Endlich, da es schon ganz dunkel war, gieng eln Mann mit einer Laterne in der Hand vorüber, eben als Sebaldus einen tiefen Seufzer ausstieß, und in unzusammenhangende Klagen ausbrach. Er leuchtete ihm mit der Laterne gerade ins Gesicht, und fragte, was er begehre! Ha! sagte Sebaldus mit starren Augen: ,Jch möchte wohl einen mitleidigen Mon- "schen sehen, denn in dieser Stadt kann eine mensch- "liche Kreatur auf der Straße verschmachten, indeß "in allen Häusern Freude und Wohlleben herrschet.'
Der Vorübergehende fragte weiter, und erfuhr in wenig Worten, wer Sebaldus sey, und die fehlge- schlagenen Versuche dieses Tages.
,Sie haben sich, mein Freund, sagte der Mann "mit der Laterne, lächelnd, nur an allzureiche Leute "gewendet. Ein wohlhabender Mann kennet das "wahre Bedürfniß eines Unglücklichen nicht recht, "wirft ihm aufs höchste einen Dreyer oder Pfennig "zu, und geht weg. Königen können am besten Kö- "nige, und Armen am besten Arme helfen. Stehen "Sie auf. Er hob ihn auf, und führte ihn mit sich "fort.'
Dieser Mann war Schulmeister in einer von den Freyschulen für arme Kinder, die eine rechtschaffne
Patri-
Endlich, da es ſchon ganz dunkel war, gieng eln Mann mit einer Laterne in der Hand voruͤber, eben als Sebaldus einen tiefen Seufzer ausſtieß, und in unzuſammenhangende Klagen ausbrach. Er leuchtete ihm mit der Laterne gerade ins Geſicht, und fragte, was er begehre! Ha! ſagte Sebaldus mit ſtarren Augen: ‚Jch moͤchte wohl einen mitleidigen Mon- ”ſchen ſehen, denn in dieſer Stadt kann eine menſch- ”liche Kreatur auf der Straße verſchmachten, indeß ”in allen Haͤuſern Freude und Wohlleben herrſchet.‛
Der Voruͤbergehende fragte weiter, und erfuhr in wenig Worten, wer Sebaldus ſey, und die fehlge- ſchlagenen Verſuche dieſes Tages.
‚Sie haben ſich, mein Freund, ſagte der Mann ”mit der Laterne, laͤchelnd, nur an allzureiche Leute ”gewendet. Ein wohlhabender Mann kennet das ”wahre Beduͤrfniß eines Ungluͤcklichen nicht recht, ”wirft ihm aufs hoͤchſte einen Dreyer oder Pfennig ”zu, und geht weg. Koͤnigen koͤnnen am beſten Koͤ- ”nige, und Armen am beſten Arme helfen. Stehen ”Sie auf. Er hob ihn auf, und fuͤhrte ihn mit ſich ”fort.‛
Dieſer Mann war Schulmeiſter in einer von den Freyſchulen fuͤr arme Kinder, die eine rechtſchaffne
Patri-
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Endlich, da es ſchon ganz dunkel war, gieng eln
Mann mit einer Laterne in der Hand voruͤber, eben
als Sebaldus einen tiefen Seufzer ausſtieß, und in
unzuſammenhangende Klagen ausbrach. Er leuchtete
ihm mit der Laterne gerade ins Geſicht, und fragte,
was er begehre! Ha! ſagte Sebaldus mit ſtarren
Augen: ‚Jch moͤchte wohl einen mitleidigen Mon-
”ſchen ſehen, denn in dieſer Stadt kann eine menſch-
”liche Kreatur auf der Straße verſchmachten, indeß
”in allen Haͤuſern Freude und Wohlleben herrſchet.‛
Der Voruͤbergehende fragte weiter, und erfuhr in
wenig Worten, wer Sebaldus ſey, und die fehlge-
ſchlagenen Verſuche dieſes Tages.
‚Sie haben ſich, mein Freund, ſagte der Mann
”mit der Laterne, laͤchelnd, nur an allzureiche Leute
”gewendet. Ein wohlhabender Mann kennet das
”wahre Beduͤrfniß eines Ungluͤcklichen nicht recht,
”wirft ihm aufs hoͤchſte einen Dreyer oder Pfennig
”zu, und geht weg. Koͤnigen koͤnnen am beſten Koͤ-
”nige, und Armen am beſten Arme helfen. Stehen
”Sie auf. Er hob ihn auf, und fuͤhrte ihn mit ſich
”fort.‛
Dieſer Mann war Schulmeiſter in einer von den
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/48>, abgerufen am 05.07.2024.
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