Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.konnte er zwar, ziemlich ohne Anstoß, das neue Testa- ment, und die goldenen Sprüche des Pythagoras exponiren, mehr aber nicht; und ob er zwar Lateinisch ganz gut verstand, um es zu lesen, so wollte, es doch mit der Lateinischen Schreib- art nicht recht fort, und Lateinische Verse konnte er gar nicht machen. Es ist wahr, er hatte einen ziem- lichen guten natürlichen Verstand, hatte seine Mut- tersprache so gut in seiner Gewalt, daß er einen ganz artigen Deutschen Aufsatz machen konnte, welches er auch besonders seine Schüler lehrte, und sich alle Mühe gab, ihnen von Geographie, Geschichte, Sit- tenlehre und andern Sachen, wovon er glaubte, daß sie sie in der Welt brauchen möchten, einige Be- griffe beyzubringen. Weil aber die Einwohner der Re- sidenz ihre Söhne, in der längst erwünschten neuen La- teinischen Schule, nun auch zu rechten gelehrten Leu- ten erzogen wissen wollten, so hatten sie zu des Elardus Deutscher Lehrart gar kein Vertrauen, sondern schick- ten ihre Kinder in die Privatstunde zum Rektor, einem grundgelehrten Manne, der alle halbe Jahre ein Lateinisches Programm schrieb, der die Alter- thümer lehrte, und, außer den gewöhnlichen gelehr- ten Sprachen, noch Syrisch, Samaritanisch und Arabisch verstand. Der gute Elardus mußte sich also
konnte er zwar, ziemlich ohne Anſtoß, das neue Teſta- ment, und die goldenen Spruͤche des Pythagoras exponiren, mehr aber nicht; und ob er zwar Lateiniſch ganz gut verſtand, um es zu leſen, ſo wollte, es doch mit der Lateiniſchen Schreib- art nicht recht fort, und Lateiniſche Verſe konnte er gar nicht machen. Es iſt wahr, er hatte einen ziem- lichen guten natuͤrlichen Verſtand, hatte ſeine Mut- terſprache ſo gut in ſeiner Gewalt, daß er einen ganz artigen Deutſchen Aufſatz machen konnte, welches er auch beſonders ſeine Schuͤler lehrte, und ſich alle Muͤhe gab, ihnen von Geographie, Geſchichte, Sit- tenlehre und andern Sachen, wovon er glaubte, daß ſie ſie in der Welt brauchen moͤchten, einige Be- griffe beyzubringen. Weil aber die Einwohner der Re- ſidenz ihre Soͤhne, in der laͤngſt erwuͤnſchten neuen La- teiniſchen Schule, nun auch zu rechten gelehrten Leu- ten erzogen wiſſen wollten, ſo hatten ſie zu des Elardus Deutſcher Lehrart gar kein Vertrauen, ſondern ſchick- ten ihre Kinder in die Privatſtunde zum Rektor, einem grundgelehrten Manne, der alle halbe Jahre ein Lateiniſches Programm ſchrieb, der die Alter- thuͤmer lehrte, und, außer den gewoͤhnlichen gelehr- ten Sprachen, noch Syriſch, Samaritaniſch und Arabiſch verſtand. Der gute Elardus mußte ſich alſo
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konnte er zwar, ziemlich ohne Anſtoß, das neue Teſta-
ment, und die goldenen Spruͤche des Pythagoras
exponiren, mehr aber nicht; und ob er zwar
Lateiniſch ganz gut verſtand, um es zu leſen,
ſo wollte, es doch mit der Lateiniſchen Schreib-
art nicht recht fort, und Lateiniſche Verſe konnte er
gar nicht machen. Es iſt wahr, er hatte einen ziem-
lichen guten natuͤrlichen Verſtand, hatte ſeine Mut-
terſprache ſo gut in ſeiner Gewalt, daß er einen ganz
artigen Deutſchen Aufſatz machen konnte, welches
er auch beſonders ſeine Schuͤler lehrte, und ſich alle
Muͤhe gab, ihnen von Geographie, Geſchichte, Sit-
tenlehre und andern Sachen, wovon er glaubte,
daß ſie ſie in der Welt brauchen moͤchten, einige Be-
griffe beyzubringen. Weil aber die Einwohner der Re-
ſidenz ihre Soͤhne, in der laͤngſt erwuͤnſchten neuen La-
teiniſchen Schule, nun auch zu rechten gelehrten Leu-
ten erzogen wiſſen wollten, ſo hatten ſie zu des Elardus
Deutſcher Lehrart gar kein Vertrauen, ſondern ſchick-
ten ihre Kinder in die Privatſtunde zum Rektor,
einem grundgelehrten Manne, der alle halbe Jahre
ein Lateiniſches Programm ſchrieb, der die Alter-
thuͤmer lehrte, und, außer den gewoͤhnlichen gelehr-
ten Sprachen, noch Syriſch, Samaritaniſch und
Arabiſch verſtand. Der gute Elardus mußte ſich
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