Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811.

Bild:
<< vorherige Seite

lesene griechische Gedichte verwebte, aus denen die Römer
und Latiner sie sich hätten aneignen können, wie es aller-
dings mit der Mythe von Odysseus Aufenthalt auf Circes
Insel geschah; den die aus Tusculum, wo sie adlich, viel-
leicht königlich, gewesen war, nach Rom verpflanzte Ma-
milische Familie für ihren Ahnherrn durch Telegonus aus-
gab, und ihre Denarien mit seinem Bilde bezeichnete.
Hätten sie diese Meinung auch früher aufgestellt als die
griechischen Fabeln in Rom griechisch gelesen und lateinisch
nachgesungen wurden, so waren diese auch durch die
Etrusker sicher viel früher bekannt: die welche Odysseus
betrafen, nahmen die Latiner leicht auf; leicht konnte Fa-
milienstolz es wagen das Geschlecht alter Fürsten auf Te-
legonus zurückzuführen, und diesen Tusculums Erbauer
zu nennen. So weit es aber möglich ist der troischen
Sage bey den Griechen nachzuforschen, erscheint sie zuerst
in Sicilien bey dem Himeräischen Dichter, und ist folg-
lich wahrscheinlicher entweder von den benachbarten Ely-
mern, welche, wie die Ruinen von Egesta, ihre Münzen,
und ihr großer Verkehr mit den Griechen, namentlich
Athen, beweisen, ganz zu Griechen veredelt waren; oder
aus Latium selbst zu den Sikelioten gekommen. Immer
kann man die Möglichkeit einräumen daß vom Anfang
der Römischen Litteratur die Schriftsteller verführt seyn
konnten, den Ursprung ihrer Nation in griechische My-
then zu verweben: Ennius mag immerhin gar nichts gel-
ten: doch dürfen wir Dionysius glauben, daß nicht nur
die ältesten Römischen Annalisten, sondern die alten
Schriften welche sie zum Grunde legten, alle ganz ein-

leſene griechiſche Gedichte verwebte, aus denen die Roͤmer
und Latiner ſie ſich haͤtten aneignen koͤnnen, wie es aller-
dings mit der Mythe von Odyſſeus Aufenthalt auf Circes
Inſel geſchah; den die aus Tuſculum, wo ſie adlich, viel-
leicht koͤniglich, geweſen war, nach Rom verpflanzte Ma-
miliſche Familie fuͤr ihren Ahnherrn durch Telegonus aus-
gab, und ihre Denarien mit ſeinem Bilde bezeichnete.
Haͤtten ſie dieſe Meinung auch fruͤher aufgeſtellt als die
griechiſchen Fabeln in Rom griechiſch geleſen und lateiniſch
nachgeſungen wurden, ſo waren dieſe auch durch die
Etrusker ſicher viel fruͤher bekannt: die welche Odyſſeus
betrafen, nahmen die Latiner leicht auf; leicht konnte Fa-
milienſtolz es wagen das Geſchlecht alter Fuͤrſten auf Te-
legonus zuruͤckzufuͤhren, und dieſen Tuſculums Erbauer
zu nennen. So weit es aber moͤglich iſt der troiſchen
Sage bey den Griechen nachzuforſchen, erſcheint ſie zuerſt
in Sicilien bey dem Himeraͤiſchen Dichter, und iſt folg-
lich wahrſcheinlicher entweder von den benachbarten Ely-
mern, welche, wie die Ruinen von Egeſta, ihre Muͤnzen,
und ihr großer Verkehr mit den Griechen, namentlich
Athen, beweiſen, ganz zu Griechen veredelt waren; oder
aus Latium ſelbſt zu den Sikelioten gekommen. Immer
kann man die Moͤglichkeit einraͤumen daß vom Anfang
der Roͤmiſchen Litteratur die Schriftſteller verfuͤhrt ſeyn
konnten, den Urſprung ihrer Nation in griechiſche My-
then zu verweben: Ennius mag immerhin gar nichts gel-
ten: doch duͤrfen wir Dionyſius glauben, daß nicht nur
die aͤlteſten Roͤmiſchen Annaliſten, ſondern die alten
Schriften welche ſie zum Grunde legten, alle ganz ein-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0155" n="133"/>
le&#x017F;ene griechi&#x017F;che Gedichte verwebte, aus denen die Ro&#x0364;mer<lb/>
und Latiner &#x017F;ie &#x017F;ich ha&#x0364;tten aneignen ko&#x0364;nnen, wie es aller-<lb/>
dings mit der Mythe von Ody&#x017F;&#x017F;eus Aufenthalt auf Circes<lb/>
In&#x017F;el ge&#x017F;chah; den die aus Tu&#x017F;culum, wo &#x017F;ie adlich, viel-<lb/>
leicht ko&#x0364;niglich, gewe&#x017F;en war, nach Rom verpflanzte Ma-<lb/>
mili&#x017F;che Familie fu&#x0364;r ihren Ahnherrn durch Telegonus aus-<lb/>
gab, und ihre Denarien mit &#x017F;einem Bilde bezeichnete.<lb/>
Ha&#x0364;tten &#x017F;ie die&#x017F;e Meinung auch fru&#x0364;her aufge&#x017F;tellt als die<lb/>
griechi&#x017F;chen Fabeln in Rom griechi&#x017F;ch gele&#x017F;en und lateini&#x017F;ch<lb/>
nachge&#x017F;ungen wurden, &#x017F;o waren die&#x017F;e auch durch die<lb/>
Etrusker &#x017F;icher viel fru&#x0364;her bekannt: die welche Ody&#x017F;&#x017F;eus<lb/>
betrafen, nahmen die Latiner leicht auf; leicht konnte Fa-<lb/>
milien&#x017F;tolz es wagen das Ge&#x017F;chlecht alter Fu&#x0364;r&#x017F;ten auf Te-<lb/>
legonus zuru&#x0364;ckzufu&#x0364;hren, und die&#x017F;en Tu&#x017F;culums Erbauer<lb/>
zu nennen. So weit es aber mo&#x0364;glich i&#x017F;t der troi&#x017F;chen<lb/>
Sage bey den Griechen nachzufor&#x017F;chen, er&#x017F;cheint &#x017F;ie zuer&#x017F;t<lb/>
in Sicilien bey dem Himera&#x0364;i&#x017F;chen Dichter, und i&#x017F;t folg-<lb/>
lich wahr&#x017F;cheinlicher entweder von den benachbarten Ely-<lb/>
mern, welche, wie die Ruinen von Ege&#x017F;ta, ihre Mu&#x0364;nzen,<lb/>
und ihr großer Verkehr mit den Griechen, namentlich<lb/>
Athen, bewei&#x017F;en, ganz zu Griechen veredelt waren; oder<lb/>
aus Latium &#x017F;elb&#x017F;t zu den Sikelioten gekommen. Immer<lb/>
kann man die Mo&#x0364;glichkeit einra&#x0364;umen daß vom Anfang<lb/>
der Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Litteratur die Schrift&#x017F;teller verfu&#x0364;hrt &#x017F;eyn<lb/>
konnten, den Ur&#x017F;prung ihrer Nation in griechi&#x017F;che My-<lb/>
then zu verweben: Ennius mag immerhin gar nichts gel-<lb/>
ten: doch du&#x0364;rfen wir Diony&#x017F;ius glauben, daß nicht nur<lb/>
die a&#x0364;lte&#x017F;ten Ro&#x0364;mi&#x017F;chen Annali&#x017F;ten, &#x017F;ondern die alten<lb/>
Schriften welche &#x017F;ie zum Grunde legten, alle ganz ein-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[133/0155] leſene griechiſche Gedichte verwebte, aus denen die Roͤmer und Latiner ſie ſich haͤtten aneignen koͤnnen, wie es aller- dings mit der Mythe von Odyſſeus Aufenthalt auf Circes Inſel geſchah; den die aus Tuſculum, wo ſie adlich, viel- leicht koͤniglich, geweſen war, nach Rom verpflanzte Ma- miliſche Familie fuͤr ihren Ahnherrn durch Telegonus aus- gab, und ihre Denarien mit ſeinem Bilde bezeichnete. Haͤtten ſie dieſe Meinung auch fruͤher aufgeſtellt als die griechiſchen Fabeln in Rom griechiſch geleſen und lateiniſch nachgeſungen wurden, ſo waren dieſe auch durch die Etrusker ſicher viel fruͤher bekannt: die welche Odyſſeus betrafen, nahmen die Latiner leicht auf; leicht konnte Fa- milienſtolz es wagen das Geſchlecht alter Fuͤrſten auf Te- legonus zuruͤckzufuͤhren, und dieſen Tuſculums Erbauer zu nennen. So weit es aber moͤglich iſt der troiſchen Sage bey den Griechen nachzuforſchen, erſcheint ſie zuerſt in Sicilien bey dem Himeraͤiſchen Dichter, und iſt folg- lich wahrſcheinlicher entweder von den benachbarten Ely- mern, welche, wie die Ruinen von Egeſta, ihre Muͤnzen, und ihr großer Verkehr mit den Griechen, namentlich Athen, beweiſen, ganz zu Griechen veredelt waren; oder aus Latium ſelbſt zu den Sikelioten gekommen. Immer kann man die Moͤglichkeit einraͤumen daß vom Anfang der Roͤmiſchen Litteratur die Schriftſteller verfuͤhrt ſeyn konnten, den Urſprung ihrer Nation in griechiſche My- then zu verweben: Ennius mag immerhin gar nichts gel- ten: doch duͤrfen wir Dionyſius glauben, daß nicht nur die aͤlteſten Roͤmiſchen Annaliſten, ſondern die alten Schriften welche ſie zum Grunde legten, alle ganz ein-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/155
Zitationshilfe: Niebuhr, Barthold Georg: Römische Geschichte. T. 1. Berlin, 1811, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/niebuhr_roemische01_1811/155>, abgerufen am 22.11.2024.