Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.Frau von Ehrenkolb, Säugling das Fräulein. Kaum hatte die Gräfinn ihre Freundinn umarmen können, als das Fräulein, von Säuglings Hand, auf sie zurauschte, und sich mit einem: "Ah ma chere "Comtesse, que je suis ravie de vous embrasser, c'est "un million d'annees, qu'on ne vous a pas vau" in ihre Arme warf. Jndem dieses geschah, erblickte Ma- riane Säuglingen, und ward feuerroth; Säug- ling warf zu gleicher Zeit die Augen auf Marianen, und stand mit einemmale, wie eine Salzsäule, so daß er auch weder die Gräfinn noch Marianen grüßte. Die Gräfinn redete ihn an, er ward blaß und roth, wollte seine Verwirrung verbergen, und sahe noch dähmischer aus. Die Gräfinn stellte ihm Marianen, als eine vorige Bekanntschaft vor, er fieng an zu stammeln, und nannte sie Madame. Die Gräfinn lachte, und fragte, ob er seine ehemalige Freundinn nicht kenne. Säugling stotterte aber- mals, -- und besann sich zu spät, zu sagen, daß er sich im Gesichte geirret hätte, wußte aber noch nicht, welche Miene er annehmen sollte. Nachdem er sich von seiner ersten Bestürzung ein brannte L 3
Frau von Ehrenkolb, Saͤugling das Fraͤulein. Kaum hatte die Graͤfinn ihre Freundinn umarmen koͤnnen, als das Fraͤulein, von Saͤuglings Hand, auf ſie zurauſchte, und ſich mit einem: „Ah ma chere ”Comteſſe, que je ſuis ravie de vous embraſſer, c’eſt ”un million d’années, qu’on ne vous a pas vû‟ in ihre Arme warf. Jndem dieſes geſchah, erblickte Ma- riane Saͤuglingen, und ward feuerroth; Saͤug- ling warf zu gleicher Zeit die Augen auf Marianen, und ſtand mit einemmale, wie eine Salzſaͤule, ſo daß er auch weder die Graͤfinn noch Marianen gruͤßte. Die Graͤfinn redete ihn an, er ward blaß und roth, wollte ſeine Verwirrung verbergen, und ſahe noch daͤhmiſcher aus. Die Graͤfinn ſtellte ihm Marianen, als eine vorige Bekanntſchaft vor, er fieng an zu ſtammeln, und nannte ſie Madame. Die Graͤfinn lachte, und fragte, ob er ſeine ehemalige Freundinn nicht kenne. Saͤugling ſtotterte aber- mals, — und beſann ſich zu ſpaͤt, zu ſagen, daß er ſich im Geſichte geirret haͤtte, wußte aber noch nicht, welche Miene er annehmen ſollte. Nachdem er ſich von ſeiner erſten Beſtuͤrzung ein brannte L 3
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Frau von Ehrenkolb, Saͤugling das Fraͤulein.
Kaum hatte die Graͤfinn ihre Freundinn umarmen
koͤnnen, als das Fraͤulein, von Saͤuglings Hand,
auf ſie zurauſchte, und ſich mit einem: „Ah ma chere
”Comteſſe, que je ſuis ravie de vous embraſſer, c’eſt
”un million d’années, qu’on ne vous a pas vû‟ in ihre
Arme warf. Jndem dieſes geſchah, erblickte Ma-
riane Saͤuglingen, und ward feuerroth; Saͤug-
ling warf zu gleicher Zeit die Augen auf Marianen,
und ſtand mit einemmale, wie eine Salzſaͤule, ſo
daß er auch weder die Graͤfinn noch Marianen
gruͤßte. Die Graͤfinn redete ihn an, er ward blaß
und roth, wollte ſeine Verwirrung verbergen, und
ſahe noch daͤhmiſcher aus. Die Graͤfinn ſtellte ihm
Marianen, als eine vorige Bekanntſchaft vor, er
fieng an zu ſtammeln, und nannte ſie Madame. Die
Graͤfinn lachte, und fragte, ob er ſeine ehemalige
Freundinn nicht kenne. Saͤugling ſtotterte aber-
mals, — und beſann ſich zu ſpaͤt, zu ſagen, daß er
ſich im Geſichte geirret haͤtte, wußte aber noch nicht,
welche Miene er annehmen ſollte.
Nachdem er ſich von ſeiner erſten Beſtuͤrzung ein
wenig erholt hatte, ſah er wohl ein, daß er von ſei-
ner Tante ſey hintergangen worden, und konnte auch
die Abſicht ihrer Liſt leicht errathen. Nun ent-
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Zitationshilfe: | Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/171>, abgerufen am 26.07.2024. |