Todten und Verwundeten aufnehmen zu können. Die Ueberrumpelung erfolgte mit gefälltem Ba- jonet im Sturmschritt; und es lag nur daran, daß die Schanze noch nicht geschlossen war, wenn es der darinn befindlichen Besatzung gelang, bis auf wenige Gefangene, zu entkommen. Wir selbst hatten ebensowenig einigen Verlust; erbeu- teten aber vieles Arbeitszeug, welches, nachdem es dazu benutzt worden, um den Aufwurf mög- lichst wieder zu zerstören, auf meine Wagen ge- laden und in die Festung geschafft wurde.
Unter unsern Gefangenen befand sich ein Mensch, den anfänglich Niemand in seinem ver- änderten Rocke erkannte, bis ich mich endlich auf seine, mir nur zuwohl bekannten Gesichtszüge besann. Es war der nemliche Unterofficier Rei- schard, der vor etwa sechs Wochen, als eines heimlichen Einverständnisses höchst verdächtig, zum Feinde übergelaufen war. Jch muß geste- hen, daß mir wegen dieses ehrlosen Buben seit- her nicht wenig bange gewesen war. Er kannte jeden Zugang zu unsrer Festung und verstand Einiges vom Fortifications-Wesen; daher er nicht nur bei uns zu dergleichen Arbeiten gebraucht worden war, sondern auch, als besonders orts- kundig, jetzt bei den Franzosen die Aufsicht bei Erbauung dieser Schanze am Sandwege geführt hatte.
Der plötzliche Anblick des Verräthers setzte mich in Wuth. Jch schrie den Grenadieren zu,
Todten und Verwundeten aufnehmen zu koͤnnen. Die Ueberrumpelung erfolgte mit gefaͤlltem Ba- jonet im Sturmſchritt; und es lag nur daran, daß die Schanze noch nicht geſchloſſen war, wenn es der darinn befindlichen Beſatzung gelang, bis auf wenige Gefangene, zu entkommen. Wir ſelbſt hatten ebenſowenig einigen Verluſt; erbeu- teten aber vieles Arbeitszeug, welches, nachdem es dazu benutzt worden, um den Aufwurf moͤg- lichſt wieder zu zerſtoͤren, auf meine Wagen ge- laden und in die Feſtung geſchafft wurde.
Unter unſern Gefangenen befand ſich ein Menſch, den anfaͤnglich Niemand in ſeinem ver- aͤnderten Rocke erkannte, bis ich mich endlich auf ſeine, mir nur zuwohl bekannten Geſichtszuͤge beſann. Es war der nemliche Unterofficier Rei- ſchard, der vor etwa ſechs Wochen, als eines heimlichen Einverſtaͤndniſſes hoͤchſt verdaͤchtig, zum Feinde uͤbergelaufen war. Jch muß geſte- hen, daß mir wegen dieſes ehrloſen Buben ſeit- her nicht wenig bange geweſen war. Er kannte jeden Zugang zu unſrer Feſtung und verſtand Einiges vom Fortifications-Weſen; daher er nicht nur bei uns zu dergleichen Arbeiten gebraucht worden war, ſondern auch, als beſonders orts- kundig, jetzt bei den Franzoſen die Aufſicht bei Erbauung dieſer Schanze am Sandwege gefuͤhrt hatte.
Der ploͤtzliche Anblick des Verraͤthers ſetzte mich in Wuth. Jch ſchrie den Grenadieren zu,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0125"n="109"/>
Todten und Verwundeten aufnehmen zu koͤnnen.<lb/>
Die Ueberrumpelung erfolgte mit gefaͤlltem Ba-<lb/>
jonet im Sturmſchritt; und es lag nur daran,<lb/>
daß die Schanze noch nicht geſchloſſen war, wenn<lb/>
es der darinn befindlichen Beſatzung gelang, bis<lb/>
auf wenige Gefangene, zu entkommen. Wir<lb/>ſelbſt hatten ebenſowenig einigen Verluſt; erbeu-<lb/>
teten aber vieles Arbeitszeug, welches, nachdem<lb/>
es dazu benutzt worden, um den Aufwurf moͤg-<lb/>
lichſt wieder zu zerſtoͤren, auf meine Wagen ge-<lb/>
laden und in die Feſtung geſchafft wurde.</p><lb/><p>Unter unſern Gefangenen befand ſich ein<lb/>
Menſch, den anfaͤnglich Niemand in ſeinem ver-<lb/>
aͤnderten Rocke erkannte, bis ich mich endlich auf<lb/>ſeine, mir nur zuwohl bekannten Geſichtszuͤge<lb/>
beſann. Es war der nemliche Unterofficier Rei-<lb/>ſchard, der vor etwa ſechs Wochen, als eines<lb/>
heimlichen Einverſtaͤndniſſes hoͤchſt verdaͤchtig,<lb/>
zum Feinde uͤbergelaufen war. Jch muß geſte-<lb/>
hen, daß mir wegen dieſes ehrloſen Buben ſeit-<lb/>
her nicht wenig bange geweſen war. Er kannte<lb/>
jeden Zugang zu unſrer Feſtung und verſtand<lb/>
Einiges vom Fortifications-Weſen; daher er nicht<lb/>
nur bei uns zu dergleichen Arbeiten gebraucht<lb/>
worden war, ſondern auch, als beſonders orts-<lb/>
kundig, jetzt bei den Franzoſen die Aufſicht bei<lb/>
Erbauung dieſer Schanze am Sandwege gefuͤhrt<lb/>
hatte.</p><lb/><p>Der ploͤtzliche Anblick des Verraͤthers ſetzte<lb/>
mich in Wuth. Jch ſchrie den Grenadieren zu,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[109/0125]
Todten und Verwundeten aufnehmen zu koͤnnen.
Die Ueberrumpelung erfolgte mit gefaͤlltem Ba-
jonet im Sturmſchritt; und es lag nur daran,
daß die Schanze noch nicht geſchloſſen war, wenn
es der darinn befindlichen Beſatzung gelang, bis
auf wenige Gefangene, zu entkommen. Wir
ſelbſt hatten ebenſowenig einigen Verluſt; erbeu-
teten aber vieles Arbeitszeug, welches, nachdem
es dazu benutzt worden, um den Aufwurf moͤg-
lichſt wieder zu zerſtoͤren, auf meine Wagen ge-
laden und in die Feſtung geſchafft wurde.
Unter unſern Gefangenen befand ſich ein
Menſch, den anfaͤnglich Niemand in ſeinem ver-
aͤnderten Rocke erkannte, bis ich mich endlich auf
ſeine, mir nur zuwohl bekannten Geſichtszuͤge
beſann. Es war der nemliche Unterofficier Rei-
ſchard, der vor etwa ſechs Wochen, als eines
heimlichen Einverſtaͤndniſſes hoͤchſt verdaͤchtig,
zum Feinde uͤbergelaufen war. Jch muß geſte-
hen, daß mir wegen dieſes ehrloſen Buben ſeit-
her nicht wenig bange geweſen war. Er kannte
jeden Zugang zu unſrer Feſtung und verſtand
Einiges vom Fortifications-Weſen; daher er nicht
nur bei uns zu dergleichen Arbeiten gebraucht
worden war, ſondern auch, als beſonders orts-
kundig, jetzt bei den Franzoſen die Aufſicht bei
Erbauung dieſer Schanze am Sandwege gefuͤhrt
hatte.
Der ploͤtzliche Anblick des Verraͤthers ſetzte
mich in Wuth. Jch ſchrie den Grenadieren zu,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 3. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1823, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung03_1823/125>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.