"der Lehrmeinung rechtschaffen seyn kann, warum "willst du, daß man es allein bey der orthodoxen lutheri- "schen Lehre nicht seyn könne, die von frommen Leuten "in Form gebracht worden, die die Kirche ange- "nommen und die Obrigkeit bestätigt hat?'
,Guter Alter!' versetzte Sebaldus, etwas stamm- lend, ,wenn du so viel Ungemach von herrschenden "Rechtgläubigen erlitten hättest, als ich, so würdest "du die Frage nicht thun. Sie verdammen den, der "anders denkt als sie, in alle Ewigkeit, und hier "auf Erden, hassen sie ihn als einen Verdammten, und "vertreiben ihn, so weit sie ihn erreichen können.'
,Und das thun alle? Kennst du sie alle? Freylich, "mein Freund! wer herrschen will, wird verfolgen. "Auch ich lebe unter einer herrschenden Kirche, die "verfolgt, so weit es die Obrigkeit zuläßet. Aber da- "zu treibt nicht Lehre, sondern Herrschsucht und "Rechthaberey. Du hast Ungemach erlitten, von "heftigen und herrschsüchtigen Männern, die orthodox "waren. Freund! Hast du noch keinen Heterodoxen "gesehen, der auch herrschsüchtig war? -- Denn hät- "test du weniger Erfahrung als ich. Jch habe schon "oft mit dem ersten Keime der Heterodoxie, auch "Eigendünkel und Rechthaberey aufsprießen sehen.'
Sebal-
„der Lehrmeinung rechtſchaffen ſeyn kann, warum „willſt du, daß man es allein bey der orthodoxen lutheri- „ſchen Lehre nicht ſeyn koͤnne, die von frommen Leuten „in Form gebracht worden, die die Kirche ange- „nommen und die Obrigkeit beſtaͤtigt hat?‛
‚Guter Alter!‛ verſetzte Sebaldus, etwas ſtamm- lend, ‚wenn du ſo viel Ungemach von herrſchenden „Rechtglaͤubigen erlitten haͤtteſt, als ich, ſo wuͤrdeſt „du die Frage nicht thun. Sie verdammen den, der „anders denkt als ſie, in alle Ewigkeit, und hier „auf Erden, haſſen ſie ihn als einen Verdammten, und „vertreiben ihn, ſo weit ſie ihn erreichen koͤnnen.‛
‚Und das thun alle? Kennſt du ſie alle? Freylich, „mein Freund! wer herrſchen will, wird verfolgen. „Auch ich lebe unter einer herrſchenden Kirche, die „verfolgt, ſo weit es die Obrigkeit zulaͤßet. Aber da- „zu treibt nicht Lehre, ſondern Herrſchſucht und „Rechthaberey. Du haſt Ungemach erlitten, von „heftigen und herrſchſuͤchtigen Maͤnnern, die orthodox „waren. Freund! Haſt du noch keinen Heterodoxen „geſehen, der auch herrſchſuͤchtig war? — Denn haͤt- „teſt du weniger Erfahrung als ich. Jch habe ſchon „oft mit dem erſten Keime der Heterodoxie, auch „Eigenduͤnkel und Rechthaberey aufſprießen ſehen.‛
Sebal-
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[12[11]/0020]
„der Lehrmeinung rechtſchaffen ſeyn kann, warum
„willſt du, daß man es allein bey der orthodoxen lutheri-
„ſchen Lehre nicht ſeyn koͤnne, die von frommen Leuten
„in Form gebracht worden, die die Kirche ange-
„nommen und die Obrigkeit beſtaͤtigt hat?‛
‚Guter Alter!‛ verſetzte Sebaldus, etwas ſtamm-
lend, ‚wenn du ſo viel Ungemach von herrſchenden
„Rechtglaͤubigen erlitten haͤtteſt, als ich, ſo wuͤrdeſt
„du die Frage nicht thun. Sie verdammen den, der
„anders denkt als ſie, in alle Ewigkeit, und hier
„auf Erden, haſſen ſie ihn als einen Verdammten, und
„vertreiben ihn, ſo weit ſie ihn erreichen koͤnnen.‛
‚Und das thun alle? Kennſt du ſie alle? Freylich,
„mein Freund! wer herrſchen will, wird verfolgen.
„Auch ich lebe unter einer herrſchenden Kirche, die
„verfolgt, ſo weit es die Obrigkeit zulaͤßet. Aber da-
„zu treibt nicht Lehre, ſondern Herrſchſucht und
„Rechthaberey. Du haſt Ungemach erlitten, von
„heftigen und herrſchſuͤchtigen Maͤnnern, die orthodox
„waren. Freund! Haſt du noch keinen Heterodoxen
„geſehen, der auch herrſchſuͤchtig war? — Denn haͤt-
„teſt du weniger Erfahrung als ich. Jch habe ſchon
„oft mit dem erſten Keime der Heterodoxie, auch
„Eigenduͤnkel und Rechthaberey aufſprießen ſehen.‛
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 12[11]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/20>, abgerufen am 16.02.2025.
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