Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

Bild:
<< vorherige Seite



also sehr schlecht behelfen, wenigstens des Tages
zwölf Stunden öffentlich lehren, und Privatunter-
richt im Dekliniren und im Rechnen etc. geben. Dane-
ben, weil er seinen sehnlichen Wunsch, sich einst aus
dem Schulstaube zu dem Predigerstande zu erheben,
nie vergaß, arbeitete er bis nach Mitternacht an
geistlichen Reden, und predigte, aus eignem Triebe,
fast alle Sonntage, bald für diesen, bald für jenen
Prediger. Aber Elardus war, wie schon gesagt,
nur klein von Person, hatte eine schwache Stimme,
und aus Mangel gründlicher Gelehrsamkeit, weil
er weder die Philologie stndirt, noch die Dogmatik,
Polemik und Hermenevtik genugsam getrieben
hatte, waren seine Predigten blos moralisch; da-
her fanden sie keinen Beyfall, und er predigte, zu
seiner unbeschreiblichen Kränkung, meist den leeren
Chören und Kirchstühlen. So brachte er sein Leben
in Gram und Kummer zu, und starb an der Schwind-
sucht, im sechs und dreyßigsten Jahre seines Alters.

Erasmus hatte einen einzigen Sohn, Cyriakus
genannt, einen Polyhistor und schönen Geist. Alles
wußte Cyriakus, und was er nicht wußte, dünkte er
sich zu wissen. Er selbst dachte eben nicht viel, aber
wohl wiederholte er, was andere gedacht hatten,

so
R 5



alſo ſehr ſchlecht behelfen, wenigſtens des Tages
zwoͤlf Stunden oͤffentlich lehren, und Privatunter-
richt im Dekliniren und im Rechnen ꝛc. geben. Dane-
ben, weil er ſeinen ſehnlichen Wunſch, ſich einſt aus
dem Schulſtaube zu dem Predigerſtande zu erheben,
nie vergaß, arbeitete er bis nach Mitternacht an
geiſtlichen Reden, und predigte, aus eignem Triebe,
faſt alle Sonntage, bald fuͤr dieſen, bald fuͤr jenen
Prediger. Aber Elardus war, wie ſchon geſagt,
nur klein von Perſon, hatte eine ſchwache Stimme,
und aus Mangel gruͤndlicher Gelehrſamkeit, weil
er weder die Philologie ſtndirt, noch die Dogmatik,
Polemik und Hermenevtik genugſam getrieben
hatte, waren ſeine Predigten blos moraliſch; da-
her fanden ſie keinen Beyfall, und er predigte, zu
ſeiner unbeſchreiblichen Kraͤnkung, meiſt den leeren
Choͤren und Kirchſtuͤhlen. So brachte er ſein Leben
in Gram und Kummer zu, und ſtarb an der Schwind-
ſucht, im ſechs und dreyßigſten Jahre ſeines Alters.

Eraſmus hatte einen einzigen Sohn, Cyriakus
genannt, einen Polyhiſtor und ſchoͤnen Geiſt. Alles
wußte Cyriakus, und was er nicht wußte, duͤnkte er
ſich zu wiſſen. Er ſelbſt dachte eben nicht viel, aber
wohl wiederholte er, was andere gedacht hatten,

ſo
R 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0275" n="261"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
al&#x017F;o &#x017F;ehr &#x017F;chlecht behelfen, wenig&#x017F;tens des Tages<lb/>
zwo&#x0364;lf Stunden o&#x0364;ffentlich lehren, und Privatunter-<lb/>
richt im Dekliniren und im Rechnen &#xA75B;c. geben. Dane-<lb/>
ben, weil er &#x017F;einen &#x017F;ehnlichen Wun&#x017F;ch, &#x017F;ich ein&#x017F;t aus<lb/>
dem Schul&#x017F;taube zu dem Prediger&#x017F;tande zu erheben,<lb/>
nie vergaß, arbeitete er bis nach Mitternacht an<lb/>
gei&#x017F;tlichen Reden, und predigte, aus eignem Triebe,<lb/>
fa&#x017F;t alle Sonntage, bald fu&#x0364;r die&#x017F;en, bald fu&#x0364;r jenen<lb/>
Prediger. Aber <hi rendition="#fr">Elardus</hi> war, wie &#x017F;chon ge&#x017F;agt,<lb/>
nur klein von Per&#x017F;on, hatte eine &#x017F;chwache Stimme,<lb/>
und aus Mangel gru&#x0364;ndlicher Gelehr&#x017F;amkeit, weil<lb/>
er weder die Philologie &#x017F;tndirt, noch die Dogmatik,<lb/>
Polemik und Hermenevtik genug&#x017F;am getrieben<lb/>
hatte, waren &#x017F;eine Predigten blos morali&#x017F;ch; da-<lb/>
her fanden &#x017F;ie keinen Beyfall, und er predigte, zu<lb/>
&#x017F;einer unbe&#x017F;chreiblichen Kra&#x0364;nkung, mei&#x017F;t den leeren<lb/>
Cho&#x0364;ren und Kirch&#x017F;tu&#x0364;hlen. So brachte er &#x017F;ein Leben<lb/>
in Gram und Kummer zu, und &#x017F;tarb an der Schwind-<lb/>
&#x017F;ucht, im &#x017F;echs und dreyßig&#x017F;ten Jahre &#x017F;eines Alters.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Era&#x017F;mus</hi> hatte einen einzigen Sohn, <hi rendition="#fr">Cyriakus</hi><lb/>
genannt, einen Polyhi&#x017F;tor und &#x017F;cho&#x0364;nen Gei&#x017F;t. Alles<lb/>
wußte <hi rendition="#fr">Cyriakus,</hi> und was er nicht wußte, du&#x0364;nkte er<lb/>
&#x017F;ich zu wi&#x017F;&#x017F;en. Er &#x017F;elb&#x017F;t dachte eben nicht viel, aber<lb/>
wohl wiederholte er, was andere gedacht hatten,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 5</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0275] alſo ſehr ſchlecht behelfen, wenigſtens des Tages zwoͤlf Stunden oͤffentlich lehren, und Privatunter- richt im Dekliniren und im Rechnen ꝛc. geben. Dane- ben, weil er ſeinen ſehnlichen Wunſch, ſich einſt aus dem Schulſtaube zu dem Predigerſtande zu erheben, nie vergaß, arbeitete er bis nach Mitternacht an geiſtlichen Reden, und predigte, aus eignem Triebe, faſt alle Sonntage, bald fuͤr dieſen, bald fuͤr jenen Prediger. Aber Elardus war, wie ſchon geſagt, nur klein von Perſon, hatte eine ſchwache Stimme, und aus Mangel gruͤndlicher Gelehrſamkeit, weil er weder die Philologie ſtndirt, noch die Dogmatik, Polemik und Hermenevtik genugſam getrieben hatte, waren ſeine Predigten blos moraliſch; da- her fanden ſie keinen Beyfall, und er predigte, zu ſeiner unbeſchreiblichen Kraͤnkung, meiſt den leeren Choͤren und Kirchſtuͤhlen. So brachte er ſein Leben in Gram und Kummer zu, und ſtarb an der Schwind- ſucht, im ſechs und dreyßigſten Jahre ſeines Alters. Eraſmus hatte einen einzigen Sohn, Cyriakus genannt, einen Polyhiſtor und ſchoͤnen Geiſt. Alles wußte Cyriakus, und was er nicht wußte, duͤnkte er ſich zu wiſſen. Er ſelbſt dachte eben nicht viel, aber wohl wiederholte er, was andere gedacht hatten, ſo R 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/275
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/275>, abgerufen am 26.11.2024.