Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."Der Superintendent war ein ganz feiner Mann, der "in verschiedenen Arten der Gelehrsamkeit nicht fremd "war. Jch konnte mich mit ihm unterhalten, "wir unterredeten uns oft von Verbesserung der Män- "gel der Religion; denn ob er gleich nichts dazu bey- "zutragen Lust hatte, so mochte er doch gern, unter "vier Augen, davon sprechen. Er freuete sich, daß "ich selbst dächte. Jch durfte ihm meine Zweifel vor- "tragen, und da ich oft mit seinen Beantwortungen "zufrieden war, so gewann er mich lieb. Die Haupt- "neigung dieses alten Mannes war die Naturge- "schichte, und zwar hauptsächlich die Nomenklatur "und Klassifikation derselben, welches nun freylich eben "nicht meine Neigung war. Er wollte mich belohnen, "indem er mich zum Mitgliede einer Gesellschaft auf- "nehmen ließ, welche er mit dem Bürgermeister, dem "Konrektor und dem Apotheker errichtet hatte. Diese "sammleten Jnsekten, Vögel, Steine, Versteinerun- "gen, Mineralien, tauschten mit benachbarten Lieb- "habern, brachten Kabinette zusammen, ordneten sie "bald nach diesem bald nach jenem Systeme, lasen "sich lange Abhandlungen darüber vor, wozu der "Superintendent die Theologie lieh, und keinen Jn- "sektenflügel, keine Vogelklaue, oder Quarzdruse, ohne "erbauliche Nutzanwendung ließ. Dieß war alles "ganz
”Der Superintendent war ein ganz feiner Mann, der ”in verſchiedenen Arten der Gelehrſamkeit nicht fremd ”war. Jch konnte mich mit ihm unterhalten, ”wir unterredeten uns oft von Verbeſſerung der Maͤn- ”gel der Religion; denn ob er gleich nichts dazu bey- ”zutragen Luſt hatte, ſo mochte er doch gern, unter ”vier Augen, davon ſprechen. Er freuete ſich, daß ”ich ſelbſt daͤchte. Jch durfte ihm meine Zweifel vor- ”tragen, und da ich oft mit ſeinen Beantwortungen ”zufrieden war, ſo gewann er mich lieb. Die Haupt- ”neigung dieſes alten Mannes war die Naturge- ”ſchichte, und zwar hauptſaͤchlich die Nomenklatur ”und Klaſſifikation derſelben, welches nun freylich eben ”nicht meine Neigung war. Er wollte mich belohnen, ”indem er mich zum Mitgliede einer Geſellſchaft auf- ”nehmen ließ, welche er mit dem Buͤrgermeiſter, dem ”Konrektor und dem Apotheker errichtet hatte. Dieſe ”ſammleten Jnſekten, Voͤgel, Steine, Verſteinerun- ”gen, Mineralien, tauſchten mit benachbarten Lieb- ”habern, brachten Kabinette zuſammen, ordneten ſie ”bald nach dieſem bald nach jenem Syſteme, laſen ”ſich lange Abhandlungen daruͤber vor, wozu der ”Superintendent die Theologie lieh, und keinen Jn- ”ſektenfluͤgel, keine Vogelklaue, oder Quarzdruſe, ohne ”erbauliche Nutzanwendung ließ. Dieß war alles ”ganz
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”Der Superintendent war ein ganz feiner Mann, der
”in verſchiedenen Arten der Gelehrſamkeit nicht fremd
”war. Jch konnte mich mit ihm unterhalten,
”wir unterredeten uns oft von Verbeſſerung der Maͤn-
”gel der Religion; denn ob er gleich nichts dazu bey-
”zutragen Luſt hatte, ſo mochte er doch gern, unter
”vier Augen, davon ſprechen. Er freuete ſich, daß
”ich ſelbſt daͤchte. Jch durfte ihm meine Zweifel vor-
”tragen, und da ich oft mit ſeinen Beantwortungen
”zufrieden war, ſo gewann er mich lieb. Die Haupt-
”neigung dieſes alten Mannes war die Naturge-
”ſchichte, und zwar hauptſaͤchlich die Nomenklatur
”und Klaſſifikation derſelben, welches nun freylich eben
”nicht meine Neigung war. Er wollte mich belohnen,
”indem er mich zum Mitgliede einer Geſellſchaft auf-
”nehmen ließ, welche er mit dem Buͤrgermeiſter, dem
”Konrektor und dem Apotheker errichtet hatte. Dieſe
”ſammleten Jnſekten, Voͤgel, Steine, Verſteinerun-
”gen, Mineralien, tauſchten mit benachbarten Lieb-
”habern, brachten Kabinette zuſammen, ordneten ſie
”bald nach dieſem bald nach jenem Syſteme, laſen
”ſich lange Abhandlungen daruͤber vor, wozu der
”Superintendent die Theologie lieh, und keinen Jn-
”ſektenfluͤgel, keine Vogelklaue, oder Quarzdruſe, ohne
”erbauliche Nutzanwendung ließ. Dieß war alles
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