zogen; und alte Männer und Frauen, Kinder, Verlassene und Kranke füllten die Luft mit ihrem Geschrei und Wimmern. Mich jammerte dies Elend, und ich gieng zu Gneisenau, ihn auf- merksam darauf zu machen. Mein Vorschlag zu einstweiliger Unterbringung dieses Menschenhäuf- leins fand auch sofort das freundlichste Gehör. Es gab nemlich eine Kasematte unter dem Walle, links des Stockhauses, worinn zwar einige Ge- fangene aufbehalten wurden, die aber leicht im Stockhause selbst untergebracht werden konnten. Froh über die Erlaubniß, meine irrenden Schäf- lein in diese sichre Zuflucht einweisen zu dürfen, mußt' ich nun zunächst bemüht seyn, diesen Auf- enthalt von einem, mit nichts zu vergleichenden Schmutz zu säubern und zu einem erträglich ge- sunden Wohnort für Menschen wieder herzustel- len. Dies geschah, indem ich die feuerfeste Kase- matte mit zwei Schock Stroh anfüllen und dieses anzünden ließ; so daß Wände und Gewölbe rein ausgeglüht wurden und die dumpfe Feuchtigkeit sich verzehrte. Jn diese schwarze Höhle konnten nunmehr gegen 200 Heimlose aller Art und Ge- schlechts einquartiert werden; und bis zum Ende der Belagerung begehrte auch kein Einziger von dannen zu weichen.
Eine andre Noth that sich uns auf in dem Mangel klingender Scheidemünze, wodurch das tägliche Verkehr, besonders des gemeinen Solda- ten mit der Bürgerschaft, sehr erschwert und die
zogen; und alte Maͤnner und Frauen, Kinder, Verlaſſene und Kranke fuͤllten die Luft mit ihrem Geſchrei und Wimmern. Mich jammerte dies Elend, und ich gieng zu Gneiſenau, ihn auf- merkſam darauf zu machen. Mein Vorſchlag zu einſtweiliger Unterbringung dieſes Menſchenhaͤuf- leins fand auch ſofort das freundlichſte Gehoͤr. Es gab nemlich eine Kaſematte unter dem Walle, links des Stockhauſes, worinn zwar einige Ge- fangene aufbehalten wurden, die aber leicht im Stockhauſe ſelbſt untergebracht werden konnten. Froh uͤber die Erlaubniß, meine irrenden Schaͤf- lein in dieſe ſichre Zuflucht einweiſen zu duͤrfen, mußt’ ich nun zunaͤchſt bemuͤht ſeyn, dieſen Auf- enthalt von einem, mit nichts zu vergleichenden Schmutz zu ſaͤubern und zu einem ertraͤglich ge- ſunden Wohnort fuͤr Menſchen wieder herzuſtel- len. Dies geſchah, indem ich die feuerfeſte Kaſe- matte mit zwei Schock Stroh anfuͤllen und dieſes anzuͤnden ließ; ſo daß Waͤnde und Gewoͤlbe rein ausgegluͤht wurden und die dumpfe Feuchtigkeit ſich verzehrte. Jn dieſe ſchwarze Hoͤhle konnten nunmehr gegen 200 Heimloſe aller Art und Ge- ſchlechts einquartiert werden; und bis zum Ende der Belagerung begehrte auch kein Einziger von dannen zu weichen.
Eine andre Noth that ſich uns auf in dem Mangel klingender Scheidemuͤnze, wodurch das taͤgliche Verkehr, beſonders des gemeinen Solda- ten mit der Buͤrgerſchaft, ſehr erſchwert und die
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zogen; und alte Maͤnner und Frauen, Kinder,
Verlaſſene und Kranke fuͤllten die Luft mit ihrem
Geſchrei und Wimmern. Mich jammerte dies
Elend, und ich gieng zu Gneiſenau, ihn auf-
merkſam darauf zu machen. Mein Vorſchlag zu
einſtweiliger Unterbringung dieſes Menſchenhaͤuf-
leins fand auch ſofort das freundlichſte Gehoͤr.
Es gab nemlich eine Kaſematte unter dem Walle,
links des Stockhauſes, worinn zwar einige Ge-
fangene aufbehalten wurden, die aber leicht im
Stockhauſe ſelbſt untergebracht werden konnten.
Froh uͤber die Erlaubniß, meine irrenden Schaͤf-
lein in dieſe ſichre Zuflucht einweiſen zu duͤrfen,
mußt’ ich nun zunaͤchſt bemuͤht ſeyn, dieſen Auf-
enthalt von einem, mit nichts zu vergleichenden
Schmutz zu ſaͤubern und zu einem ertraͤglich ge-
ſunden Wohnort fuͤr Menſchen wieder herzuſtel-
len. Dies geſchah, indem ich die feuerfeſte Kaſe-
matte mit zwei Schock Stroh anfuͤllen und dieſes
anzuͤnden ließ; ſo daß Waͤnde und Gewoͤlbe rein
ausgegluͤht wurden und die dumpfe Feuchtigkeit
ſich verzehrte. Jn dieſe ſchwarze Hoͤhle konnten
nunmehr gegen 200 Heimloſe aller Art und Ge-
ſchlechts einquartiert werden; und bis zum Ende
der Belagerung begehrte auch kein Einziger von
dannen zu weichen.
Eine andre Noth that ſich uns auf in dem
Mangel klingender Scheidemuͤnze, wodurch das
taͤgliche Verkehr, beſonders des gemeinen Solda-
ten mit der Buͤrgerſchaft, ſehr erſchwert und die
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/140>, abgerufen am 16.07.2024.
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