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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775.

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Seltsamkeit war hauptsächlich die Ursach, warum sie
Säuglings Verse so allerliebst fand, obgleich der Ver-
fasser wirklich glaubte, die Vortreflichkeit seiner Verse
sey die Ursach davon. Ein sehr gewöhnlicher Jrr-
thum. Denn wenn z. B. unsere Deutschen Hofleute,
neben ihrer gewöhnlichen standesmäßigen Französi-
schen Lektur, zuweilen auch ein Deutsches Buch durch-
blättern, und davon reden, geschieht es oft bloß des-
halb, weil sie dadurch am Hofe einen gewissen An-
strich von Sonderbarkeit zu erhalten meinen, der sie
unter den übrigen flachen Hofgesichtern ein wenig
hervorziehen könnte; indessen halten dieß unsere gut-
herzigen Deutschen Genien doch oft für einen wirkli-
chen Beyfall, und träumen wohl gar, die Zeit sey
nahe, da sich der reichste und wollüstigste Theil der
Nation, des witzigsten und verständigsten nicht mehr
schämen wird.

Säugling, dem ein Zweifel dieser Art nicht ein-
fallen konnte, schwamm in dem Vergnügen, daß
seine Geisteswerke, von einem so schönen Fräulein
bewundert würden. Jn dieser Entzückung kam er
auf den Gedanken, ihr seine Sammlung von Ge-
dichten, deren Abdruck eben geendigt werden sollte,
zuzueignen. Dieß setzte ihn ganz in die Gunst des
Fräuleins. Jhren Namen gedruckt zu erblicken, sich

vor



Seltſamkeit war hauptſaͤchlich die Urſach, warum ſie
Saͤuglings Verſe ſo allerliebſt fand, obgleich der Ver-
faſſer wirklich glaubte, die Vortreflichkeit ſeiner Verſe
ſey die Urſach davon. Ein ſehr gewoͤhnlicher Jrr-
thum. Denn wenn z. B. unſere Deutſchen Hofleute,
neben ihrer gewoͤhnlichen ſtandesmaͤßigen Franzoͤſi-
ſchen Lektur, zuweilen auch ein Deutſches Buch durch-
blaͤttern, und davon reden, geſchieht es oft bloß des-
halb, weil ſie dadurch am Hofe einen gewiſſen An-
ſtrich von Sonderbarkeit zu erhalten meinen, der ſie
unter den uͤbrigen flachen Hofgeſichtern ein wenig
hervorziehen koͤnnte; indeſſen halten dieß unſere gut-
herzigen Deutſchen Genien doch oft fuͤr einen wirkli-
chen Beyfall, und traͤumen wohl gar, die Zeit ſey
nahe, da ſich der reichſte und wolluͤſtigſte Theil der
Nation, des witzigſten und verſtaͤndigſten nicht mehr
ſchaͤmen wird.

Saͤugling, dem ein Zweifel dieſer Art nicht ein-
fallen konnte, ſchwamm in dem Vergnuͤgen, daß
ſeine Geiſteswerke, von einem ſo ſchoͤnen Fraͤulein
bewundert wuͤrden. Jn dieſer Entzuͤckung kam er
auf den Gedanken, ihr ſeine Sammlung von Ge-
dichten, deren Abdruck eben geendigt werden ſollte,
zuzueignen. Dieß ſetzte ihn ganz in die Gunſt des
Fraͤuleins. Jhren Namen gedruckt zu erblicken, ſich

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[155/0165] Seltſamkeit war hauptſaͤchlich die Urſach, warum ſie Saͤuglings Verſe ſo allerliebſt fand, obgleich der Ver- faſſer wirklich glaubte, die Vortreflichkeit ſeiner Verſe ſey die Urſach davon. Ein ſehr gewoͤhnlicher Jrr- thum. Denn wenn z. B. unſere Deutſchen Hofleute, neben ihrer gewoͤhnlichen ſtandesmaͤßigen Franzoͤſi- ſchen Lektur, zuweilen auch ein Deutſches Buch durch- blaͤttern, und davon reden, geſchieht es oft bloß des- halb, weil ſie dadurch am Hofe einen gewiſſen An- ſtrich von Sonderbarkeit zu erhalten meinen, der ſie unter den uͤbrigen flachen Hofgeſichtern ein wenig hervorziehen koͤnnte; indeſſen halten dieß unſere gut- herzigen Deutſchen Genien doch oft fuͤr einen wirkli- chen Beyfall, und traͤumen wohl gar, die Zeit ſey nahe, da ſich der reichſte und wolluͤſtigſte Theil der Nation, des witzigſten und verſtaͤndigſten nicht mehr ſchaͤmen wird. Saͤugling, dem ein Zweifel dieſer Art nicht ein- fallen konnte, ſchwamm in dem Vergnuͤgen, daß ſeine Geiſteswerke, von einem ſo ſchoͤnen Fraͤulein bewundert wuͤrden. Jn dieſer Entzuͤckung kam er auf den Gedanken, ihr ſeine Sammlung von Ge- dichten, deren Abdruck eben geendigt werden ſollte, zuzueignen. Dieß ſetzte ihn ganz in die Gunſt des Fraͤuleins. Jhren Namen gedruckt zu erblicken, ſich vor

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/165>, abgerufen am 25.11.2024.