Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



gen, aus deren Winkeln beständig ein paar matte
rothgelbe Augäpfel liebäugelten, die kleinen Fräulein
waren noch allzu jung, und die übrigen weiblichen Ge-
schöpfe waren unter der Notiz eines feinen Mannes
wie Säugling. Hiezu kam, daß bey der ersten Un-
terredung Mariane untrügliche Kennzeichen ihres
guten Geschmacks merken ließ, wodurch Säugling
Herz bekam, ihr ein Gedicht vorzulesen, welches Ma-
riane
mit so großem Beyfalle anhörte, und dessen
Schönheiten so fein hervorzusuchen wußte, daß das
kleine Männchen vor Entzücken ausser sich war.

Dies veranlaßte eine nähere Bekanntschaft, in der
Säugling bald Marianens, vor der Frau von Ho-
henauf
bisher so geheim gehaltene, Bibliothek von
guten deutschen Büchern entdeckte. Er erstaunte nicht
wenig, eine Französinn so aufmerksam auf die deutsche
Litteratur zu finden. Da er gewohnt war, alles was
er sahe auf seine kleine Person zurück zu führen, so
fiel er schnell darauf, wie möglich es sey, (wenn er, wie er
zuverläßig hoffte, unter den guten Dichtern Deutsch-
lands einen Platz verdienen würde,) daß sein Ruhm
auch ausser Deutschland sich ausbreiten, daß seine Ge-
dichte ins französische übersetzt, und von den Damen
an allen Höfen Europens gelesen werden könnten. Er
wußte es Marianen Dank, daß sie zuerst eine so

schmei-



gen, aus deren Winkeln beſtaͤndig ein paar matte
rothgelbe Augaͤpfel liebaͤugelten, die kleinen Fraͤulein
waren noch allzu jung, und die uͤbrigen weiblichen Ge-
ſchoͤpfe waren unter der Notiz eines feinen Mannes
wie Saͤugling. Hiezu kam, daß bey der erſten Un-
terredung Mariane untruͤgliche Kennzeichen ihres
guten Geſchmacks merken ließ, wodurch Saͤugling
Herz bekam, ihr ein Gedicht vorzuleſen, welches Ma-
riane
mit ſo großem Beyfalle anhoͤrte, und deſſen
Schoͤnheiten ſo fein hervorzuſuchen wußte, daß das
kleine Maͤnnchen vor Entzuͤcken auſſer ſich war.

Dies veranlaßte eine naͤhere Bekanntſchaft, in der
Saͤugling bald Marianens, vor der Frau von Ho-
henauf
bisher ſo geheim gehaltene, Bibliothek von
guten deutſchen Buͤchern entdeckte. Er erſtaunte nicht
wenig, eine Franzoͤſinn ſo aufmerkſam auf die deutſche
Litteratur zu finden. Da er gewohnt war, alles was
er ſahe auf ſeine kleine Perſon zuruͤck zu fuͤhren, ſo
fiel er ſchnell darauf, wie moͤglich es ſey, (wenn er, wie er
zuverlaͤßig hoffte, unter den guten Dichtern Deutſch-
lands einen Platz verdienen wuͤrde,) daß ſein Ruhm
auch auſſer Deutſchland ſich ausbreiten, daß ſeine Ge-
dichte ins franzoͤſiſche uͤberſetzt, und von den Damen
an allen Hoͤfen Europens geleſen werden koͤnnten. Er
wußte es Marianen Dank, daß ſie zuerſt eine ſo

ſchmei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0218" n="192"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gen, aus deren Winkeln be&#x017F;ta&#x0364;ndig ein paar matte<lb/>
rothgelbe Auga&#x0364;pfel lieba&#x0364;ugelten, die kleinen Fra&#x0364;ulein<lb/>
waren noch allzu jung, und die u&#x0364;brigen weiblichen Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfe waren unter der Notiz eines feinen Mannes<lb/>
wie <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling.</hi> Hiezu kam, daß bey der er&#x017F;ten Un-<lb/>
terredung <hi rendition="#fr">Mariane</hi> untru&#x0364;gliche Kennzeichen ihres<lb/>
guten Ge&#x017F;chmacks merken ließ, wodurch <hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi><lb/>
Herz bekam, ihr ein Gedicht vorzule&#x017F;en, welches <hi rendition="#fr">Ma-<lb/>
riane</hi> mit &#x017F;o großem Beyfalle anho&#x0364;rte, und de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Scho&#x0364;nheiten &#x017F;o fein hervorzu&#x017F;uchen wußte, daß das<lb/>
kleine Ma&#x0364;nnchen vor Entzu&#x0364;cken au&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich war.</p><lb/>
          <p>Dies veranlaßte eine na&#x0364;here Bekannt&#x017F;chaft, in der<lb/><hi rendition="#fr">Sa&#x0364;ugling</hi> bald <hi rendition="#fr">Marianens,</hi> vor der Frau von <hi rendition="#fr">Ho-<lb/>
henauf</hi> bisher &#x017F;o geheim gehaltene, Bibliothek von<lb/>
guten deut&#x017F;chen Bu&#x0364;chern entdeckte. Er er&#x017F;taunte nicht<lb/>
wenig, eine Franzo&#x0364;&#x017F;inn &#x017F;o aufmerk&#x017F;am auf die deut&#x017F;che<lb/>
Litteratur zu finden. Da er gewohnt war, alles was<lb/>
er &#x017F;ahe auf &#x017F;eine kleine Per&#x017F;on zuru&#x0364;ck zu fu&#x0364;hren, &#x017F;o<lb/>
fiel er &#x017F;chnell darauf, wie mo&#x0364;glich es &#x017F;ey, (wenn er, wie er<lb/>
zuverla&#x0364;ßig hoffte, unter den guten Dichtern Deut&#x017F;ch-<lb/>
lands einen Platz verdienen wu&#x0364;rde,) daß &#x017F;ein Ruhm<lb/>
auch au&#x017F;&#x017F;er Deut&#x017F;chland &#x017F;ich ausbreiten, daß &#x017F;eine Ge-<lb/>
dichte ins franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che u&#x0364;ber&#x017F;etzt, und von den Damen<lb/>
an allen Ho&#x0364;fen Europens gele&#x017F;en werden ko&#x0364;nnten. Er<lb/>
wußte es <hi rendition="#fr">Marianen</hi> Dank, daß &#x017F;ie zuer&#x017F;t eine &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;chmei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0218] gen, aus deren Winkeln beſtaͤndig ein paar matte rothgelbe Augaͤpfel liebaͤugelten, die kleinen Fraͤulein waren noch allzu jung, und die uͤbrigen weiblichen Ge- ſchoͤpfe waren unter der Notiz eines feinen Mannes wie Saͤugling. Hiezu kam, daß bey der erſten Un- terredung Mariane untruͤgliche Kennzeichen ihres guten Geſchmacks merken ließ, wodurch Saͤugling Herz bekam, ihr ein Gedicht vorzuleſen, welches Ma- riane mit ſo großem Beyfalle anhoͤrte, und deſſen Schoͤnheiten ſo fein hervorzuſuchen wußte, daß das kleine Maͤnnchen vor Entzuͤcken auſſer ſich war. Dies veranlaßte eine naͤhere Bekanntſchaft, in der Saͤugling bald Marianens, vor der Frau von Ho- henauf bisher ſo geheim gehaltene, Bibliothek von guten deutſchen Buͤchern entdeckte. Er erſtaunte nicht wenig, eine Franzoͤſinn ſo aufmerkſam auf die deutſche Litteratur zu finden. Da er gewohnt war, alles was er ſahe auf ſeine kleine Perſon zuruͤck zu fuͤhren, ſo fiel er ſchnell darauf, wie moͤglich es ſey, (wenn er, wie er zuverlaͤßig hoffte, unter den guten Dichtern Deutſch- lands einen Platz verdienen wuͤrde,) daß ſein Ruhm auch auſſer Deutſchland ſich ausbreiten, daß ſeine Ge- dichte ins franzoͤſiſche uͤberſetzt, und von den Damen an allen Hoͤfen Europens geleſen werden koͤnnten. Er wußte es Marianen Dank, daß ſie zuerſt eine ſo ſchmei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/218
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/218>, abgerufen am 22.11.2024.