"anmerkt, daß sie niemals weder Orthodoxie noch "Heterodoxie untersucht haben, bey denen es hinge- "gen festgesetzt bleibt, daß alles darinn bleiben foll, "wie es war. Es giebt unter ihnen so gar deliirte "Weltleute, die scherzen, Karten spielen, mit Frauen- "zimmern tändeln, und doch die Nase rümpfen kön- "nen, wenn sich die geringste Ketzerey spüren läßt.
,Dieß sollte mir herzlich leid thun, sagte Sebal- "dus; denn wenn solcher Leute in Berlin viele sind, "so kömmt mir Jhre Nachricht nur allzu glaubwür- "dig vor, daß hier die Erleuchtung und die Frey- "heit zu denken noch nicht so groß ist, als ich mir "vorgestellt habe. Jch habe immer gefunden, daß "diejenigen, die aus Trägheit und Nachläßigkeit die "Wahrheit nicht suchen wollen, die Selbstdenker am "meisten hassen, weil sie sich sonst ihrer Trägheit und "Nachläßigkeit schämen müßten. Mir ist aber immer, "selbst derjenige, viel ehrwürdiger gewesen, der, durch "Liebe zur Untersuchung der Wahrheit, auf Jrrthü- "mer verfällt, als derjenige, der sie gar nicht unter- "suchen mag.'
,Jn diesen Gesinnungen werden viele Einwohner "Berlins nicht mit Jhnen übereinstimmen, und viel- "leicht nicht einmal alle Berlinischen Geistlichen.'
Sieben-
”anmerkt, daß ſie niemals weder Orthodoxie noch ”Heterodoxie unterſucht haben, bey denen es hinge- ”gen feſtgeſetzt bleibt, daß alles darinn bleiben foll, ”wie es war. Es giebt unter ihnen ſo gar deliirte ”Weltleute, die ſcherzen, Karten ſpielen, mit Frauen- ”zimmern taͤndeln, und doch die Naſe ruͤmpfen koͤn- ”nen, wenn ſich die geringſte Ketzerey ſpuͤren laͤßt.
‚Dieß ſollte mir herzlich leid thun, ſagte Sebal- ”dus; denn wenn ſolcher Leute in Berlin viele ſind, ”ſo koͤmmt mir Jhre Nachricht nur allzu glaubwuͤr- ”dig vor, daß hier die Erleuchtung und die Frey- ”heit zu denken noch nicht ſo groß iſt, als ich mir ”vorgeſtellt habe. Jch habe immer gefunden, daß ”diejenigen, die aus Traͤgheit und Nachlaͤßigkeit die ”Wahrheit nicht ſuchen wollen, die Selbſtdenker am ”meiſten haſſen, weil ſie ſich ſonſt ihrer Traͤgheit und ”Nachlaͤßigkeit ſchaͤmen muͤßten. Mir iſt aber immer, ”ſelbſt derjenige, viel ehrwuͤrdiger geweſen, der, durch ”Liebe zur Unterſuchung der Wahrheit, auf Jrrthuͤ- ”mer verfaͤllt, als derjenige, der ſie gar nicht unter- ”ſuchen mag.‛
‚Jn dieſen Geſinnungen werden viele Einwohner ”Berlins nicht mit Jhnen uͤbereinſtimmen, und viel- ”leicht nicht einmal alle Berliniſchen Geiſtlichen.‛
Sieben-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0084"n="78"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>”anmerkt, daß ſie niemals weder Orthodoxie noch<lb/>”Heterodoxie unterſucht haben, bey denen es hinge-<lb/>”gen feſtgeſetzt bleibt, daß alles darinn bleiben foll,<lb/>”wie es war. Es giebt unter ihnen ſo gar <hirendition="#fr">deliirte<lb/>”Weltleute,</hi> die ſcherzen, Karten ſpielen, mit Frauen-<lb/>”zimmern taͤndeln, und doch die Naſe ruͤmpfen koͤn-<lb/>”nen, wenn ſich die geringſte Ketzerey ſpuͤren laͤßt.</p><lb/><p>‚Dieß ſollte mir herzlich leid thun, ſagte <hirendition="#fr">Sebal-<lb/>”dus;</hi> denn wenn ſolcher Leute in Berlin viele ſind,<lb/>”ſo koͤmmt mir Jhre Nachricht nur allzu glaubwuͤr-<lb/>”dig vor, daß hier die Erleuchtung und die Frey-<lb/>”heit zu denken noch nicht ſo groß iſt, als ich mir<lb/>”vorgeſtellt habe. Jch habe immer gefunden, daß<lb/>”diejenigen, die aus Traͤgheit und Nachlaͤßigkeit die<lb/>”Wahrheit nicht ſuchen wollen, die Selbſtdenker am<lb/>”meiſten haſſen, weil ſie ſich ſonſt ihrer Traͤgheit und<lb/>”Nachlaͤßigkeit ſchaͤmen muͤßten. Mir iſt aber immer,<lb/>”ſelbſt derjenige, viel ehrwuͤrdiger geweſen, der, durch<lb/>”Liebe zur Unterſuchung der Wahrheit, auf Jrrthuͤ-<lb/>”mer verfaͤllt, als derjenige, der ſie gar nicht unter-<lb/>”ſuchen mag.‛</p><lb/><p>‚Jn dieſen Geſinnungen werden viele Einwohner<lb/>”Berlins nicht mit Jhnen uͤbereinſtimmen, und viel-<lb/>”leicht nicht einmal alle Berliniſchen Geiſtlichen.‛</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Sieben-</hi></fw><lb/></div></body></text></TEI>
[78/0084]
”anmerkt, daß ſie niemals weder Orthodoxie noch
”Heterodoxie unterſucht haben, bey denen es hinge-
”gen feſtgeſetzt bleibt, daß alles darinn bleiben foll,
”wie es war. Es giebt unter ihnen ſo gar deliirte
”Weltleute, die ſcherzen, Karten ſpielen, mit Frauen-
”zimmern taͤndeln, und doch die Naſe ruͤmpfen koͤn-
”nen, wenn ſich die geringſte Ketzerey ſpuͤren laͤßt.
‚Dieß ſollte mir herzlich leid thun, ſagte Sebal-
”dus; denn wenn ſolcher Leute in Berlin viele ſind,
”ſo koͤmmt mir Jhre Nachricht nur allzu glaubwuͤr-
”dig vor, daß hier die Erleuchtung und die Frey-
”heit zu denken noch nicht ſo groß iſt, als ich mir
”vorgeſtellt habe. Jch habe immer gefunden, daß
”diejenigen, die aus Traͤgheit und Nachlaͤßigkeit die
”Wahrheit nicht ſuchen wollen, die Selbſtdenker am
”meiſten haſſen, weil ſie ſich ſonſt ihrer Traͤgheit und
”Nachlaͤßigkeit ſchaͤmen muͤßten. Mir iſt aber immer,
”ſelbſt derjenige, viel ehrwuͤrdiger geweſen, der, durch
”Liebe zur Unterſuchung der Wahrheit, auf Jrrthuͤ-
”mer verfaͤllt, als derjenige, der ſie gar nicht unter-
”ſuchen mag.‛
‚Jn dieſen Geſinnungen werden viele Einwohner
”Berlins nicht mit Jhnen uͤbereinſtimmen, und viel-
”leicht nicht einmal alle Berliniſchen Geiſtlichen.‛
Sieben-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/84>, abgerufen am 05.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.