahmungen und Erborgungen, so wie sein Mißfallen am eignen Werk als es schon allgemeine Bewunderung ge- noß. Wer mühselig und zusammensetzend arbeitet ist sich der Ritzen und Spalten bewußt welche sorgsames Glät- ten nur dem ungeübten Auge verbirgt, und von denen das Werk des Meisters frey ist, das im großen Gusse her-
Aſcanius bat um Frieden: aber der Hochmuth des Sie- gers ſchrieb die Bedingung vor, die Latiner ſollten ihm, wie er es von den Rutulern empfing, die den Goͤt- tern geweihten Erſtlinge der Fruͤchte entrichten, oder (nach einer andern Sage) allen Wein den ihre Landſchaft hervorbrachte. Jenes war ruchlos, dieſes unertraͤglich: Verzweiflung gewaͤhrte ihnen einen Sieg, nach welchem Mezentius freyen Ruͤckzug durch einen annehmlichen Frie- den erkaufte.
Dieſe Kriege ſchildert Virgil, die Folge der Bege- benheiten in der Sage veraͤndernd und beſchleunigend, in der letzten Haͤlfte der Aeneis. Allerdings war ihr Inhalt national, doch iſt es kaum glaublich, daß ſelbſt unbe- fangne Roͤmer an dieſen Erzaͤhlungen aufrichtige Freude gehabt haben ſollten. Wir fuͤhlen es nur zu unangenehm, wie wenig es dem Dichter gelang, dieſe Schatten, die charakterloſen Nahmen alltaͤglicher Barbaren, zu lebendi- gen Weſen zu erheben, wie es die Helden Homers ſind. Vielleicht war die Aufgabe unaufloͤsbar, gewiß fuͤr Vir- gil, deſſen Genie zu Schoͤpfungen zu duͤrftig war, wie groß auch ſein Talent zum Schmuͤcken. Daß er dieſes ſelbſt fuͤhlte, und es nicht verſchmaͤhte in der Art groß zu ſeyn wozu er ausgeruͤſtet war, beweiſen grade ſeine Nachahmungen und Erborgungen, ſo wie ſein Mißfallen am eignen Werk als es ſchon allgemeine Bewunderung ge- noß. Wer muͤhſelig und zuſammenſetzend arbeitet iſt ſich der Ritzen und Spalten bewußt welche ſorgſames Glaͤt- ten nur dem ungeuͤbten Auge verbirgt, und von denen das Werk des Meiſters frey iſt, das im großen Guſſe her-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0160"n="138"/>
Aſcanius bat um Frieden: aber der Hochmuth des Sie-<lb/>
gers ſchrieb die Bedingung vor, die Latiner ſollten<lb/>
ihm, wie er es von den Rutulern empfing, die den Goͤt-<lb/>
tern geweihten Erſtlinge der Fruͤchte entrichten, oder<lb/>
(nach einer andern Sage) allen Wein den ihre Landſchaft<lb/>
hervorbrachte. Jenes war ruchlos, dieſes unertraͤglich:<lb/>
Verzweiflung gewaͤhrte ihnen einen Sieg, nach welchem<lb/>
Mezentius freyen Ruͤckzug durch einen annehmlichen Frie-<lb/>
den erkaufte.</p><lb/><p>Dieſe Kriege ſchildert Virgil, die Folge der Bege-<lb/>
benheiten in der Sage veraͤndernd und beſchleunigend, in<lb/>
der letzten Haͤlfte der Aeneis. Allerdings war ihr Inhalt<lb/>
national, doch iſt es kaum glaublich, daß ſelbſt unbe-<lb/>
fangne Roͤmer an dieſen Erzaͤhlungen aufrichtige Freude<lb/>
gehabt haben ſollten. Wir fuͤhlen es nur zu unangenehm,<lb/>
wie wenig es dem Dichter gelang, dieſe Schatten, die<lb/>
charakterloſen Nahmen alltaͤglicher Barbaren, zu lebendi-<lb/>
gen Weſen zu erheben, wie es die Helden Homers ſind.<lb/>
Vielleicht war die Aufgabe unaufloͤsbar, gewiß fuͤr Vir-<lb/>
gil, deſſen Genie zu Schoͤpfungen zu duͤrftig war, wie<lb/>
groß auch ſein Talent zum Schmuͤcken. Daß er dieſes<lb/>ſelbſt fuͤhlte, und es nicht verſchmaͤhte in der Art groß<lb/>
zu ſeyn wozu er ausgeruͤſtet war, beweiſen grade ſeine<lb/>
Nachahmungen und Erborgungen, ſo wie ſein Mißfallen<lb/>
am eignen Werk als es ſchon allgemeine Bewunderung ge-<lb/>
noß. Wer muͤhſelig und zuſammenſetzend arbeitet iſt ſich<lb/>
der Ritzen und Spalten bewußt welche ſorgſames Glaͤt-<lb/>
ten nur dem ungeuͤbten Auge verbirgt, und von denen<lb/>
das Werk des Meiſters frey iſt, das im großen Guſſe her-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[138/0160]
Aſcanius bat um Frieden: aber der Hochmuth des Sie-
gers ſchrieb die Bedingung vor, die Latiner ſollten
ihm, wie er es von den Rutulern empfing, die den Goͤt-
tern geweihten Erſtlinge der Fruͤchte entrichten, oder
(nach einer andern Sage) allen Wein den ihre Landſchaft
hervorbrachte. Jenes war ruchlos, dieſes unertraͤglich:
Verzweiflung gewaͤhrte ihnen einen Sieg, nach welchem
Mezentius freyen Ruͤckzug durch einen annehmlichen Frie-
den erkaufte.
Dieſe Kriege ſchildert Virgil, die Folge der Bege-
benheiten in der Sage veraͤndernd und beſchleunigend, in
der letzten Haͤlfte der Aeneis. Allerdings war ihr Inhalt
national, doch iſt es kaum glaublich, daß ſelbſt unbe-
fangne Roͤmer an dieſen Erzaͤhlungen aufrichtige Freude
gehabt haben ſollten. Wir fuͤhlen es nur zu unangenehm,
wie wenig es dem Dichter gelang, dieſe Schatten, die
charakterloſen Nahmen alltaͤglicher Barbaren, zu lebendi-
gen Weſen zu erheben, wie es die Helden Homers ſind.
Vielleicht war die Aufgabe unaufloͤsbar, gewiß fuͤr Vir-
gil, deſſen Genie zu Schoͤpfungen zu duͤrftig war, wie
groß auch ſein Talent zum Schmuͤcken. Daß er dieſes
ſelbſt fuͤhlte, und es nicht verſchmaͤhte in der Art groß
zu ſeyn wozu er ausgeruͤſtet war, beweiſen grade ſeine
Nachahmungen und Erborgungen, ſo wie ſein Mißfallen
am eignen Werk als es ſchon allgemeine Bewunderung ge-
noß. Wer muͤhſelig und zuſammenſetzend arbeitet iſt ſich
der Ritzen und Spalten bewußt welche ſorgſames Glaͤt-
ten nur dem ungeuͤbten Auge verbirgt, und von denen
das Werk des Meiſters frey iſt, das im großen Guſſe her-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/160>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.