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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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baumwollenen Perücke, der, an seinem Pulte sitzeud,
einen Posten in sein Hauptbuch trug.

Sebaldus erzählte ihm, was in des Nachbars
Hause vorgefallen war, und wiederholte seine Bitte
um einen guten Rath.

Der Separatist sagte mit schwacher und sanfter
Stimme: ,Jch wundere mich nicht über meines Nach-
"bars unchristliche Rede, denn er hat den Geist nicht,
"der das Leben giebt. Freylich find die symbolischen
"Bücher eine Erfindung des Teufels, so wie der ganze
"geistliche Stand. Ein jeder wahrer Christ ist ein
"Hoherpriester. Die Geistlichen haben die Welt von
"je her verführt, und da Er mein Freund! von dem
"Stande ist, so gehe Er in Gottes Namen, wohin
"Er will, ich habe nichts mit Jhm zu schaffen.'

Er klopfte noch an einigen Thüren an, wo man
ihn, als einen gemeinen Bettler, abwies.

Endlich gerieth er in ein Gelag, wo vier lockere
Brüder zwischen acht Flaschen saßen, und sämtlich
von Weine glüheten. Sie hatten schon dreymal
ihren gewöhnlichen Zirkel von schlüpfrigen Wortspie-
len und abgeschmackten Spöttereyen über ehrwürdi-
ge Sachen durchgegangen, und hatten schon dreymal
sich gekützelt, über das zu lachen, was nicht lächerlich
ist, und sie waren eben im Begriff, trotz der Dünste

des
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baumwollenen Peruͤcke, der, an ſeinem Pulte ſitzeud,
einen Poſten in ſein Hauptbuch trug.

Sebaldus erzaͤhlte ihm, was in des Nachbars
Hauſe vorgefallen war, und wiederholte ſeine Bitte
um einen guten Rath.

Der Separatiſt ſagte mit ſchwacher und ſanfter
Stimme: ‚Jch wundere mich nicht uͤber meines Nach-
”bars unchriſtliche Rede, denn er hat den Geiſt nicht,
”der das Leben giebt. Freylich find die ſymboliſchen
”Buͤcher eine Erfindung des Teufels, ſo wie der ganze
”geiſtliche Stand. Ein jeder wahrer Chriſt iſt ein
”Hoherprieſter. Die Geiſtlichen haben die Welt von
”je her verfuͤhrt, und da Er mein Freund! von dem
”Stande iſt, ſo gehe Er in Gottes Namen, wohin
”Er will, ich habe nichts mit Jhm zu ſchaffen.‛

Er klopfte noch an einigen Thuͤren an, wo man
ihn, als einen gemeinen Bettler, abwies.

Endlich gerieth er in ein Gelag, wo vier lockere
Bruͤder zwiſchen acht Flaſchen ſaßen, und ſaͤmtlich
von Weine gluͤheten. Sie hatten ſchon dreymal
ihren gewoͤhnlichen Zirkel von ſchluͤpfrigen Wortſpie-
len und abgeſchmackten Spoͤttereyen uͤber ehrwuͤrdi-
ge Sachen durchgegangen, und hatten ſchon dreymal
ſich gekuͤtzelt, uͤber das zu lachen, was nicht laͤcherlich
iſt, und ſie waren eben im Begriff, trotz der Duͤnſte

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[37/0043] baumwollenen Peruͤcke, der, an ſeinem Pulte ſitzeud, einen Poſten in ſein Hauptbuch trug. Sebaldus erzaͤhlte ihm, was in des Nachbars Hauſe vorgefallen war, und wiederholte ſeine Bitte um einen guten Rath. Der Separatiſt ſagte mit ſchwacher und ſanfter Stimme: ‚Jch wundere mich nicht uͤber meines Nach- ”bars unchriſtliche Rede, denn er hat den Geiſt nicht, ”der das Leben giebt. Freylich find die ſymboliſchen ”Buͤcher eine Erfindung des Teufels, ſo wie der ganze ”geiſtliche Stand. Ein jeder wahrer Chriſt iſt ein ”Hoherprieſter. Die Geiſtlichen haben die Welt von ”je her verfuͤhrt, und da Er mein Freund! von dem ”Stande iſt, ſo gehe Er in Gottes Namen, wohin ”Er will, ich habe nichts mit Jhm zu ſchaffen.‛ Er klopfte noch an einigen Thuͤren an, wo man ihn, als einen gemeinen Bettler, abwies. Endlich gerieth er in ein Gelag, wo vier lockere Bruͤder zwiſchen acht Flaſchen ſaßen, und ſaͤmtlich von Weine gluͤheten. Sie hatten ſchon dreymal ihren gewoͤhnlichen Zirkel von ſchluͤpfrigen Wortſpie- len und abgeſchmackten Spoͤttereyen uͤber ehrwuͤrdi- ge Sachen durchgegangen, und hatten ſchon dreymal ſich gekuͤtzelt, uͤber das zu lachen, was nicht laͤcherlich iſt, und ſie waren eben im Begriff, trotz der Duͤnſte des C 5

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/43>, abgerufen am 21.11.2024.