Unter solchen Gesprächen hatten sie sich unvermerkt von ihrem Spaziergange linker Hand abgeschla- gen, und waren in die Lindenallee gerathen, wo sie sich ziemlich ermüdet auf eine Bank niedersetzten, an deren anderm Ende ein Prediger mit einem Kandi- daten in tiefem Gespräche saß.
,Es müssen doch noch einige andere Ursachen seyn, "sagte der Kandidat, warum die Freydenkerey so sehr "in Berlin überhand genommen hat. Ueppigkeit und "Wollust gehen in andern großen Städten auch im "Schwange, aber man siehet da nicht so viele öffent- "liche Freydenker.'
,Freylich, versetzte der Prediger, unsere schönen hete- "rodoxen Herren, die die Religion so menschlich machen "wollen, und die dabey die Würde unseres Standes ganz "aus der Acht lassen, sind am meisten Schuld daran. "Sie wollen den Freydenkern nachgeben, sie wollen sie "gewinnen. Als ob es sich für uns schickte, mit Leuten "solches Gelichters Wortwechsel zu führen. Man muß "ihnen kurz und nachdrücklich den Text lesen, man muß "ihnen das Maul stopfen, man muß sich bey ihnen "in der Ehrfurcht zu erhalten wissen, die sie uns schul- "dig sind.'
,Das
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Siebenter Abſchnitt.
Unter ſolchen Geſpraͤchen hatten ſie ſich unvermerkt von ihrem Spaziergange linker Hand abgeſchla- gen, und waren in die Lindenallee gerathen, wo ſie ſich ziemlich ermuͤdet auf eine Bank niederſetzten, an deren anderm Ende ein Prediger mit einem Kandi- daten in tiefem Geſpraͤche ſaß.
‚Es muͤſſen doch noch einige andere Urſachen ſeyn, ”ſagte der Kandidat, warum die Freydenkerey ſo ſehr ”in Berlin uͤberhand genommen hat. Ueppigkeit und ”Wolluſt gehen in andern großen Staͤdten auch im ”Schwange, aber man ſiehet da nicht ſo viele oͤffent- ”liche Freydenker.‛
‚Freylich, verſetzte der Prediger, unſere ſchoͤnen hete- ”rodoxen Herren, die die Religion ſo menſchlich machen ”wollen, und die dabey die Wuͤrde unſeres Standes ganz ”aus der Acht laſſen, ſind am meiſten Schuld daran. ”Sie wollen den Freydenkern nachgeben, ſie wollen ſie ”gewinnen. Als ob es ſich fuͤr uns ſchickte, mit Leuten ”ſolches Gelichters Wortwechſel zu fuͤhren. Man muß ”ihnen kurz und nachdruͤcklich den Text leſen, man muß ”ihnen das Maul ſtopfen, man muß ſich bey ihnen ”in der Ehrfurcht zu erhalten wiſſen, die ſie uns ſchul- ”dig ſind.‛
‚Das
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Siebenter Abſchnitt.
Unter ſolchen Geſpraͤchen hatten ſie ſich unvermerkt
von ihrem Spaziergange linker Hand abgeſchla-
gen, und waren in die Lindenallee gerathen, wo ſie
ſich ziemlich ermuͤdet auf eine Bank niederſetzten, an
deren anderm Ende ein Prediger mit einem Kandi-
daten in tiefem Geſpraͤche ſaß.
‚Es muͤſſen doch noch einige andere Urſachen ſeyn,
”ſagte der Kandidat, warum die Freydenkerey ſo ſehr
”in Berlin uͤberhand genommen hat. Ueppigkeit und
”Wolluſt gehen in andern großen Staͤdten auch im
”Schwange, aber man ſiehet da nicht ſo viele oͤffent-
”liche Freydenker.‛
‚Freylich, verſetzte der Prediger, unſere ſchoͤnen hete-
”rodoxen Herren, die die Religion ſo menſchlich machen
”wollen, und die dabey die Wuͤrde unſeres Standes ganz
”aus der Acht laſſen, ſind am meiſten Schuld daran.
”Sie wollen den Freydenkern nachgeben, ſie wollen ſie
”gewinnen. Als ob es ſich fuͤr uns ſchickte, mit Leuten
”ſolches Gelichters Wortwechſel zu fuͤhren. Man muß
”ihnen kurz und nachdruͤcklich den Text leſen, man muß
”ihnen das Maul ſtopfen, man muß ſich bey ihnen
”in der Ehrfurcht zu erhalten wiſſen, die ſie uns ſchul-
”dig ſind.‛
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/85>, abgerufen am 05.07.2024.
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