Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.vor allen andern den Vorzug gab,) einen empfin- denden Blick auf ihn schießen ließ, so zerfloß er in sanften Empfindungen, überließ sich ganz einer zer- schmelzenden Zärtlichkeit, und war von dem Augen- blicke an, der Sclave der Schönheit, die, was er ge- dacht hatte, so gut zu empfinden wuste. Er holte aus der Begeisterung ihrer Augen, Stoff zu neuen Gedichten, und je mehr ihm diese gefielen, desto mehr gefiel ihm die Schöne die sie veranlaßt hatte und an die sie gemeiniglich gerichtet waren. Doch so zärtlich seine Liebe war, so pflegte sie doch Dieser kleine Mann schien freilich denjenigen, die pfinden
vor allen andern den Vorzug gab,) einen empfin- denden Blick auf ihn ſchießen ließ, ſo zerfloß er in ſanften Empfindungen, uͤberließ ſich ganz einer zer- ſchmelzenden Zaͤrtlichkeit, und war von dem Augen- blicke an, der Sclave der Schoͤnheit, die, was er ge- dacht hatte, ſo gut zu empfinden wuſte. Er holte aus der Begeiſterung ihrer Augen, Stoff zu neuen Gedichten, und je mehr ihm dieſe gefielen, deſto mehr gefiel ihm die Schoͤne die ſie veranlaßt hatte und an die ſie gemeiniglich gerichtet waren. Doch ſo zaͤrtlich ſeine Liebe war, ſo pflegte ſie doch Dieſer kleine Mann ſchien freilich denjenigen, die pfinden
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vor allen andern den Vorzug gab,) einen empfin-
denden Blick auf ihn ſchießen ließ, ſo zerfloß er in
ſanften Empfindungen, uͤberließ ſich ganz einer zer-
ſchmelzenden Zaͤrtlichkeit, und war von dem Augen-
blicke an, der Sclave der Schoͤnheit, die, was er ge-
dacht hatte, ſo gut zu empfinden wuſte. Er holte
aus der Begeiſterung ihrer Augen, Stoff zu neuen
Gedichten, und je mehr ihm dieſe gefielen, deſto mehr
gefiel ihm die Schoͤne die ſie veranlaßt hatte und an
die ſie gemeiniglich gerichtet waren.
Doch ſo zaͤrtlich ſeine Liebe war, ſo pflegte ſie doch
nicht allzulange zu dauren; nicht als ob er unbeſtaͤn-
dig geweſen waͤre, ſondern weil der Gegenſtand ſeiner
Zaͤrtlichkeit gemeiniglich, nach einiger Zeit, ſeine Ge-
dichte nicht mehr ſo feurig verlangte, und wohl gar
unvermerkt ſeine Geſellſchaft zu vermeiden ſuchte.
So bald er dies merkte, ward er ſehr traurig, klagte
den Waͤldern und den Fluren ſein Leiden, troͤſtete ſich
aber, wenn ihm ein zaͤrtliches Liedchen uͤber die Un-
treue ſeiner Chloris gelang, und fand gemeiniglich um
dieſe Zeit eine andere Zuhoͤrerin, mit der er eben den-
ſelben Roman von vorn an ſpielte.
Dieſer kleine Mann ſchien freilich denjenigen, die
nicht ganz ſeine zuckerſuͤßen Empfindungen nach em-
pfinden
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