Elardus, ein mageres blasses Männchen, vier Fuß und zwey Zoll hoch, war, als das jüngste Kind, von Jugend auf das geliebte Söhnchen seiner Mut- ter, die, von seiner ersten Jugend an, Sorge trug, daß er täglich wohl mit Speisen gestopfet, und mit dem Lernen nicht sehr angegriffen würde. Jndessen glaubte er doch, in seinem fünf und zwanzigsten Jahre genug begriffen zu haben, um eine Predi- gerstelle bekleiden zu können, welche zu erlangen sein äußerster Wunsch war. Dieß wollte ihm aber, so viel Mühe er sich auch deshalb gab, auf keine Weise gelingen; daher er beynahe dreyßig Jahre alt ward, ehe er recht wußte, was er einmal in der Welt vor- stellen sollte. Zwar bekam er einstmals, durch Empfehlung seines Bruders, den Antrag, Rech- nungsführer bey einer Stutterey und Hundezucht zu werden, welche ein benachbarter Fürst zum besten seiner Parforcejacht angelegt hatte, ein Amt, wo- zu nur Rechnen und Schreiben erfodert ward, und das doch an achthundert Gulden eintrug. Elardus aber, der die Würde des gelehrten Standes gehö- rig zu schätzen wußte, wies ein so ungelehrtes Amt, mit Verachtung, von sich. Jndessen ließ er sich, nach nochmaligem zweyjährigem Harren, bereden, die Stelle eines Konrektors an einer Lateinischen Schule
anzu-
Elardus, ein mageres blaſſes Maͤnnchen, vier Fuß und zwey Zoll hoch, war, als das juͤngſte Kind, von Jugend auf das geliebte Soͤhnchen ſeiner Mut- ter, die, von ſeiner erſten Jugend an, Sorge trug, daß er taͤglich wohl mit Speiſen geſtopfet, und mit dem Lernen nicht ſehr angegriffen wuͤrde. Jndeſſen glaubte er doch, in ſeinem fuͤnf und zwanzigſten Jahre genug begriffen zu haben, um eine Predi- gerſtelle bekleiden zu koͤnnen, welche zu erlangen ſein aͤußerſter Wunſch war. Dieß wollte ihm aber, ſo viel Muͤhe er ſich auch deshalb gab, auf keine Weiſe gelingen; daher er beynahe dreyßig Jahre alt ward, ehe er recht wußte, was er einmal in der Welt vor- ſtellen ſollte. Zwar bekam er einſtmals, durch Empfehlung ſeines Bruders, den Antrag, Rech- nungsfuͤhrer bey einer Stutterey und Hundezucht zu werden, welche ein benachbarter Fuͤrſt zum beſten ſeiner Parforcejacht angelegt hatte, ein Amt, wo- zu nur Rechnen und Schreiben erfodert ward, und das doch an achthundert Gulden eintrug. Elardus aber, der die Wuͤrde des gelehrten Standes gehoͤ- rig zu ſchaͤtzen wußte, wies ein ſo ungelehrtes Amt, mit Verachtung, von ſich. Jndeſſen ließ er ſich, nach nochmaligem zweyjaͤhrigem Harren, bereden, die Stelle eines Konrektors an einer Lateiniſchen Schule
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Elardus, ein mageres blaſſes Maͤnnchen, vier
Fuß und zwey Zoll hoch, war, als das juͤngſte Kind,
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ter, die, von ſeiner erſten Jugend an, Sorge trug,
daß er taͤglich wohl mit Speiſen geſtopfet, und mit
dem Lernen nicht ſehr angegriffen wuͤrde. Jndeſſen
glaubte er doch, in ſeinem fuͤnf und zwanzigſten
Jahre genug begriffen zu haben, um eine Predi-
gerſtelle bekleiden zu koͤnnen, welche zu erlangen ſein
aͤußerſter Wunſch war. Dieß wollte ihm aber, ſo
viel Muͤhe er ſich auch deshalb gab, auf keine Weiſe
gelingen; daher er beynahe dreyßig Jahre alt ward,
ehe er recht wußte, was er einmal in der Welt vor-
ſtellen ſollte. Zwar bekam er einſtmals, durch
Empfehlung ſeines Bruders, den Antrag, Rech-
nungsfuͤhrer bey einer Stutterey und Hundezucht zu
werden, welche ein benachbarter Fuͤrſt zum beſten
ſeiner Parforcejacht angelegt hatte, ein Amt, wo-
zu nur Rechnen und Schreiben erfodert ward, und
das doch an achthundert Gulden eintrug. Elardus
aber, der die Wuͤrde des gelehrten Standes gehoͤ-
rig zu ſchaͤtzen wußte, wies ein ſo ungelehrtes Amt,
mit Verachtung, von ſich. Jndeſſen ließ er ſich, nach
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/272>, abgerufen am 26.11.2024.
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