Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



"fodere, daß man alle diejenigen, welche nicht den
"wahren evangelischen seligmachenden Glauben ha-
"ben, durch alle nur möglichen Mittel in den Schooß
"der Kirche zurück zu bringen suche, eben deshalb, da-
"mit man ihre Seelen rette, und sie nicht ewig ver-
"dammet würden.'

Er würde seine ganze Predigt wiederholt haben,
wenn nicht der Vater in großem Eifer aufgefahren
wäre: ,Was? keine ewige Höllenstrafen? das wäre
"schön, wenn mein Nachbar an der Ecke gegenüber
"nicht sollte ewig verdammt werden! Er, der das Pre-
"digtamt verachtet, der in gar keine Kirche gehet,
"der mir einen Proceß an den Hals geworfen, der
"ihn gewonnen hat! der gottlose Mann! der Atheist!
"der Separatist!'

Sebaldus wollte sich vertheidigen; aber der Krä-
mer nahm ihn beym Arm, und schob ihn höflich zur
Thür hinaus.

Sebaldus war sehr betreten; weil er aber sahe,
wie äußerst nothwendig es sey, sich an irgend jemand
zu wenden, so gieng er zu dem Nachbar gegenüber,
von dem er bessere Gesinnungen boffte, weil er nicht
so orthodox seyn sollte, als der Krämer.

Er fand einen Mann von blassem sanftmüthigem
Ansehen, in einem simpeln grauen Rock, und einer

baum-



”fodere, daß man alle diejenigen, welche nicht den
”wahren evangeliſchen ſeligmachenden Glauben ha-
”ben, durch alle nur moͤglichen Mittel in den Schooß
”der Kirche zuruͤck zu bringen ſuche, eben deshalb, da-
”mit man ihre Seelen rette, und ſie nicht ewig ver-
”dammet wuͤrden.‛

Er wuͤrde ſeine ganze Predigt wiederholt haben,
wenn nicht der Vater in großem Eifer aufgefahren
waͤre: ‚Was? keine ewige Hoͤllenſtrafen? das waͤre
”ſchoͤn, wenn mein Nachbar an der Ecke gegenuͤber
”nicht ſollte ewig verdammt werden! Er, der das Pre-
”digtamt verachtet, der in gar keine Kirche gehet,
”der mir einen Proceß an den Hals geworfen, der
”ihn gewonnen hat! der gottloſe Mann! der Atheiſt!
”der Separatiſt!‛

Sebaldus wollte ſich vertheidigen; aber der Kraͤ-
mer nahm ihn beym Arm, und ſchob ihn hoͤflich zur
Thuͤr hinaus.

Sebaldus war ſehr betreten; weil er aber ſahe,
wie aͤußerſt nothwendig es ſey, ſich an irgend jemand
zu wenden, ſo gieng er zu dem Nachbar gegenuͤber,
von dem er beſſere Geſinnungen boffte, weil er nicht
ſo orthodox ſeyn ſollte, als der Kraͤmer.

Er fand einen Mann von blaſſem ſanftmuͤthigem
Anſehen, in einem ſimpeln grauen Rock, und einer

baum-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0042" n="36"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
&#x201D;fodere, daß man alle diejenigen, welche nicht den<lb/>
&#x201D;wahren evangeli&#x017F;chen &#x017F;eligmachenden Glauben ha-<lb/>
&#x201D;ben, durch alle nur mo&#x0364;glichen Mittel in den Schooß<lb/>
&#x201D;der Kirche zuru&#x0364;ck zu bringen &#x017F;uche, eben deshalb, da-<lb/>
&#x201D;mit man ihre Seelen rette, und &#x017F;ie nicht ewig ver-<lb/>
&#x201D;dammet wu&#x0364;rden.&#x201B;</p><lb/>
          <p>Er wu&#x0364;rde &#x017F;eine ganze Predigt wiederholt haben,<lb/>
wenn nicht der Vater in großem Eifer aufgefahren<lb/>
wa&#x0364;re: &#x201A;Was? keine ewige Ho&#x0364;llen&#x017F;trafen? das wa&#x0364;re<lb/>
&#x201D;&#x017F;cho&#x0364;n, wenn mein Nachbar an der Ecke gegenu&#x0364;ber<lb/>
&#x201D;nicht &#x017F;ollte ewig verdammt werden! Er, der das Pre-<lb/>
&#x201D;digtamt verachtet, der in gar keine Kirche gehet,<lb/>
&#x201D;der mir einen Proceß an den Hals geworfen, der<lb/>
&#x201D;ihn gewonnen hat! der gottlo&#x017F;e Mann! der Athei&#x017F;t!<lb/>
&#x201D;der Separati&#x017F;t!&#x201B;</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> wollte &#x017F;ich vertheidigen; aber der Kra&#x0364;-<lb/>
mer nahm ihn beym Arm, und &#x017F;chob ihn ho&#x0364;flich zur<lb/>
Thu&#x0364;r hinaus.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> war &#x017F;ehr betreten; weil er aber &#x017F;ahe,<lb/>
wie a&#x0364;ußer&#x017F;t nothwendig es &#x017F;ey, &#x017F;ich an irgend jemand<lb/>
zu wenden, &#x017F;o gieng er zu dem Nachbar gegenu&#x0364;ber,<lb/>
von dem er be&#x017F;&#x017F;ere Ge&#x017F;innungen boffte, weil er nicht<lb/>
&#x017F;o orthodox &#x017F;eyn &#x017F;ollte, als der Kra&#x0364;mer.</p><lb/>
          <p>Er fand einen Mann von bla&#x017F;&#x017F;em &#x017F;anftmu&#x0364;thigem<lb/>
An&#x017F;ehen, in einem &#x017F;impeln grauen Rock, und einer<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">baum-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0042] ”fodere, daß man alle diejenigen, welche nicht den ”wahren evangeliſchen ſeligmachenden Glauben ha- ”ben, durch alle nur moͤglichen Mittel in den Schooß ”der Kirche zuruͤck zu bringen ſuche, eben deshalb, da- ”mit man ihre Seelen rette, und ſie nicht ewig ver- ”dammet wuͤrden.‛ Er wuͤrde ſeine ganze Predigt wiederholt haben, wenn nicht der Vater in großem Eifer aufgefahren waͤre: ‚Was? keine ewige Hoͤllenſtrafen? das waͤre ”ſchoͤn, wenn mein Nachbar an der Ecke gegenuͤber ”nicht ſollte ewig verdammt werden! Er, der das Pre- ”digtamt verachtet, der in gar keine Kirche gehet, ”der mir einen Proceß an den Hals geworfen, der ”ihn gewonnen hat! der gottloſe Mann! der Atheiſt! ”der Separatiſt!‛ Sebaldus wollte ſich vertheidigen; aber der Kraͤ- mer nahm ihn beym Arm, und ſchob ihn hoͤflich zur Thuͤr hinaus. Sebaldus war ſehr betreten; weil er aber ſahe, wie aͤußerſt nothwendig es ſey, ſich an irgend jemand zu wenden, ſo gieng er zu dem Nachbar gegenuͤber, von dem er beſſere Geſinnungen boffte, weil er nicht ſo orthodox ſeyn ſollte, als der Kraͤmer. Er fand einen Mann von blaſſem ſanftmuͤthigem Anſehen, in einem ſimpeln grauen Rock, und einer baum-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/42
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/42>, abgerufen am 11.12.2024.