schon aus der Ferne, daß das Wasser im Per- sante-Strom durch einen hartstürmenden Nord- wind hoch aufgestauet war; und als ich zur Brücke gelangte, fand ich es dort in solcher Höhe ange- schwollen, daß der Prahm bis dicht unter die Balken der Brücke emporgehoben worden, und jeden Augenblick zu befürchten war, er möchte die ganze Brücke abtragen und davonführen, wenn er nicht ungesäumt unter derselben hinweg- gebracht werden könnte. Jm Weitergehen gieng ich (: wie ich es bei so etwas nicht lassen kann:) mit meinen Gedanken zu Rathe, auf was Art hier wohl zu helfen seyn möchte; wiewohl doch mein stiller Groll, je näher ich dem Rathhause kam, mir je mehr und mehr zuflüsterte: "Du bist ja doch wohl ein rechter Thor, dich mit solcherlei Anschlägen zu plagen! Hast du doch von all deinem Bestthun nichts, als Aerger, zum Lohn."
Als ich in die Rathsstube eintrat, war mein Verkläger schon vorhanden, etwas nüchterner zwar, als vorgestern, aber auch nur um so fer- tiger mit dem Maul; zumal da er bald wahr- nahm, daß die Herren ihm den Rücken steiften, indem sie mir, mit etwas unhöflichen Vorwürfen, das, was ich gethan, als eine Verachtung der Obrigkeit auslegten. Jch dagegen führte meine Sache nach der Wahrheit; es wurde hin und her gestritten, und der Herr Secretarius hatte seine volle Arbeit mit Protokolliren ... Siehe! Da flog unversehens die Thüre auf, und mit
ſchon aus der Ferne, daß das Waſſer im Per- ſante-Strom durch einen hartſtuͤrmenden Nord- wind hoch aufgeſtauet war; und als ich zur Bruͤcke gelangte, fand ich es dort in ſolcher Hoͤhe ange- ſchwollen, daß der Prahm bis dicht unter die Balken der Bruͤcke emporgehoben worden, und jeden Augenblick zu befuͤrchten war, er moͤchte die ganze Bruͤcke abtragen und davonfuͤhren, wenn er nicht ungeſaͤumt unter derſelben hinweg- gebracht werden koͤnnte. Jm Weitergehen gieng ich (: wie ich es bei ſo etwas nicht laſſen kann:) mit meinen Gedanken zu Rathe, auf was Art hier wohl zu helfen ſeyn moͤchte; wiewohl doch mein ſtiller Groll, je naͤher ich dem Rathhauſe kam, mir je mehr und mehr zufluͤſterte: „Du biſt ja doch wohl ein rechter Thor, dich mit ſolcherlei Anſchlaͤgen zu plagen! Haſt du doch von all deinem Beſtthun nichts, als Aerger, zum Lohn.‟
Als ich in die Rathsſtube eintrat, war mein Verklaͤger ſchon vorhanden, etwas nuͤchterner zwar, als vorgeſtern, aber auch nur um ſo fer- tiger mit dem Maul; zumal da er bald wahr- nahm, daß die Herren ihm den Ruͤcken ſteiften, indem ſie mir, mit etwas unhoͤflichen Vorwuͤrfen, das, was ich gethan, als eine Verachtung der Obrigkeit auslegten. Jch dagegen fuͤhrte meine Sache nach der Wahrheit; es wurde hin und her geſtritten, und der Herr Secretarius hatte ſeine volle Arbeit mit Protokolliren … Siehe! Da flog unverſehens die Thuͤre auf, und mit
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0027"n="11"/>ſchon aus der Ferne, daß das Waſſer im Per-<lb/>ſante-Strom durch einen hartſtuͤrmenden Nord-<lb/>
wind hoch aufgeſtauet war; und als ich zur Bruͤcke<lb/>
gelangte, fand ich es dort in ſolcher Hoͤhe ange-<lb/>ſchwollen, daß der Prahm bis dicht unter die<lb/>
Balken der Bruͤcke emporgehoben worden, und<lb/>
jeden Augenblick zu befuͤrchten war, er moͤchte<lb/>
die ganze Bruͤcke abtragen und davonfuͤhren,<lb/>
wenn er nicht ungeſaͤumt unter derſelben hinweg-<lb/>
gebracht werden koͤnnte. Jm Weitergehen gieng<lb/>
ich (: wie ich es bei ſo etwas nicht laſſen kann:)<lb/>
mit meinen Gedanken zu Rathe, auf was Art<lb/>
hier wohl zu helfen ſeyn moͤchte; wiewohl doch<lb/>
mein ſtiller Groll, je naͤher ich dem Rathhauſe<lb/>
kam, mir je mehr und mehr zufluͤſterte: „Du biſt<lb/>
ja doch wohl ein rechter Thor, dich mit ſolcherlei<lb/>
Anſchlaͤgen zu plagen! Haſt du doch von all<lb/>
deinem Beſtthun nichts, als Aerger, zum Lohn.‟</p><lb/><p>Als ich in die Rathsſtube eintrat, war mein<lb/>
Verklaͤger ſchon vorhanden, etwas nuͤchterner<lb/>
zwar, als vorgeſtern, aber auch nur um ſo fer-<lb/>
tiger mit dem Maul; zumal da er bald wahr-<lb/>
nahm, daß die Herren ihm den Ruͤcken ſteiften,<lb/>
indem ſie mir, mit etwas unhoͤflichen Vorwuͤrfen,<lb/>
das, was ich gethan, als eine Verachtung der<lb/>
Obrigkeit auslegten. Jch dagegen fuͤhrte meine<lb/>
Sache nach der Wahrheit; es wurde hin und<lb/>
her geſtritten, und der Herr Secretarius hatte<lb/>ſeine volle Arbeit mit Protokolliren … Siehe!<lb/>
Da flog unverſehens die Thuͤre auf, und mit<lb/></p></div></body></text></TEI>
[11/0027]
ſchon aus der Ferne, daß das Waſſer im Per-
ſante-Strom durch einen hartſtuͤrmenden Nord-
wind hoch aufgeſtauet war; und als ich zur Bruͤcke
gelangte, fand ich es dort in ſolcher Hoͤhe ange-
ſchwollen, daß der Prahm bis dicht unter die
Balken der Bruͤcke emporgehoben worden, und
jeden Augenblick zu befuͤrchten war, er moͤchte
die ganze Bruͤcke abtragen und davonfuͤhren,
wenn er nicht ungeſaͤumt unter derſelben hinweg-
gebracht werden koͤnnte. Jm Weitergehen gieng
ich (: wie ich es bei ſo etwas nicht laſſen kann:)
mit meinen Gedanken zu Rathe, auf was Art
hier wohl zu helfen ſeyn moͤchte; wiewohl doch
mein ſtiller Groll, je naͤher ich dem Rathhauſe
kam, mir je mehr und mehr zufluͤſterte: „Du biſt
ja doch wohl ein rechter Thor, dich mit ſolcherlei
Anſchlaͤgen zu plagen! Haſt du doch von all
deinem Beſtthun nichts, als Aerger, zum Lohn.‟
Als ich in die Rathsſtube eintrat, war mein
Verklaͤger ſchon vorhanden, etwas nuͤchterner
zwar, als vorgeſtern, aber auch nur um ſo fer-
tiger mit dem Maul; zumal da er bald wahr-
nahm, daß die Herren ihm den Ruͤcken ſteiften,
indem ſie mir, mit etwas unhoͤflichen Vorwuͤrfen,
das, was ich gethan, als eine Verachtung der
Obrigkeit auslegten. Jch dagegen fuͤhrte meine
Sache nach der Wahrheit; es wurde hin und
her geſtritten, und der Herr Secretarius hatte
ſeine volle Arbeit mit Protokolliren … Siehe!
Da flog unverſehens die Thuͤre auf, und mit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/27>, abgerufen am 07.01.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.