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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776.

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Honig von seinen Lippen flossen. Daß sie sie nicht ver-
stand, that nichts zur Sache, sie machte doch einen
bescheidenen Knix, als ob sie sie verstünde, schlug ihre
großen Augen kurz auf und wieder nieder, und errö-
thete zuweilen, wenn etwas von Liebe, oder heidnischer
Mythologie vorkam. Säugling der dieses bemerkte,
und, einem Frauenzimmer zu gefallen, gern alle Gestal-
ten annahm, versuchte einige geistliche Lieder nach be-
kannten Melodien zu machen. Dieses gelang ihm über
Vermuthen. Denn die Jungfer Anastasia, begann
sie nicht allein mit vieler Begierde zu lesen, und sang
sie ihm mit ihrem schönen Munde vor, sondern die
Frau Gertrudtinn fand auch so viel Salbung da-
rinn, daß sie, aus eignem Betriebe, sich dahin zu
verwenden versprach, daß diese Lieder in ein Gesang-
buch, von welchem im Herzogthume Jülich eine ver-
besserte und vermehrte Auflage besorgt werden sollte,
eingerückt würden. Eine Hofnung, welche Säug-
lings
kleiner Eitelkeit nicht wenig schmeichelte.

Auf diese Art ward der Umgang zwischen Säug-
lingen
und der Jungfer Anastasia täglich genauer,
und die schüchterne Anastasia, ward, obgleich in
aller Ehrbarkeit, etwas gesprächiger und unterhalten-
der, welches beiderseits Eltern sehr wohl gefiel. Denn
Säugling der Vater, der den Reichthum der Frau

Gertrud-



Honig von ſeinen Lippen floſſen. Daß ſie ſie nicht ver-
ſtand, that nichts zur Sache, ſie machte doch einen
beſcheidenen Knix, als ob ſie ſie verſtuͤnde, ſchlug ihre
großen Augen kurz auf und wieder nieder, und erroͤ-
thete zuweilen, wenn etwas von Liebe, oder heidniſcher
Mythologie vorkam. Saͤugling der dieſes bemerkte,
und, einem Frauenzimmer zu gefallen, gern alle Geſtal-
ten annahm, verſuchte einige geiſtliche Lieder nach be-
kannten Melodien zu machen. Dieſes gelang ihm uͤber
Vermuthen. Denn die Jungfer Anaſtaſia, begann
ſie nicht allein mit vieler Begierde zu leſen, und ſang
ſie ihm mit ihrem ſchoͤnen Munde vor, ſondern die
Frau Gertrudtinn fand auch ſo viel Salbung da-
rinn, daß ſie, aus eignem Betriebe, ſich dahin zu
verwenden verſprach, daß dieſe Lieder in ein Geſang-
buch, von welchem im Herzogthume Juͤlich eine ver-
beſſerte und vermehrte Auflage beſorgt werden ſollte,
eingeruͤckt wuͤrden. Eine Hofnung, welche Saͤug-
lings
kleiner Eitelkeit nicht wenig ſchmeichelte.

Auf dieſe Art ward der Umgang zwiſchen Saͤug-
lingen
und der Jungfer Anaſtaſia taͤglich genauer,
und die ſchuͤchterne Anaſtaſia, ward, obgleich in
aller Ehrbarkeit, etwas geſpraͤchiger und unterhalten-
der, welches beiderſeits Eltern ſehr wohl gefiel. Denn
Saͤugling der Vater, der den Reichthum der Frau

Gertrud-
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[118[117]/0128] Honig von ſeinen Lippen floſſen. Daß ſie ſie nicht ver- ſtand, that nichts zur Sache, ſie machte doch einen beſcheidenen Knix, als ob ſie ſie verſtuͤnde, ſchlug ihre großen Augen kurz auf und wieder nieder, und erroͤ- thete zuweilen, wenn etwas von Liebe, oder heidniſcher Mythologie vorkam. Saͤugling der dieſes bemerkte, und, einem Frauenzimmer zu gefallen, gern alle Geſtal- ten annahm, verſuchte einige geiſtliche Lieder nach be- kannten Melodien zu machen. Dieſes gelang ihm uͤber Vermuthen. Denn die Jungfer Anaſtaſia, begann ſie nicht allein mit vieler Begierde zu leſen, und ſang ſie ihm mit ihrem ſchoͤnen Munde vor, ſondern die Frau Gertrudtinn fand auch ſo viel Salbung da- rinn, daß ſie, aus eignem Betriebe, ſich dahin zu verwenden verſprach, daß dieſe Lieder in ein Geſang- buch, von welchem im Herzogthume Juͤlich eine ver- beſſerte und vermehrte Auflage beſorgt werden ſollte, eingeruͤckt wuͤrden. Eine Hofnung, welche Saͤug- lings kleiner Eitelkeit nicht wenig ſchmeichelte. Auf dieſe Art ward der Umgang zwiſchen Saͤug- lingen und der Jungfer Anaſtaſia taͤglich genauer, und die ſchuͤchterne Anaſtaſia, ward, obgleich in aller Ehrbarkeit, etwas geſpraͤchiger und unterhalten- der, welches beiderſeits Eltern ſehr wohl gefiel. Denn Saͤugling der Vater, der den Reichthum der Frau Gertrud-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 3. Berlin u. a., 1776, S. 118[117]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker03_1776/128>, abgerufen am 28.11.2024.