"in der Nähe einen weiblichen Schrey. Eine Frau, "mit einem vierteljährigen Kinde im Mantel, schleppte "sich zu uns, drey kleine Kinder in Lumpen folgten "ihr. "Mann! was willst du machen!" ,schrie sie, "und sank halb todt zu meinen Füßen.'
"Dich und deine Kinder nicht vor meinen Augen "verschmachten sehen!" rief er mit wildem Tone.'
,Jch suchte diese Leute zu besänstigen, ich setzte mich "zu ihnen nieder, fragte wie sie hieher kämen, und "was dieß alles bedeuten sollte?'
"Lieber Herr! sagte der Mann, nachdem er ein "wenig Athem geschöpft hatte, ich bin ein Baum- "wollenweber. Jch wohnte in einem Flecken in "Böhmen, ich hatte sonst mein gutes Auskommen, "aber unser Gutsherr war ein harter Mann, er "wollte uns nicht Gott nach unserm Glauben dienen "lassen, wir sollten in die Messe gehen, und wir "hielten dieß wider unser Gewissen. Jch will mich "aufmachen, sagte ich, und in ein protestantisches "Land gehen, wo ich Gewissensfreyheit habe. Jch "flüchtete, ich kam bis in eine einige Meilen von "hier entfernte Stadt, ich ward wohl aufgenommen, "und konnte frey in die Kirche gehen. Doch es ist "nicht genug in die Kirche zu gehen, man muß auch "Frau und Kinder ernähren. Jch fieng also an mit
"Mühe
”in der Naͤhe einen weiblichen Schrey. Eine Frau, ”mit einem vierteljaͤhrigen Kinde im Mantel, ſchleppte ”ſich zu uns, drey kleine Kinder in Lumpen folgten ”ihr. „Mann! was willſt du machen!‟ ‚ſchrie ſie, ”und ſank halb todt zu meinen Fuͤßen.‛
„Dich und deine Kinder nicht vor meinen Augen ”verſchmachten ſehen!‟ rief er mit wildem Tone.‛
‚Jch ſuchte dieſe Leute zu beſaͤnſtigen, ich ſetzte mich ”zu ihnen nieder, fragte wie ſie hieher kaͤmen, und ”was dieß alles bedeuten ſollte?‛
„Lieber Herr! ſagte der Mann, nachdem er ein ”wenig Athem geſchoͤpft hatte, ich bin ein Baum- ”wollenweber. Jch wohnte in einem Flecken in ”Boͤhmen, ich hatte ſonſt mein gutes Auskommen, ”aber unſer Gutsherr war ein harter Mann, er ”wollte uns nicht Gott nach unſerm Glauben dienen ”laſſen, wir ſollten in die Meſſe gehen, und wir ”hielten dieß wider unſer Gewiſſen. Jch will mich ”aufmachen, ſagte ich, und in ein proteſtantiſches ”Land gehen, wo ich Gewiſſensfreyheit habe. Jch ”fluͤchtete, ich kam bis in eine einige Meilen von ”hier entfernte Stadt, ich ward wohl aufgenommen, ”und konnte frey in die Kirche gehen. Doch es iſt ”nicht genug in die Kirche zu gehen, man muß auch ”Frau und Kinder ernaͤhren. Jch fieng alſo an mit
”Muͤhe
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0070"n="64"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>”in der Naͤhe einen weiblichen Schrey. Eine Frau,<lb/>”mit einem vierteljaͤhrigen Kinde im Mantel, ſchleppte<lb/>”ſich zu uns, drey kleine Kinder in Lumpen folgten<lb/>”ihr. „Mann! was willſt du machen!‟‚ſchrie ſie,<lb/>”und ſank halb todt zu meinen Fuͤßen.‛</p><lb/><p>„Dich und deine Kinder nicht vor meinen Augen<lb/>”verſchmachten ſehen!‟ rief er mit wildem Tone.‛</p><lb/><p>‚Jch ſuchte dieſe Leute zu beſaͤnſtigen, ich ſetzte mich<lb/>”zu ihnen nieder, fragte wie ſie hieher kaͤmen, und<lb/>”was dieß alles bedeuten ſollte?‛</p><lb/><p>„Lieber Herr! ſagte der Mann, nachdem er ein<lb/>”wenig Athem geſchoͤpft hatte, ich bin ein Baum-<lb/>”wollenweber. Jch wohnte in einem Flecken in<lb/>”Boͤhmen, ich hatte ſonſt mein gutes Auskommen,<lb/>”aber unſer Gutsherr war ein harter Mann, er<lb/>”wollte uns nicht Gott nach unſerm Glauben dienen<lb/>”laſſen, wir ſollten in die Meſſe gehen, und wir<lb/>”hielten dieß wider unſer Gewiſſen. Jch will mich<lb/>”aufmachen, ſagte ich, und in ein proteſtantiſches<lb/>”Land gehen, wo ich Gewiſſensfreyheit habe. Jch<lb/>”fluͤchtete, ich kam bis in eine einige Meilen von<lb/>”hier entfernte Stadt, ich ward wohl aufgenommen,<lb/>”und konnte frey in die Kirche gehen. Doch es iſt<lb/>”nicht genug in die Kirche zu gehen, man muß auch<lb/>”Frau und Kinder ernaͤhren. Jch fieng alſo an mit<lb/><fwplace="bottom"type="catch">”Muͤhe</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[64/0070]
”in der Naͤhe einen weiblichen Schrey. Eine Frau,
”mit einem vierteljaͤhrigen Kinde im Mantel, ſchleppte
”ſich zu uns, drey kleine Kinder in Lumpen folgten
”ihr. „Mann! was willſt du machen!‟ ‚ſchrie ſie,
”und ſank halb todt zu meinen Fuͤßen.‛
„Dich und deine Kinder nicht vor meinen Augen
”verſchmachten ſehen!‟ rief er mit wildem Tone.‛
‚Jch ſuchte dieſe Leute zu beſaͤnſtigen, ich ſetzte mich
”zu ihnen nieder, fragte wie ſie hieher kaͤmen, und
”was dieß alles bedeuten ſollte?‛
„Lieber Herr! ſagte der Mann, nachdem er ein
”wenig Athem geſchoͤpft hatte, ich bin ein Baum-
”wollenweber. Jch wohnte in einem Flecken in
”Boͤhmen, ich hatte ſonſt mein gutes Auskommen,
”aber unſer Gutsherr war ein harter Mann, er
”wollte uns nicht Gott nach unſerm Glauben dienen
”laſſen, wir ſollten in die Meſſe gehen, und wir
”hielten dieß wider unſer Gewiſſen. Jch will mich
”aufmachen, ſagte ich, und in ein proteſtantiſches
”Land gehen, wo ich Gewiſſensfreyheit habe. Jch
”fluͤchtete, ich kam bis in eine einige Meilen von
”hier entfernte Stadt, ich ward wohl aufgenommen,
”und konnte frey in die Kirche gehen. Doch es iſt
”nicht genug in die Kirche zu gehen, man muß auch
”Frau und Kinder ernaͤhren. Jch fieng alſo an mit
”Muͤhe
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/70>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.