"nur eine ganz kleine Strecke durch seinen Fleiß bah- "net, ist mir ehrwürdig. Aber nicht derjenige, der "aus Stolz den Weg gar nicht antreten will, der aus "Trägheit, um nicht einen Schritt weiter zu gehen, "die Falschheit die vor den Füßen liegt, für Wahr- "heit ausgiebt.'
,Also, rief der Prediger mit einem spöttischen Lä- "cheln aus, wollen Sie erst neue Wege zur Wahrheit "bahnen? Sie kommen zu spät, mein lieder Herr! der "Weg ist schon ganz gebahnt; er heißt die Bibel. "Und dabey haben uns unsere Vorfahren einen ganz "untrüglichen Wegweiser gesetzt, der heißt die sym- "bolischen Bücher. Die haben Sie freylich, vermuth- "licher Weise, nicht gelesen, denn die Herren Selbst- "denker pflegen nicht sehr belesen zu seyn. Wenn Sie "mich zuweilen besuchen wollen, so können Sie sich "näher belehren. Jch will Jhnen unsere ältern Theo- "logen zu lesen geben, denn die werden ihnen wohl "gänzlich unbekannt seyn. Sie werden darinn, zu "Jhrer Verwunderung, alle Streitfragen längst er- "örtert, alle Zweifel längst bestimmt, und alle die "neuen Meinungen, auf die sich die neuen Hetero- "doxen so viel zu Gute thun, längst widerlegt finden. "Leben Sie wohl, mein lieber Herr! -- Jch wohne in "der ... Straße.'
Hiemit
”nur eine ganz kleine Strecke durch ſeinen Fleiß bah- ”net, iſt mir ehrwuͤrdig. Aber nicht derjenige, der ”aus Stolz den Weg gar nicht antreten will, der aus ”Traͤgheit, um nicht einen Schritt weiter zu gehen, ”die Falſchheit die vor den Fuͤßen liegt, fuͤr Wahr- ”heit ausgiebt.‛
‚Alſo, rief der Prediger mit einem ſpoͤttiſchen Laͤ- ”cheln aus, wollen Sie erſt neue Wege zur Wahrheit ”bahnen? Sie kommen zu ſpaͤt, mein lieder Herr! der ”Weg iſt ſchon ganz gebahnt; er heißt die Bibel. ”Und dabey haben uns unſere Vorfahren einen ganz ”untruͤglichen Wegweiſer geſetzt, der heißt die ſym- ”boliſchen Buͤcher. Die haben Sie freylich, vermuth- ”licher Weiſe, nicht geleſen, denn die Herren Selbſt- ”denker pflegen nicht ſehr beleſen zu ſeyn. Wenn Sie ”mich zuweilen beſuchen wollen, ſo koͤnnen Sie ſich ”naͤher belehren. Jch will Jhnen unſere aͤltern Theo- ”logen zu leſen geben, denn die werden ihnen wohl ”gaͤnzlich unbekannt ſeyn. Sie werden darinn, zu ”Jhrer Verwunderung, alle Streitfragen laͤngſt er- ”oͤrtert, alle Zweifel laͤngſt beſtimmt, und alle die ”neuen Meinungen, auf die ſich die neuen Hetero- ”doxen ſo viel zu Gute thun, laͤngſt widerlegt finden. ”Leben Sie wohl, mein lieber Herr! — Jch wohne in ”der … Straße.‛
Hiemit
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”nur eine ganz kleine Strecke durch ſeinen Fleiß bah-
”net, iſt mir ehrwuͤrdig. Aber nicht derjenige, der
”aus Stolz den Weg gar nicht antreten will, der aus
”Traͤgheit, um nicht einen Schritt weiter zu gehen,
”die Falſchheit die vor den Fuͤßen liegt, fuͤr Wahr-
”heit ausgiebt.‛
‚Alſo, rief der Prediger mit einem ſpoͤttiſchen Laͤ-
”cheln aus, wollen Sie erſt neue Wege zur Wahrheit
”bahnen? Sie kommen zu ſpaͤt, mein lieder Herr! der
”Weg iſt ſchon ganz gebahnt; er heißt die Bibel.
”Und dabey haben uns unſere Vorfahren einen ganz
”untruͤglichen Wegweiſer geſetzt, der heißt die ſym-
”boliſchen Buͤcher. Die haben Sie freylich, vermuth-
”licher Weiſe, nicht geleſen, denn die Herren Selbſt-
”denker pflegen nicht ſehr beleſen zu ſeyn. Wenn Sie
”mich zuweilen beſuchen wollen, ſo koͤnnen Sie ſich
”naͤher belehren. Jch will Jhnen unſere aͤltern Theo-
”logen zu leſen geben, denn die werden ihnen wohl
”gaͤnzlich unbekannt ſeyn. Sie werden darinn, zu
”Jhrer Verwunderung, alle Streitfragen laͤngſt er-
”oͤrtert, alle Zweifel laͤngſt beſtimmt, und alle die
”neuen Meinungen, auf die ſich die neuen Hetero-
”doxen ſo viel zu Gute thun, laͤngſt widerlegt finden.
”Leben Sie wohl, mein lieber Herr! — Jch wohne in
”der … Straße.‛
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/92>, abgerufen am 26.07.2024.
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