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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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S. Vielleicht sprechen dieß Ew. Gnaden - - nicht
ganz - - im Ernste, - - die Damen pflegen doch
sonst, - - wenigstens glaube ich es so gefunden zu ha-
ben, - - unter aller übrigen Lektur - - am meisten - -
Gedichte zu lieben --

Gr. Glauben Sie das nicht mein, lieber Säug-
ling;
oft kaum, wenn wir darinn gelobt werden,
finden wir sie erträglich. Unter uns gesagt, wir ha-
ben oft herzliche lange Weile, wenn man sie uns vor-
lieset. Wir gähnen, und trauen uns nicht den Mund
aufzuthun.

S. Ach! ich merke schon, hier ist ein kleines Miß-
verständniß, Sie wollen sagen:

Die großen Verse, welche man
Auf einem großen Amboß schmiedet,
Die liest man nicht, man wird ermüdet;
Jhr Donner störet unsre Ruh.
So großer Lerm wozu? wozu?

Allein die kleinen niedlichen Verse:

Die kleinen Dingerchen die sich,
Gefällig zu Gedanken schmiegen,
Zwar nicht bis an den Himmel fliegen,
Jedoch auch nicht, dahin verstiegen
Und dann gestürzet, jämmerlich
Zerschmettert auf der Erde liegen:
Die kleinen Dingerchen lieb' ich!
Sie


S. Vielleicht ſprechen dieß Ew. Gnaden ‒ ‒ nicht
ganz ‒ ‒ im Ernſte, ‒ ‒ die Damen pflegen doch
ſonſt, ‒ ‒ wenigſtens glaube ich es ſo gefunden zu ha-
ben, ‒ ‒ unter aller uͤbrigen Lektur ‒ ‒ am meiſten ‒ ‒
Gedichte zu lieben —

Gr. Glauben Sie das nicht mein, lieber Saͤug-
ling;
oft kaum, wenn wir darinn gelobt werden,
finden wir ſie ertraͤglich. Unter uns geſagt, wir ha-
ben oft herzliche lange Weile, wenn man ſie uns vor-
lieſet. Wir gaͤhnen, und trauen uns nicht den Mund
aufzuthun.

S. Ach! ich merke ſchon, hier iſt ein kleines Miß-
verſtaͤndniß, Sie wollen ſagen:

Die großen Verſe, welche man
Auf einem großen Amboß ſchmiedet,
Die lieſt man nicht, man wird ermuͤdet;
Jhr Donner ſtoͤret unſre Ruh.
So großer Lerm wozu? wozu?

Allein die kleinen niedlichen Verſe:

Die kleinen Dingerchen die ſich,
Gefaͤllig zu Gedanken ſchmiegen,
Zwar nicht bis an den Himmel fliegen,
Jedoch auch nicht, dahin verſtiegen
Und dann geſtuͤrzet, jaͤmmerlich
Zerſchmettert auf der Erde liegen:
Die kleinen Dingerchen lieb’ ich!
Sie
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[171/0181] S. Vielleicht ſprechen dieß Ew. Gnaden ‒ ‒ nicht ganz ‒ ‒ im Ernſte, ‒ ‒ die Damen pflegen doch ſonſt, ‒ ‒ wenigſtens glaube ich es ſo gefunden zu ha- ben, ‒ ‒ unter aller uͤbrigen Lektur ‒ ‒ am meiſten ‒ ‒ Gedichte zu lieben — Gr. Glauben Sie das nicht mein, lieber Saͤug- ling; oft kaum, wenn wir darinn gelobt werden, finden wir ſie ertraͤglich. Unter uns geſagt, wir ha- ben oft herzliche lange Weile, wenn man ſie uns vor- lieſet. Wir gaͤhnen, und trauen uns nicht den Mund aufzuthun. S. Ach! ich merke ſchon, hier iſt ein kleines Miß- verſtaͤndniß, Sie wollen ſagen: Die großen Verſe, welche man Auf einem großen Amboß ſchmiedet, Die lieſt man nicht, man wird ermuͤdet; Jhr Donner ſtoͤret unſre Ruh. So großer Lerm wozu? wozu? Allein die kleinen niedlichen Verſe: Die kleinen Dingerchen die ſich, Gefaͤllig zu Gedanken ſchmiegen, Zwar nicht bis an den Himmel fliegen, Jedoch auch nicht, dahin verſtiegen Und dann geſtuͤrzet, jaͤmmerlich Zerſchmettert auf der Erde liegen: Die kleinen Dingerchen lieb’ ich! Sie

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/181>, abgerufen am 22.11.2024.