Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



"ganz gut, nur daß es für mich ein wenig langwei-
"lig war. Jch fieng also nach einiger Zeit an, selte-
"ner in die Gesellschaft zu kommen, und vermied, so
"viel ich konnte, mit auf die Jnsektenjacht zu gehen.
"Hierüber bekam ich einen Verweis vom Superinten-
"denten; denn so freundschaftlich er war, hatte er
"doch den kleinen Fehler, daß er sich derer ganz be-
"mächtigte, die er in Affektion genommen hatte. Er
"ordnete ihre Studien an, er bestellte ihr Hauswe-
"sen, er erdachte für sie die Vergnügungen, die sie
"sich machen sollten, und er hatte für alles weise
"Gründe anzuführen, denen man nicht widersprechen
"durfte. Jch durfte mir also nicht merken lassen, daß
"Sammlereyen und Klassifikationstabellen, wie er sie
"liebte, für mich sehr wenig Reiz hatten, sonderlich
"wenn dabey bloß die Augen und das Gedächtniß,
"keinesweges aber der Verstand, beschäfftigt ist. Hin-
"gegen mußte ich geduldig zuhören, wenn er mir, als
"eine väterliche Weisung, einprägte: "daß Spekula-
"lation den Geist nicht bessere, daß man, bey tiefsin-
"nigen Untersuchungen über Raum und Zeit, ein
"Deist bleiben könne, daß hingegen durch Walpur-
"pergers kosmotheologische Betrachtungen
*)
"schon mancher Freygeist bekehret worden sey." Er

"stichelte
*) Ein Buch in vier dicken Quartbänden.
D 5



”ganz gut, nur daß es fuͤr mich ein wenig langwei-
”lig war. Jch fieng alſo nach einiger Zeit an, ſelte-
”ner in die Geſellſchaft zu kommen, und vermied, ſo
”viel ich konnte, mit auf die Jnſektenjacht zu gehen.
”Hieruͤber bekam ich einen Verweis vom Superinten-
”denten; denn ſo freundſchaftlich er war, hatte er
”doch den kleinen Fehler, daß er ſich derer ganz be-
”maͤchtigte, die er in Affektion genommen hatte. Er
”ordnete ihre Studien an, er beſtellte ihr Hauswe-
”ſen, er erdachte fuͤr ſie die Vergnuͤgungen, die ſie
”ſich machen ſollten, und er hatte fuͤr alles weiſe
”Gruͤnde anzufuͤhren, denen man nicht widerſprechen
”durfte. Jch durfte mir alſo nicht merken laſſen, daß
”Sammlereyen und Klaſſifikationstabellen, wie er ſie
”liebte, fuͤr mich ſehr wenig Reiz hatten, ſonderlich
”wenn dabey bloß die Augen und das Gedaͤchtniß,
”keinesweges aber der Verſtand, beſchaͤfftigt iſt. Hin-
”gegen mußte ich geduldig zuhoͤren, wenn er mir, als
”eine vaͤterliche Weiſung, einpraͤgte: „daß Spekula-
”lation den Geiſt nicht beſſere, daß man, bey tiefſin-
”nigen Unterſuchungen uͤber Raum und Zeit, ein
”Deiſt bleiben koͤnne, daß hingegen durch Walpur-
”pergers kosmotheologiſche Betrachtungen
*)
”ſchon mancher Freygeiſt bekehret worden ſey.‟ Er

”ſtichelte
*) Ein Buch in vier dicken Quartbänden.
D 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0059" n="53"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201D;ganz gut, nur daß es fu&#x0364;r mich ein wenig langwei-<lb/>
&#x201D;lig war. Jch fieng al&#x017F;o nach einiger Zeit an, &#x017F;elte-<lb/>
&#x201D;ner in die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zu kommen, und vermied, &#x017F;o<lb/>
&#x201D;viel ich konnte, mit auf die Jn&#x017F;ektenjacht zu gehen.<lb/>
&#x201D;Hieru&#x0364;ber bekam ich einen Verweis vom Superinten-<lb/>
&#x201D;denten; denn &#x017F;o freund&#x017F;chaftlich er war, hatte er<lb/>
&#x201D;doch den kleinen Fehler, daß er &#x017F;ich derer ganz be-<lb/>
&#x201D;ma&#x0364;chtigte, die er in Affektion genommen hatte. Er<lb/>
&#x201D;ordnete ihre Studien an, er be&#x017F;tellte ihr Hauswe-<lb/>
&#x201D;&#x017F;en, er erdachte fu&#x0364;r &#x017F;ie die Vergnu&#x0364;gungen, die &#x017F;ie<lb/>
&#x201D;&#x017F;ich machen &#x017F;ollten, und er hatte fu&#x0364;r alles wei&#x017F;e<lb/>
&#x201D;Gru&#x0364;nde anzufu&#x0364;hren, denen man nicht wider&#x017F;prechen<lb/>
&#x201D;durfte. Jch durfte mir al&#x017F;o nicht merken la&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
&#x201D;Sammlereyen und Kla&#x017F;&#x017F;ifikationstabellen, wie er &#x017F;ie<lb/>
&#x201D;liebte, fu&#x0364;r mich &#x017F;ehr wenig Reiz hatten, &#x017F;onderlich<lb/>
&#x201D;wenn dabey bloß die Augen und das Geda&#x0364;chtniß,<lb/>
&#x201D;keinesweges aber der Ver&#x017F;tand, be&#x017F;cha&#x0364;fftigt i&#x017F;t. Hin-<lb/>
&#x201D;gegen mußte ich geduldig zuho&#x0364;ren, wenn er mir, als<lb/>
&#x201D;eine va&#x0364;terliche Wei&#x017F;ung, einpra&#x0364;gte: &#x201E;daß Spekula-<lb/>
&#x201D;lation den Gei&#x017F;t nicht be&#x017F;&#x017F;ere, daß man, bey tief&#x017F;in-<lb/>
&#x201D;nigen Unter&#x017F;uchungen u&#x0364;ber Raum und Zeit, ein<lb/>
&#x201D;Dei&#x017F;t bleiben ko&#x0364;nne, daß hingegen durch <hi rendition="#fr">Walpur-<lb/>
&#x201D;pergers kosmotheologi&#x017F;che Betrachtungen</hi><note place="foot" n="*)">Ein Buch in vier dicken Quartbänden.</note><lb/>
&#x201D;&#x017F;chon mancher Freygei&#x017F;t bekehret worden &#x017F;ey.&#x201F; Er<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x201D;&#x017F;tichelte</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[53/0059] ”ganz gut, nur daß es fuͤr mich ein wenig langwei- ”lig war. Jch fieng alſo nach einiger Zeit an, ſelte- ”ner in die Geſellſchaft zu kommen, und vermied, ſo ”viel ich konnte, mit auf die Jnſektenjacht zu gehen. ”Hieruͤber bekam ich einen Verweis vom Superinten- ”denten; denn ſo freundſchaftlich er war, hatte er ”doch den kleinen Fehler, daß er ſich derer ganz be- ”maͤchtigte, die er in Affektion genommen hatte. Er ”ordnete ihre Studien an, er beſtellte ihr Hauswe- ”ſen, er erdachte fuͤr ſie die Vergnuͤgungen, die ſie ”ſich machen ſollten, und er hatte fuͤr alles weiſe ”Gruͤnde anzufuͤhren, denen man nicht widerſprechen ”durfte. Jch durfte mir alſo nicht merken laſſen, daß ”Sammlereyen und Klaſſifikationstabellen, wie er ſie ”liebte, fuͤr mich ſehr wenig Reiz hatten, ſonderlich ”wenn dabey bloß die Augen und das Gedaͤchtniß, ”keinesweges aber der Verſtand, beſchaͤfftigt iſt. Hin- ”gegen mußte ich geduldig zuhoͤren, wenn er mir, als ”eine vaͤterliche Weiſung, einpraͤgte: „daß Spekula- ”lation den Geiſt nicht beſſere, daß man, bey tiefſin- ”nigen Unterſuchungen uͤber Raum und Zeit, ein ”Deiſt bleiben koͤnne, daß hingegen durch Walpur- ”pergers kosmotheologiſche Betrachtungen *) ”ſchon mancher Freygeiſt bekehret worden ſey.‟ Er ”ſtichelte *) Ein Buch in vier dicken Quartbänden. D 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/59
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/59>, abgerufen am 28.11.2024.