Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775."Landes, so beschaffen sind, als Sie sie beschreiben, so "muß es ein wahres Unglück seyn, unter ihnen zu "wohnen. Aber, fuhr er fort, -- nachdem er noch- "mals ein wenig gestaunt hatte, -- sollten Men- "schen, die so gesinnet sind, wohl in Gesellschaft le- "ben können? Sollte ein Staat wohl in kurzer Zeit "blühend werden können, der lauter solche Bürger "enthielte? Und doch soll, wie man mich versichert "hat, der Preußische Staat, nur seit Menschengeden- "ken, sehr blühend geworden seyn; besonders soll ja Ber- "lin am Wohlstande seit dreißig Jahren sichtlich zu- "genommen haben.' Der Pietist, der dieses Raisonnement nicht fassen ,Ey nun! sagte Sebaldus, wenn diese Leute kei- Dritter B 5
”Landes, ſo beſchaffen ſind, als Sie ſie beſchreiben, ſo ”muß es ein wahres Ungluͤck ſeyn, unter ihnen zu ”wohnen. Aber, fuhr er fort, — nachdem er noch- ”mals ein wenig geſtaunt hatte, — ſollten Men- ”ſchen, die ſo geſinnet ſind, wohl in Geſellſchaft le- ”ben koͤnnen? Sollte ein Staat wohl in kurzer Zeit ”bluͤhend werden koͤnnen, der lauter ſolche Buͤrger ”enthielte? Und doch ſoll, wie man mich verſichert ”hat, der Preußiſche Staat, nur ſeit Menſchengeden- ”ken, ſehr bluͤhend geworden ſeyn; beſonders ſoll ja Ber- ”lin am Wohlſtande ſeit dreißig Jahren ſichtlich zu- ”genommen haben.‛ Der Pietiſt, der dieſes Raiſonnement nicht faſſen ‚Ey nun! ſagte Sebaldus, wenn dieſe Leute kei- Dritter B 5
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”Landes, ſo beſchaffen ſind, als Sie ſie beſchreiben, ſo
”muß es ein wahres Ungluͤck ſeyn, unter ihnen zu
”wohnen. Aber, fuhr er fort, — nachdem er noch-
”mals ein wenig geſtaunt hatte, — ſollten Men-
”ſchen, die ſo geſinnet ſind, wohl in Geſellſchaft le-
”ben koͤnnen? Sollte ein Staat wohl in kurzer Zeit
”bluͤhend werden koͤnnen, der lauter ſolche Buͤrger
”enthielte? Und doch ſoll, wie man mich verſichert
”hat, der Preußiſche Staat, nur ſeit Menſchengeden-
”ken, ſehr bluͤhend geworden ſeyn; beſonders ſoll ja Ber-
”lin am Wohlſtande ſeit dreißig Jahren ſichtlich zu-
”genommen haben.‛
Der Pietiſt, der dieſes Raiſonnement nicht faſſen
konnte, ſagte mit dummer Gleichguͤltigkeit: ‚Was
”hat das Zeitliche mit dem Himmliſchen zu thun?
”Die Kinder dieſer Welt ſind immer kluͤger, als die
”Kinder des Lichts! Glauben Sie mir gewiß, es giebt
”in dieſer großen Stadt, einige wenige fromme See-
”len ausgenommen, die noch ihren Heiland lieb ha-
”ben, nichts als boͤſe Atheiſten, die keinen Gott, kel-
”nen Teufel, und keine Hoͤlle glauben.‛
‚Ey nun! ſagte Sebaldus, wenn dieſe Leute kei-
”nen Gott glauben, ſo glaube ich einen, und weiß,
”daß er keinem ſeiner Geſchoͤpfe mehr Elend auflegen
”wird, als es tragen kann.‛
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Zitationshilfe: | Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/25>, abgerufen am 26.07.2024. |