Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.unterrichtet, nicht, weil er in das Hausregiment der Layen einen Einfluß zu haben suchte, sondern weil er von ihnen bey allen ihren Verlegenheiten um Rath, bey allen ihren Zwistigkeiten um Vermittelung ersucht ward. Er war gewohnt, in seinen Predigten nicht auf die Laster zu schelten, aber wenn ein Laster in der Gemeine verübt wurde, pflegte er, ohne desselben zu gedenken, die entgegengesetzte Tugend einzuschärfen. Daher richtete er seine Predigten auch mehr nach den Bedürfnissen seiner Gemeinde als nach der Folge der Evangelien ein. Er hat wohl eher über das Evan- gelium vom Zinsgroschen: von den Vortheilen eines mässigen und nüchternen Lebens gepredigt, bloß weil sich kurz vorher ein paar Bauren in der Schenke betrunken hatten. Als er einst vergeblich versucht hatte, zween Bauern, die in offenbarer Feind- seligkeit lebten, zu vergleichen, und von dem einen hart mit Worten war angelassen worden, predigte er am Tage St. Stephani des Märtyrers: von der ersten Pflicht wahrer Christen, ihren Näch- sten zu lieben, und gedachte der empfangenen Schelt- worte nicht, ob ihm gleich die Worte des Evangelium: Jerusalem, die du tödtest die Propheten und steinigest, die zu dir gesandt sind, die schönste Ge- legenheit dazu gegeben hätten. Zu
unterrichtet, nicht, weil er in das Hausregiment der Layen einen Einfluß zu haben ſuchte, ſondern weil er von ihnen bey allen ihren Verlegenheiten um Rath, bey allen ihren Zwiſtigkeiten um Vermittelung erſucht ward. Er war gewohnt, in ſeinen Predigten nicht auf die Laſter zu ſchelten, aber wenn ein Laſter in der Gemeine veruͤbt wurde, pflegte er, ohne deſſelben zu gedenken, die entgegengeſetzte Tugend einzuſchaͤrfen. Daher richtete er ſeine Predigten auch mehr nach den Beduͤrfniſſen ſeiner Gemeinde als nach der Folge der Evangelien ein. Er hat wohl eher uͤber das Evan- gelium vom Zinsgroſchen: von den Vortheilen eines maͤſſigen und nuͤchternen Lebens gepredigt, bloß weil ſich kurz vorher ein paar Bauren in der Schenke betrunken hatten. Als er einſt vergeblich verſucht hatte, zween Bauern, die in offenbarer Feind- ſeligkeit lebten, zu vergleichen, und von dem einen hart mit Worten war angelaſſen worden, predigte er am Tage St. Stephani des Maͤrtyrers: von der erſten Pflicht wahrer Chriſten, ihren Naͤch- ſten zu lieben, und gedachte der empfangenen Schelt- worte nicht, ob ihm gleich die Worte des Evangelium: Jeruſalem, die du toͤdteſt die Propheten und ſteinigeſt, die zu dir geſandt ſind, die ſchoͤnſte Ge- legenheit dazu gegeben haͤtten. Zu
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er von ihnen bey allen ihren Verlegenheiten um Rath,
bey allen ihren Zwiſtigkeiten um Vermittelung erſucht
ward. Er war gewohnt, in ſeinen Predigten nicht
auf die Laſter zu ſchelten, aber wenn ein Laſter in der
Gemeine veruͤbt wurde, pflegte er, ohne deſſelben zu
gedenken, die entgegengeſetzte Tugend einzuſchaͤrfen.
Daher richtete er ſeine Predigten auch mehr nach den
Beduͤrfniſſen ſeiner Gemeinde als nach der Folge der
Evangelien ein. Er hat wohl eher uͤber das Evan-
gelium vom Zinsgroſchen: von den Vortheilen
eines maͤſſigen und nuͤchternen Lebens gepredigt,
bloß weil ſich kurz vorher ein paar Bauren in der
Schenke betrunken hatten. Als er einſt vergeblich
verſucht hatte, zween Bauern, die in offenbarer Feind-
ſeligkeit lebten, zu vergleichen, und von dem einen
hart mit Worten war angelaſſen worden, predigte er
am Tage St. Stephani des Maͤrtyrers: von
der erſten Pflicht wahrer Chriſten, ihren Naͤch-
ſten zu lieben, und gedachte der empfangenen Schelt-
worte nicht, ob ihm gleich die Worte des Evangelium:
Jeruſalem, die du toͤdteſt die Propheten und
ſteinigeſt, die zu dir geſandt ſind, die ſchoͤnſte Ge-
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