Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773.

Bild:
<< vorherige Seite



er gewiß weiß, und das ist denn sehr viel, aber er
bedenkt oft nicht, was der Leser zu wissen verlange,
welches gemeiniglich sehr wenig ist. Hingegen der
Franzose, der nur wenig weiß, thut sich auch darauf
nichts zu gut, sondern erzählet nur das, was er meint,
daß seine Leser zu wissen verlangen könnten, macht sich
aber auch kein Bedenken, es ihnen zuweilen mit einer
kleinen Brühe von Erdichtung schmackhafter zu machen.

Wir die wir diese Beyspiele vor uns sehen, spiegeln
uns an denselben- Wir wissen von Sebaldus Auf-
enthalte in Leipzig sehr viele Umstände, die wir nicht
wie die deutschen Geschichtschreiber, samt und sonders
erzählen, sondern sie vielmehr mit einiger Verlängnung
unterdrücken wollen, weil wir nach reifer Ueberle-
gung gefunden haben, daß unsere Leser weder Nu-
tzen noch Vergnügen daraus schöpfen können. Hin-
gegen soll auch die Wahrheit das Wesen dieser Ge-
schichte
bleiben, und wir werden daher keinesweges,
gleich dem leidigen Voltaire, Umstände verstellen oder
erdichten, um unsere Erzählung intereßanter zu ma-
chen. Damit man aber nicht etwa glaube, wir wü-
sten nichts, weil wir nichts sagen, so wollen wir, um
das Gegentheil zu zeigen, aus der grossen Menge der
vor uns liegenden Nachrichten, einige bey Sebaldus
Aufenthalt in Leipzig vorgefallenen Abendgespräche
mittheilen.

Neben



er gewiß weiß, und das iſt denn ſehr viel, aber er
bedenkt oft nicht, was der Leſer zu wiſſen verlange,
welches gemeiniglich ſehr wenig iſt. Hingegen der
Franzoſe, der nur wenig weiß, thut ſich auch darauf
nichts zu gut, ſondern erzaͤhlet nur das, was er meint,
daß ſeine Leſer zu wiſſen verlangen koͤnnten, macht ſich
aber auch kein Bedenken, es ihnen zuweilen mit einer
kleinen Bruͤhe von Erdichtung ſchmackhafter zu machen.

Wir die wir dieſe Beyſpiele vor uns ſehen, ſpiegeln
uns an denſelben- Wir wiſſen von Sebaldus Auf-
enthalte in Leipzig ſehr viele Umſtaͤnde, die wir nicht
wie die deutſchen Geſchichtſchreiber, ſamt und ſonders
erzaͤhlen, ſondern ſie vielmehr mit einiger Verlaͤngnung
unterdruͤcken wollen, weil wir nach reifer Ueberle-
gung gefunden haben, daß unſere Leſer weder Nu-
tzen noch Vergnuͤgen daraus ſchoͤpfen koͤnnen. Hin-
gegen ſoll auch die Wahrheit das Weſen dieſer Ge-
ſchichte
bleiben, und wir werden daher keinesweges,
gleich dem leidigen Voltaire, Umſtaͤnde verſtellen oder
erdichten, um unſere Erzaͤhlung intereßanter zu ma-
chen. Damit man aber nicht etwa glaube, wir wuͤ-
ſten nichts, weil wir nichts ſagen, ſo wollen wir, um
das Gegentheil zu zeigen, aus der groſſen Menge der
vor uns liegenden Nachrichten, einige bey Sebaldus
Aufenthalt in Leipzig vorgefallenen Abendgeſpraͤche
mittheilen.

Neben
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0103" n="79"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
er gewiß weiß, und das i&#x017F;t denn <hi rendition="#fr">&#x017F;ehr viel,</hi> aber er<lb/>
bedenkt oft nicht, was der Le&#x017F;er zu wi&#x017F;&#x017F;en verlange,<lb/>
welches gemeiniglich <hi rendition="#fr">&#x017F;ehr wenig</hi> i&#x017F;t. Hingegen der<lb/>
Franzo&#x017F;e, der nur wenig weiß, thut &#x017F;ich auch darauf<lb/>
nichts zu gut, &#x017F;ondern erza&#x0364;hlet nur das, was er meint,<lb/>
daß &#x017F;eine Le&#x017F;er zu wi&#x017F;&#x017F;en verlangen ko&#x0364;nnten, macht &#x017F;ich<lb/>
aber auch kein Bedenken, es ihnen zuweilen mit einer<lb/>
kleinen Bru&#x0364;he von Erdichtung &#x017F;chmackhafter zu machen.</p><lb/>
          <p>Wir die wir die&#x017F;e Bey&#x017F;piele vor uns &#x017F;ehen, &#x017F;piegeln<lb/>
uns an den&#x017F;elben- Wir wi&#x017F;&#x017F;en von <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi> Auf-<lb/>
enthalte in Leipzig &#x017F;ehr viele Um&#x017F;ta&#x0364;nde, die wir nicht<lb/>
wie die deut&#x017F;chen Ge&#x017F;chicht&#x017F;chreiber, &#x017F;amt und &#x017F;onders<lb/>
erza&#x0364;hlen, &#x017F;ondern &#x017F;ie vielmehr mit einiger Verla&#x0364;ngnung<lb/>
unterdru&#x0364;cken wollen, weil wir nach reifer Ueberle-<lb/>
gung gefunden haben, daß un&#x017F;ere Le&#x017F;er weder Nu-<lb/>
tzen noch Vergnu&#x0364;gen daraus &#x017F;cho&#x0364;pfen ko&#x0364;nnen. Hin-<lb/>
gegen &#x017F;oll auch die Wahrheit <hi rendition="#fr">das We&#x017F;en die&#x017F;er Ge-<lb/>
&#x017F;chichte</hi> bleiben, und wir werden daher keinesweges,<lb/>
gleich dem leidigen <hi rendition="#fr">Voltaire,</hi> Um&#x017F;ta&#x0364;nde ver&#x017F;tellen oder<lb/>
erdichten, um un&#x017F;ere Erza&#x0364;hlung intereßanter zu ma-<lb/>
chen. Damit man aber nicht etwa glaube, wir wu&#x0364;-<lb/>
&#x017F;ten nichts, weil wir nichts &#x017F;agen, &#x017F;o wollen wir, um<lb/>
das Gegentheil zu zeigen, aus der gro&#x017F;&#x017F;en Menge der<lb/>
vor uns liegenden Nachrichten, einige bey <hi rendition="#fr">Sebaldus</hi><lb/>
Aufenthalt in Leipzig vorgefallenen <hi rendition="#fr">Abendge&#x017F;pra&#x0364;che</hi><lb/>
mittheilen.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Neben</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[79/0103] er gewiß weiß, und das iſt denn ſehr viel, aber er bedenkt oft nicht, was der Leſer zu wiſſen verlange, welches gemeiniglich ſehr wenig iſt. Hingegen der Franzoſe, der nur wenig weiß, thut ſich auch darauf nichts zu gut, ſondern erzaͤhlet nur das, was er meint, daß ſeine Leſer zu wiſſen verlangen koͤnnten, macht ſich aber auch kein Bedenken, es ihnen zuweilen mit einer kleinen Bruͤhe von Erdichtung ſchmackhafter zu machen. Wir die wir dieſe Beyſpiele vor uns ſehen, ſpiegeln uns an denſelben- Wir wiſſen von Sebaldus Auf- enthalte in Leipzig ſehr viele Umſtaͤnde, die wir nicht wie die deutſchen Geſchichtſchreiber, ſamt und ſonders erzaͤhlen, ſondern ſie vielmehr mit einiger Verlaͤngnung unterdruͤcken wollen, weil wir nach reifer Ueberle- gung gefunden haben, daß unſere Leſer weder Nu- tzen noch Vergnuͤgen daraus ſchoͤpfen koͤnnen. Hin- gegen ſoll auch die Wahrheit das Weſen dieſer Ge- ſchichte bleiben, und wir werden daher keinesweges, gleich dem leidigen Voltaire, Umſtaͤnde verſtellen oder erdichten, um unſere Erzaͤhlung intereßanter zu ma- chen. Damit man aber nicht etwa glaube, wir wuͤ- ſten nichts, weil wir nichts ſagen, ſo wollen wir, um das Gegentheil zu zeigen, aus der groſſen Menge der vor uns liegenden Nachrichten, einige bey Sebaldus Aufenthalt in Leipzig vorgefallenen Abendgeſpraͤche mittheilen. Neben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/103
Zitationshilfe: Nicolai, Friedrich: Das Leben und die Meinungen des Herrn Magister Sebaldus Nothanker. Bd. 1. Berlin u. a., 1773, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nicolai_nothanker01_1773/103>, abgerufen am 23.11.2024.