,Kommen Sie,' rief sie, weil sie den armen Säugling ein wenig quälen wollte: ,Kommen Sie, "meine Liebe, helfen Sie mir die kleinen tändelnden "Liederchen gegen den Hrn. von Sängling verthei- "digen. Stellen Sie sich nur vor, er will ihnen ent- "sagen! Wenn wir ihn gehen lassen, so wird er große "mächtige Hexameter schmieden wollen, und dann "ist er für uns verloren.' --
Das Fräulein antwortete mit sauersüßer Miene: ,Ach nein! dazu ist der Hr. von Säugling viel zu "zärtlich! Er wird nur merken, was ich schon lange "gedacht habe, daß die Deutsche Sprache überhaupt "zu bäurisch ist, um liebliche Jdeen auszudrücken. "Er wird künftig Französisch schreiben, für die große "Welt, und nicht für die unpolirten Deutschen Bür- "ger. Er liebt ja ohnedieß die Französische Nation "vor allen andern.' Hiebey blickte sie Marianen, die aus einer andern Allee zu ihnen gekommen war, spöttisch über die Achsel an.
Die Gräfinn verstand den Stich, wollte ihn aber nicht verstehen, fuhr daher im scherzenden Tone fort:
,Nein! Säugling, wenn doch einmal das Schick- "sal beschlossen hat, daß es Jhnen unglücklich gehen "soll, so werden Sie lieber ein Original, als ein "solches Mittelding, wie die meisten Schriftsteller
"sind,
M
‚Kommen Sie,‛ rief ſie, weil ſie den armen Saͤugling ein wenig quaͤlen wollte: ‚Kommen Sie, ”meine Liebe, helfen Sie mir die kleinen taͤndelnden ”Liederchen gegen den Hrn. von Saͤngling verthei- ”digen. Stellen Sie ſich nur vor, er will ihnen ent- ”ſagen! Wenn wir ihn gehen laſſen, ſo wird er große ”maͤchtige Hexameter ſchmieden wollen, und dann ”iſt er fuͤr uns verloren.‛ —
Das Fraͤulein antwortete mit ſauerſuͤßer Miene: ‚Ach nein! dazu iſt der Hr. von Saͤugling viel zu ”zaͤrtlich! Er wird nur merken, was ich ſchon lange ”gedacht habe, daß die Deutſche Sprache uͤberhaupt ”zu baͤuriſch iſt, um liebliche Jdeen auszudruͤcken. ”Er wird kuͤnftig Franzoͤſiſch ſchreiben, fuͤr die große ”Welt, und nicht fuͤr die unpolirten Deutſchen Buͤr- ”ger. Er liebt ja ohnedieß die Franzoͤſiſche Nation ”vor allen andern.‛ Hiebey blickte ſie Marianen, die aus einer andern Allee zu ihnen gekommen war, ſpoͤttiſch uͤber die Achſel an.
Die Graͤfinn verſtand den Stich, wollte ihn aber nicht verſtehen, fuhr daher im ſcherzenden Tone fort:
‚Nein! Saͤugling, wenn doch einmal das Schick- ”ſal beſchloſſen hat, daß es Jhnen ungluͤcklich gehen ”ſoll, ſo werden Sie lieber ein Original, als ein ”ſolches Mittelding, wie die meiſten Schriftſteller
”ſind,
M
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0183"n="173"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>‚Kommen Sie,‛ rief ſie, weil ſie den armen<lb/><hirendition="#fr">Saͤugling</hi> ein wenig quaͤlen wollte: ‚Kommen Sie,<lb/>”meine Liebe, helfen Sie mir die kleinen taͤndelnden<lb/>”Liederchen gegen den Hrn. von <hirendition="#fr">Saͤngling</hi> verthei-<lb/>”digen. Stellen Sie ſich nur vor, er will ihnen ent-<lb/>”ſagen! Wenn wir ihn gehen laſſen, ſo wird er große<lb/>”maͤchtige Hexameter ſchmieden wollen, und dann<lb/>”iſt er fuͤr uns verloren.‛—</p><lb/><p>Das Fraͤulein antwortete mit ſauerſuͤßer Miene:<lb/>‚Ach nein! dazu iſt der Hr. von <hirendition="#fr">Saͤugling</hi> viel zu<lb/>”zaͤrtlich! Er wird nur merken, was ich ſchon lange<lb/>”gedacht habe, daß die Deutſche Sprache uͤberhaupt<lb/>”zu baͤuriſch iſt, um liebliche Jdeen auszudruͤcken.<lb/>”Er wird kuͤnftig Franzoͤſiſch ſchreiben, fuͤr die große<lb/>”Welt, und nicht fuͤr die unpolirten Deutſchen Buͤr-<lb/>”ger. Er liebt ja ohnedieß die Franzoͤſiſche Nation<lb/>”vor allen andern.‛ Hiebey blickte ſie <hirendition="#fr">Marianen,</hi><lb/>
die aus einer andern Allee zu ihnen gekommen war,<lb/>ſpoͤttiſch uͤber die Achſel an.</p><lb/><p>Die Graͤfinn verſtand den Stich, wollte ihn aber<lb/>
nicht verſtehen, fuhr daher im ſcherzenden Tone fort:</p><lb/><p>‚Nein! <hirendition="#fr">Saͤugling,</hi> wenn doch einmal das Schick-<lb/>”ſal beſchloſſen hat, daß es Jhnen ungluͤcklich gehen<lb/>”ſoll, ſo werden Sie lieber ein <hirendition="#fr">Original,</hi> als ein<lb/>”ſolches Mittelding, wie die meiſten Schriftſteller<lb/><fwplace="bottom"type="sig">M</fw><fwplace="bottom"type="catch">”ſind,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[173/0183]
‚Kommen Sie,‛ rief ſie, weil ſie den armen
Saͤugling ein wenig quaͤlen wollte: ‚Kommen Sie,
”meine Liebe, helfen Sie mir die kleinen taͤndelnden
”Liederchen gegen den Hrn. von Saͤngling verthei-
”digen. Stellen Sie ſich nur vor, er will ihnen ent-
”ſagen! Wenn wir ihn gehen laſſen, ſo wird er große
”maͤchtige Hexameter ſchmieden wollen, und dann
”iſt er fuͤr uns verloren.‛ —
Das Fraͤulein antwortete mit ſauerſuͤßer Miene:
‚Ach nein! dazu iſt der Hr. von Saͤugling viel zu
”zaͤrtlich! Er wird nur merken, was ich ſchon lange
”gedacht habe, daß die Deutſche Sprache uͤberhaupt
”zu baͤuriſch iſt, um liebliche Jdeen auszudruͤcken.
”Er wird kuͤnftig Franzoͤſiſch ſchreiben, fuͤr die große
”Welt, und nicht fuͤr die unpolirten Deutſchen Buͤr-
”ger. Er liebt ja ohnedieß die Franzoͤſiſche Nation
”vor allen andern.‛ Hiebey blickte ſie Marianen,
die aus einer andern Allee zu ihnen gekommen war,
ſpoͤttiſch uͤber die Achſel an.
Die Graͤfinn verſtand den Stich, wollte ihn aber
nicht verſtehen, fuhr daher im ſcherzenden Tone fort:
‚Nein! Saͤugling, wenn doch einmal das Schick-
”ſal beſchloſſen hat, daß es Jhnen ungluͤcklich gehen
”ſoll, ſo werden Sie lieber ein Original, als ein
”ſolches Mittelding, wie die meiſten Schriftſteller
”ſind,
M
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/183>, abgerufen am 26.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.