ihre alte Ankerstelle vor dem Hafen zurück- brachte.
Am andern Tage gab es ein vielfältiges Parlementiren um die Vergünstigung, unsre Tod- ten abzuholen und zu begraben: allein man mu- the mir nicht zu, eine Beschreibung von diesem, über Alles erbarmenswürdigen Anblick zu geben. Denke sich vielmehr ein Jeder selbst, wie es auf einem Platze von kaum 200 Schritten aussehen mußte, wo zwischen 4 und 500 Leichname neben und auf einander, und zum Theil auf's gräßlich- ste verstümmelt und zerrissen, umher lagen; so daß selbst der Freund oft des Freundes blutige und zerschmetterte Gestalt nicht mehr zu erkennen vermochte, und auch die rohesten Seelen sich von den hie und da noch zuckenden Gliedmaassen mit Entsetzen abwandten. Es war fürwahr eine trau- rige Pflicht, die wir als Todtengräber der Unsri- gen erfüllten!
So blieb denn leider! der Wolfsberg fortan für uns verloren: denn jeder neue Versuch würde die Zahl unsrer Streiter in einem Maasse ver- mindert haben, daß wir uns selbst zur nothdürf- tigsten Abwehr unfähig gemacht hätten: aber je- der neue Versuch, selbst wenn wir keine Opfer hätten sparen wollen, bot von Tage zu Tage auch immer mindere Hoffnung des Gelingens dar, da das Werk, unter den geschäftigen Hän- den der Belagerer, trotz unsrer Artillerie und ih- ren zerstörenden Wirkungen, täglich eine verstärkte
ihre alte Ankerſtelle vor dem Hafen zuruͤck- brachte.
Am andern Tage gab es ein vielfaͤltiges Parlementiren um die Verguͤnſtigung, unſre Tod- ten abzuholen und zu begraben: allein man mu- the mir nicht zu, eine Beſchreibung von dieſem, uͤber Alles erbarmenswuͤrdigen Anblick zu geben. Denke ſich vielmehr ein Jeder ſelbſt, wie es auf einem Platze von kaum 200 Schritten ausſehen mußte, wo zwiſchen 4 und 500 Leichname neben und auf einander, und zum Theil auf’s graͤßlich- ſte verſtuͤmmelt und zerriſſen, umher lagen; ſo daß ſelbſt der Freund oft des Freundes blutige und zerſchmetterte Geſtalt nicht mehr zu erkennen vermochte, und auch die roheſten Seelen ſich von den hie und da noch zuckenden Gliedmaaſſen mit Entſetzen abwandten. Es war fuͤrwahr eine trau- rige Pflicht, die wir als Todtengraͤber der Unſri- gen erfuͤllten!
So blieb denn leider! der Wolfsberg fortan fuͤr uns verloren: denn jeder neue Verſuch wuͤrde die Zahl unſrer Streiter in einem Maaſſe ver- mindert haben, daß wir uns ſelbſt zur nothduͤrf- tigſten Abwehr unfaͤhig gemacht haͤtten: aber je- der neue Verſuch, ſelbſt wenn wir keine Opfer haͤtten ſparen wollen, bot von Tage zu Tage auch immer mindere Hoffnung des Gelingens dar, da das Werk, unter den geſchaͤftigen Haͤn- den der Belagerer, trotz unſrer Artillerie und ih- ren zerſtoͤrenden Wirkungen, taͤglich eine verſtaͤrkte
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ihre alte Ankerſtelle vor dem Hafen zuruͤck-
brachte.
Am andern Tage gab es ein vielfaͤltiges
Parlementiren um die Verguͤnſtigung, unſre Tod-
ten abzuholen und zu begraben: allein man mu-
the mir nicht zu, eine Beſchreibung von dieſem,
uͤber Alles erbarmenswuͤrdigen Anblick zu geben.
Denke ſich vielmehr ein Jeder ſelbſt, wie es auf
einem Platze von kaum 200 Schritten ausſehen
mußte, wo zwiſchen 4 und 500 Leichname neben
und auf einander, und zum Theil auf’s graͤßlich-
ſte verſtuͤmmelt und zerriſſen, umher lagen; ſo
daß ſelbſt der Freund oft des Freundes blutige
und zerſchmetterte Geſtalt nicht mehr zu erkennen
vermochte, und auch die roheſten Seelen ſich von
den hie und da noch zuckenden Gliedmaaſſen mit
Entſetzen abwandten. Es war fuͤrwahr eine trau-
rige Pflicht, die wir als Todtengraͤber der Unſri-
gen erfuͤllten!
So blieb denn leider! der Wolfsberg fortan
fuͤr uns verloren: denn jeder neue Verſuch wuͤrde
die Zahl unſrer Streiter in einem Maaſſe ver-
mindert haben, daß wir uns ſelbſt zur nothduͤrf-
tigſten Abwehr unfaͤhig gemacht haͤtten: aber je-
der neue Verſuch, ſelbſt wenn wir keine Opfer
haͤtten ſparen wollen, bot von Tage zu Tage
auch immer mindere Hoffnung des Gelingens
dar, da das Werk, unter den geſchaͤftigen Haͤn-
den der Belagerer, trotz unſrer Artillerie und ih-
ren zerſtoͤrenden Wirkungen, taͤglich eine verſtaͤrkte
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/155>, abgerufen am 16.02.2025.
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