Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."verbergen. Jch gieng den folgenden Morgen mit "Aufgange der Sonne zum Thore hinaus, um mei- "nen Gedanken nachzuhängen. Jch folgte der Land- "straße, die mich an einen Wald führte. Jch hatte "in demselben eine Zeitlang herum geirret, als mir "unvermuthet ein hagerer blasser Mensch entgegen "lief, dem die Verzweiflung an der Stirn geschrieben "war. Er hielt mir einen starken Knüttel vors Ge- "sicht, und foderte, mit einem schrecklichen Fluche, mein "Geld oder mein Leben. Jch war erschrocken, und "wehrlos. Jch gab ihm also meinen Beutel, der, "von einigen Thalern kleiner Münze schwer, mehr "werth schien, als er es war. Der Räuber sah ihn "mit starren Augen an, und rief: "Nein! das ist "zu viel!" ,Er band den Beutel auf, wollte etwas "heraus nehmen, aber die Hand zitterte ihm, er "warf den Knüttel weg, fiel vor mir auf die Knie, "hielt mir den Beutel vor, und schrie laut: "Nein! ich kann nicht! Nein! lieber Herr! ich ,Jch rief voll Entsetzen: "Nimm, Freund! ich bin "in E 2
”verbergen. Jch gieng den folgenden Morgen mit ”Aufgange der Sonne zum Thore hinaus, um mei- ”nen Gedanken nachzuhaͤngen. Jch folgte der Land- ”ſtraße, die mich an einen Wald fuͤhrte. Jch hatte ”in demſelben eine Zeitlang herum geirret, als mir ”unvermuthet ein hagerer blaſſer Menſch entgegen ”lief, dem die Verzweiflung an der Stirn geſchrieben ”war. Er hielt mir einen ſtarken Knuͤttel vors Ge- ”ſicht, und foderte, mit einem ſchrecklichen Fluche, mein ”Geld oder mein Leben. Jch war erſchrocken, und ”wehrlos. Jch gab ihm alſo meinen Beutel, der, ”von einigen Thalern kleiner Muͤnze ſchwer, mehr ”werth ſchien, als er es war. Der Raͤuber ſah ihn ”mit ſtarren Augen an, und rief: „Nein! das iſt ”zu viel!‟ ‚Er band den Beutel auf, wollte etwas ”heraus nehmen, aber die Hand zitterte ihm, er ”warf den Knuͤttel weg, fiel vor mir auf die Knie, ”hielt mir den Beutel vor, und ſchrie laut: „Nein! ich kann nicht! Nein! lieber Herr! ich ‚Jch rief voll Entſetzen: „Nimm, Freund! ich bin ”in E 2
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”verbergen. Jch gieng den folgenden Morgen mit
”Aufgange der Sonne zum Thore hinaus, um mei-
”nen Gedanken nachzuhaͤngen. Jch folgte der Land-
”ſtraße, die mich an einen Wald fuͤhrte. Jch hatte
”in demſelben eine Zeitlang herum geirret, als mir
”unvermuthet ein hagerer blaſſer Menſch entgegen
”lief, dem die Verzweiflung an der Stirn geſchrieben
”war. Er hielt mir einen ſtarken Knuͤttel vors Ge-
”ſicht, und foderte, mit einem ſchrecklichen Fluche, mein
”Geld oder mein Leben. Jch war erſchrocken, und
”wehrlos. Jch gab ihm alſo meinen Beutel, der,
”von einigen Thalern kleiner Muͤnze ſchwer, mehr
”werth ſchien, als er es war. Der Raͤuber ſah ihn
”mit ſtarren Augen an, und rief: „Nein! das iſt
”zu viel!‟ ‚Er band den Beutel auf, wollte etwas
”heraus nehmen, aber die Hand zitterte ihm, er
”warf den Knuͤttel weg, fiel vor mir auf die Knie,
”hielt mir den Beutel vor, und ſchrie laut:
„Nein! ich kann nicht! Nein! lieber Herr! ich
”bin kein Straßenraͤuber! ich bin ein ungluͤcklicher
”Vater. Geben Sie mir ſelbſt nur ſo viel, daß meine
”Frau und meine armen Kinder nicht noch heute
”Hungers ſterben.‟
‚Jch rief voll Entſetzen: „Nimm, Freund! ich bin
”arm, aber nicht ſo arm, als du!‟ ‚Jndem hoͤrte ich
”in
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