"Reue, keine Klagen helfen kann. -- Entsetzlich! "von Jhm so zu denken, dem Vater des Lebens, dem "Geber alles Guten!' --
Sebaldus war in großen Eifer gerathen; er brach plötzlich ab, und fieng an nachzudenken, wie der gute Mann gemeiniglich that, wenn er merkte, daß er sehr heftig geworden war, um zu überlegen, ob er sich auch vergangen, oder zu viel geredet habe.
Der Pietist bewegte den Zeigefinger seiner rechten Hand zweymal auf und nieder, und sagte sanftmü- thiglich:
,Lieber Bruder, ich beweine deinen erschrecklichen "Unglauben; und du kannst noch in ungöttlichen Eifer "gerathen! Hier kann man den sichtlichen Unterschied "des Standes der Natur und der Gnade sehen. "Wer in der Gnade ist, der ist so ruhig, der erträget "alles, der erduldet alles, stellet alles Gott anheim.' --
Jndem er dieß sagte, sprangen unvermuthet zwey Räuber, von welchen damals, nach eben geschlossenem Frieden, die ganze Gegend wimmelte, mit gezogenen Säbeln aus einem dicken Gebüsche, und fielen die Reisenden an. Sebaldus gab mit dem ruhigen Be- wußtseyn, daß er sich nicht wehren könnte, und daß er wenig zu verlieren hätte, das wenige Silbergeld her, das ihm übrig geblieben war. Der Pietist hin-
gegen
”Reue, keine Klagen helfen kann. — Entſetzlich! ”von Jhm ſo zu denken, dem Vater des Lebens, dem ”Geber alles Guten!‛ —
Sebaldus war in großen Eifer gerathen; er brach ploͤtzlich ab, und fieng an nachzudenken, wie der gute Mann gemeiniglich that, wenn er merkte, daß er ſehr heftig geworden war, um zu uͤberlegen, ob er ſich auch vergangen, oder zu viel geredet habe.
Der Pietiſt bewegte den Zeigefinger ſeiner rechten Hand zweymal auf und nieder, und ſagte ſanftmuͤ- thiglich:
‚Lieber Bruder, ich beweine deinen erſchrecklichen ”Unglauben; und du kannſt noch in ungoͤttlichen Eifer ”gerathen! Hier kann man den ſichtlichen Unterſchied ”des Standes der Natur und der Gnade ſehen. ”Wer in der Gnade iſt, der iſt ſo ruhig, der ertraͤget ”alles, der erduldet alles, ſtellet alles Gott anheim.‛ —
Jndem er dieß ſagte, ſprangen unvermuthet zwey Raͤuber, von welchen damals, nach eben geſchloſſenem Frieden, die ganze Gegend wimmelte, mit gezogenen Saͤbeln aus einem dicken Gebuͤſche, und fielen die Reiſenden an. Sebaldus gab mit dem ruhigen Be- wußtſeyn, daß er ſich nicht wehren koͤnnte, und daß er wenig zu verlieren haͤtte, das wenige Silbergeld her, das ihm uͤbrig geblieben war. Der Pietiſt hin-
gegen
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”Reue, keine Klagen helfen kann. — Entſetzlich!
”von Jhm ſo zu denken, dem Vater des Lebens, dem
”Geber alles Guten!‛ —
Sebaldus war in großen Eifer gerathen; er brach
ploͤtzlich ab, und fieng an nachzudenken, wie der gute
Mann gemeiniglich that, wenn er merkte, daß er
ſehr heftig geworden war, um zu uͤberlegen, ob er ſich
auch vergangen, oder zu viel geredet habe.
Der Pietiſt bewegte den Zeigefinger ſeiner rechten
Hand zweymal auf und nieder, und ſagte ſanftmuͤ-
thiglich:
‚Lieber Bruder, ich beweine deinen erſchrecklichen
”Unglauben; und du kannſt noch in ungoͤttlichen Eifer
”gerathen! Hier kann man den ſichtlichen Unterſchied
”des Standes der Natur und der Gnade ſehen.
”Wer in der Gnade iſt, der iſt ſo ruhig, der ertraͤget
”alles, der erduldet alles, ſtellet alles Gott anheim.‛ —
Jndem er dieß ſagte, ſprangen unvermuthet zwey
Raͤuber, von welchen damals, nach eben geſchloſſenem
Frieden, die ganze Gegend wimmelte, mit gezogenen
Saͤbeln aus einem dicken Gebuͤſche, und fielen die
Reiſenden an. Sebaldus gab mit dem ruhigen Be-
wußtſeyn, daß er ſich nicht wehren koͤnnte, und daß
er wenig zu verlieren haͤtte, das wenige Silbergeld
her, das ihm uͤbrig geblieben war. Der Pietiſt hin-
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/18>, abgerufen am 26.07.2024.
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