für vollgültig angenommen werden. Die meisten Hofleute machen diese Grimasse so oft, daß sie sie für etwas wirkliches halten, und sich einbilden, sie verständen viel, und nähmen an vielen Dingen An- theil, merken aber nicht, daß sie oft von denen, die sie am meisten überredet zu haben glauben, durch und durch gesehen werden.
Diese Kunst nun suchte der Oberste zu üben, in- dem er sich stellte, als ob er von Gedichten entzückt würde, an denen ihm eigentlich nichts gelegen war, und wovon er weder etwas verstand noch empfand. Säugling, der nicht weit sahe, sondern glaubte, daß man es aufrichtig meinen müßte, wenn man seine Gedichte lobte, war sehr zufrieden. Der Oberste war es auch, weil er seine Geschicklichkeit genoß, einen andern zu überlisten. Das Fräulein auch, weil sie, anstatt Eines Anbeters, zwey hatte. Und endlich die Frau von Ehrenkolb auch, weil sie glaubte, daß zwischen ihrer Tochter und dem reichen Obersten eine Vermählung geschlossen werden könne. Denn daß Säugling, ein bürgerlicher Poet, auf ihre Tochter sollte Anspruch machen wollen, kam ihr gar nicht in den Sinn; und Säugling selbst hatte, mit gutem Herzen, das, was ihm die Frau von Hohenauf dar- über gesagt hatte, gänzlich vergessen; denn sein gan-
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fuͤr vollguͤltig angenommen werden. Die meiſten Hofleute machen dieſe Grimaſſe ſo oft, daß ſie ſie fuͤr etwas wirkliches halten, und ſich einbilden, ſie verſtaͤnden viel, und naͤhmen an vielen Dingen An- theil, merken aber nicht, daß ſie oft von denen, die ſie am meiſten uͤberredet zu haben glauben, durch und durch geſehen werden.
Dieſe Kunſt nun ſuchte der Oberſte zu uͤben, in- dem er ſich ſtellte, als ob er von Gedichten entzuͤckt wuͤrde, an denen ihm eigentlich nichts gelegen war, und wovon er weder etwas verſtand noch empfand. Saͤugling, der nicht weit ſahe, ſondern glaubte, daß man es aufrichtig meinen muͤßte, wenn man ſeine Gedichte lobte, war ſehr zufrieden. Der Oberſte war es auch, weil er ſeine Geſchicklichkeit genoß, einen andern zu uͤberliſten. Das Fraͤulein auch, weil ſie, anſtatt Eines Anbeters, zwey hatte. Und endlich die Frau von Ehrenkolb auch, weil ſie glaubte, daß zwiſchen ihrer Tochter und dem reichen Oberſten eine Vermaͤhlung geſchloſſen werden koͤnne. Denn daß Saͤugling, ein buͤrgerlicher Poet, auf ihre Tochter ſollte Anſpruch machen wollen, kam ihr gar nicht in den Sinn; und Saͤugling ſelbſt hatte, mit gutem Herzen, das, was ihm die Frau von Hohenauf dar- uͤber geſagt hatte, gaͤnzlich vergeſſen; denn ſein gan-
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fuͤr vollguͤltig angenommen werden. Die meiſten
Hofleute machen dieſe Grimaſſe ſo oft, daß ſie ſie
fuͤr etwas wirkliches halten, und ſich einbilden, ſie
verſtaͤnden viel, und naͤhmen an vielen Dingen An-
theil, merken aber nicht, daß ſie oft von denen, die
ſie am meiſten uͤberredet zu haben glauben, durch
und durch geſehen werden.
Dieſe Kunſt nun ſuchte der Oberſte zu uͤben, in-
dem er ſich ſtellte, als ob er von Gedichten entzuͤckt
wuͤrde, an denen ihm eigentlich nichts gelegen war,
und wovon er weder etwas verſtand noch empfand.
Saͤugling, der nicht weit ſahe, ſondern glaubte, daß
man es aufrichtig meinen muͤßte, wenn man ſeine
Gedichte lobte, war ſehr zufrieden. Der Oberſte war
es auch, weil er ſeine Geſchicklichkeit genoß, einen
andern zu uͤberliſten. Das Fraͤulein auch, weil ſie,
anſtatt Eines Anbeters, zwey hatte. Und endlich die
Frau von Ehrenkolb auch, weil ſie glaubte, daß
zwiſchen ihrer Tochter und dem reichen Oberſten eine
Vermaͤhlung geſchloſſen werden koͤnne. Denn daß
Saͤugling, ein buͤrgerlicher Poet, auf ihre Tochter
ſollte Anſpruch machen wollen, kam ihr gar nicht in
den Sinn; und Saͤugling ſelbſt hatte, mit gutem
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/169>, abgerufen am 16.02.2025.
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