Die Frau von Ehrenkolb gehörte zu den guten Müttern, die sich selbst in ihren Töchtern genießen. Daß ihre Tochter Aufsehen machte, und gerühmt wurde, gefiel dem guten mütterlichen Herzen, und wenn sich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo- lität setzte, so war doch die kleinste Liebkosung der Tochter hinlänglich, die schwache Mutter nachge- bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge- nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter gesetzt und weise wäre.
So ungelegen es dem Fräulein gewesen war, daß sie der verdrießliche Frühling aus der fürstlichen Re- sidenz auf das Land trieb, so angenehm war ihr die Einladung der Frau von Hohenauf. Sie hatte bey derselben schon oft große glänzende Gesellschaften ge- sehen, und hoffte also daselbst ebenfalls wieder viel schöne Welt, und unter derselben viele Anbeter zu finden. Sie probirte schon in Gedanken die Rollen, die sie spielen wollte, und träumte schon viel von zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen, und von einer muntern Jugend, die sie mit Einem Blicke an ihrem Siegeswagen hinter sich zog. Wie sehr erschrocken war sie daher, als sie niemand an- traf; denn den schüchternen Säugling, der eine so rauschende Petitemaitresse, als ein niegesehenes Wun-
derthier
Die Frau von Ehrenkolb gehoͤrte zu den guten Muͤttern, die ſich ſelbſt in ihren Toͤchtern genießen. Daß ihre Tochter Aufſehen machte, und geruͤhmt wurde, gefiel dem guten muͤtterlichen Herzen, und wenn ſich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo- litaͤt ſetzte, ſo war doch die kleinſte Liebkoſung der Tochter hinlaͤnglich, die ſchwache Mutter nachge- bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge- nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter geſetzt und weiſe waͤre.
So ungelegen es dem Fraͤulein geweſen war, daß ſie der verdrießliche Fruͤhling aus der fuͤrſtlichen Re- ſidenz auf das Land trieb, ſo angenehm war ihr die Einladung der Frau von Hohenauf. Sie hatte bey derſelben ſchon oft große glaͤnzende Geſellſchaften ge- ſehen, und hoffte alſo daſelbſt ebenfalls wieder viel ſchoͤne Welt, und unter derſelben viele Anbeter zu finden. Sie probirte ſchon in Gedanken die Rollen, die ſie ſpielen wollte, und traͤumte ſchon viel von zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen, und von einer muntern Jugend, die ſie mit Einem Blicke an ihrem Siegeswagen hinter ſich zog. Wie ſehr erſchrocken war ſie daher, als ſie niemand an- traf; denn den ſchuͤchternen Saͤugling, der eine ſo rauſchende Petitemaitreſſe, als ein niegeſehenes Wun-
derthier
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Die Frau von Ehrenkolb gehoͤrte zu den guten
Muͤttern, die ſich ſelbſt in ihren Toͤchtern genießen.
Daß ihre Tochter Aufſehen machte, und geruͤhmt
wurde, gefiel dem guten muͤtterlichen Herzen, und
wenn ſich ihre Erfahrung auch wider manche Frivo-
litaͤt ſetzte, ſo war doch die kleinſte Liebkoſung der
Tochter hinlaͤnglich, die ſchwache Mutter nachge-
bend zu machen, ja ein ruhiger Nachmittag war ge-
nug, ihr einzubilden, daß ihre Tochter geſetzt und
weiſe waͤre.
So ungelegen es dem Fraͤulein geweſen war, daß
ſie der verdrießliche Fruͤhling aus der fuͤrſtlichen Re-
ſidenz auf das Land trieb, ſo angenehm war ihr die
Einladung der Frau von Hohenauf. Sie hatte bey
derſelben ſchon oft große glaͤnzende Geſellſchaften ge-
ſehen, und hoffte alſo daſelbſt ebenfalls wieder viel
ſchoͤne Welt, und unter derſelben viele Anbeter zu
finden. Sie probirte ſchon in Gedanken die Rollen,
die ſie ſpielen wollte, und traͤumte ſchon viel von
zahlreichen Partien, vom Neide anderer Damen,
und von einer muntern Jugend, die ſie mit Einem
Blicke an ihrem Siegeswagen hinter ſich zog. Wie
ſehr erſchrocken war ſie daher, als ſie niemand an-
traf; denn den ſchuͤchternen Saͤugling, der eine ſo
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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 2. Berlin u. a., 1775, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker02_1775/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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