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Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

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Dieser Herr Vetter ward auch, wie Mariane,
wenn keine Gesellschaft vorhanden war, zur Tafel
gezogen. Dagegen ließ er sich gefallen, allerhand
kleine Dienste zu leisten, Z. B. den Stuhl wegzurü-
cken, wenn seine gnädige Tante aufstand, den Pfropf-
zieher zu holen, wenn sein gnädiger Oheim trinken,
oder die Pfeife zu stopfen, wenn er nach Tische rau-
chen wollte, laut zu lachen, wenn er einen Schwank
erzählte, und den Augenblick stille zu schweigen, so
bald sie durch eine gerunzelte Stirne zu erkennen gab,
daß sie keinen Gefallen daran hätte. Er muste auf
jede Frage sogleich eine Antwort bereit haben, und wenn
die Antwort mißfiel, sich nicht verdrießen lassen, daß
ihm stillzuschweigen geboten, oder er vom Tische auf-
zustehen befehliget ward, und muste nicht sauer ausse-
hen, wenn er wieder erschien. Kurz, er hatte den Posten
manches Kammerjunkers an manchen fürstlichen Höfen,
einen Posten, der seines äusserlichen Glanzes wegen,
von denen die ihnen nicht haben können, so oft ge-
wünscht, und von denen die ihn bekleiden, so oft ver-
maledeyet wird. Einen Posten, für den, ob ihn gleich
so viele Deutsche besitzen, dennoch in der an Con-
versationsausdrücken armen deutschen Sprache noch
keine besondere Benennung zu finden ist, und für den
die in der Conversationssprache so reichen und scharf-

sinni-


Dieſer Herr Vetter ward auch, wie Mariane,
wenn keine Geſellſchaft vorhanden war, zur Tafel
gezogen. Dagegen ließ er ſich gefallen, allerhand
kleine Dienſte zu leiſten, Z. B. den Stuhl wegzuruͤ-
cken, wenn ſeine gnaͤdige Tante aufſtand, den Pfropf-
zieher zu holen, wenn ſein gnaͤdiger Oheim trinken,
oder die Pfeife zu ſtopfen, wenn er nach Tiſche rau-
chen wollte, laut zu lachen, wenn er einen Schwank
erzaͤhlte, und den Augenblick ſtille zu ſchweigen, ſo
bald ſie durch eine gerunzelte Stirne zu erkennen gab,
daß ſie keinen Gefallen daran haͤtte. Er muſte auf
jede Frage ſogleich eine Antwort bereit haben, und wenn
die Antwort mißfiel, ſich nicht verdrießen laſſen, daß
ihm ſtillzuſchweigen geboten, oder er vom Tiſche auf-
zuſtehen befehliget ward, und muſte nicht ſauer ausſe-
hen, wenn er wieder erſchien. Kurz, er hatte den Poſten
manches Kammerjunkers an manchen fuͤrſtlichen Hoͤfen,
einen Poſten, der ſeines aͤuſſerlichen Glanzes wegen,
von denen die ihnen nicht haben koͤnnen, ſo oft ge-
wuͤnſcht, und von denen die ihn bekleiden, ſo oft ver-
maledeyet wird. Einen Poſten, fuͤr den, ob ihn gleich
ſo viele Deutſche beſitzen, dennoch in der an Con-
verſationsausdruͤcken armen deutſchen Sprache noch
keine beſondere Benennung zu finden iſt, und fuͤr den
die in der Converſationsſprache ſo reichen und ſcharf-

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[171/0197] Dieſer Herr Vetter ward auch, wie Mariane, wenn keine Geſellſchaft vorhanden war, zur Tafel gezogen. Dagegen ließ er ſich gefallen, allerhand kleine Dienſte zu leiſten, Z. B. den Stuhl wegzuruͤ- cken, wenn ſeine gnaͤdige Tante aufſtand, den Pfropf- zieher zu holen, wenn ſein gnaͤdiger Oheim trinken, oder die Pfeife zu ſtopfen, wenn er nach Tiſche rau- chen wollte, laut zu lachen, wenn er einen Schwank erzaͤhlte, und den Augenblick ſtille zu ſchweigen, ſo bald ſie durch eine gerunzelte Stirne zu erkennen gab, daß ſie keinen Gefallen daran haͤtte. Er muſte auf jede Frage ſogleich eine Antwort bereit haben, und wenn die Antwort mißfiel, ſich nicht verdrießen laſſen, daß ihm ſtillzuſchweigen geboten, oder er vom Tiſche auf- zuſtehen befehliget ward, und muſte nicht ſauer ausſe- hen, wenn er wieder erſchien. Kurz, er hatte den Poſten manches Kammerjunkers an manchen fuͤrſtlichen Hoͤfen, einen Poſten, der ſeines aͤuſſerlichen Glanzes wegen, von denen die ihnen nicht haben koͤnnen, ſo oft ge- wuͤnſcht, und von denen die ihn bekleiden, ſo oft ver- maledeyet wird. Einen Poſten, fuͤr den, ob ihn gleich ſo viele Deutſche beſitzen, dennoch in der an Con- verſationsausdruͤcken armen deutſchen Sprache noch keine beſondere Benennung zu finden iſt, und fuͤr den die in der Converſationsſprache ſo reichen und ſcharf- ſinni-

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Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/197>, abgerufen am 23.11.2024.