Dagegen drang nun der Mann, der mir so geflissen das Wort geredet hatte, in mich, nun auch sofort mit ihm zu Kapitain Sant- leven an Bord zu gehen, wohin er mich in seiner Schaluppe bringen wolle. Dies geschah auch, und indem wir nun vom Strande abstiessen und in der See waren, konnt' ich mich denn länger nicht entbrechen, an meinen freundlichen Begleiter die Bitte zu richten, daß er mir doch erklären wolle, woher er eine so genaue Kenntniß meiner Familie habe, und wie er überhaupt dazu komme, einen so warmen und freundschaft- lichen Antheil an mir zu nehmen.
"Nun," erwiederte er lächelnd -- "das wird Euch weiter nicht Wunder nehmen, wenn Jhr hören werdet, was ich Euch zu erzählen habe. Jm Jahr 1764 fuhr ich, als Steuermann, auf einem holländischen Schiffe und hatte, in der herbesten Jahres- zeit zwischen Weihnachten und Neujahr, das Mißgeschick, eine Meile von Colberg zu stranden und kaum das nackte Leben zu ber- gen. Des nächsten Tages führte Euern Vater der Zufall in das Dorf und die arm- selige Bauerhütte, wohin ich und meine übri- gen Unglücksgefährten uns kümmerlich ge- flüchtet hatten. Die hellen Thränen traten ihm bei unserm Anblick in's Auge. Jnson- derheit richtete er seine Aufmerksamkeit auf
Dagegen drang nun der Mann, der mir ſo gefliſſen das Wort geredet hatte, in mich, nun auch ſofort mit ihm zu Kapitain Sant- leven an Bord zu gehen, wohin er mich in ſeiner Schaluppe bringen wolle. Dies geſchah auch, und indem wir nun vom Strande abſtieſſen und in der See waren, konnt’ ich mich denn laͤnger nicht entbrechen, an meinen freundlichen Begleiter die Bitte zu richten, daß er mir doch erklaͤren wolle, woher er eine ſo genaue Kenntniß meiner Familie habe, und wie er uͤberhaupt dazu komme, einen ſo warmen und freundſchaft- lichen Antheil an mir zu nehmen.
„Nun,‟ erwiederte er laͤchelnd — „das wird Euch weiter nicht Wunder nehmen, wenn Jhr hoͤren werdet, was ich Euch zu erzaͤhlen habe. Jm Jahr 1764 fuhr ich, als Steuermann, auf einem hollaͤndiſchen Schiffe und hatte, in der herbeſten Jahres- zeit zwiſchen Weihnachten und Neujahr, das Mißgeſchick, eine Meile von Colberg zu ſtranden und kaum das nackte Leben zu ber- gen. Des naͤchſten Tages fuͤhrte Euern Vater der Zufall in das Dorf und die arm- ſelige Bauerhuͤtte, wohin ich und meine uͤbri- gen Ungluͤcksgefaͤhrten uns kuͤmmerlich ge- fluͤchtet hatten. Die hellen Thraͤnen traten ihm bei unſerm Anblick in’s Auge. Jnſon- derheit richtete er ſeine Aufmerkſamkeit auf
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Dagegen drang nun der Mann, der mir
ſo gefliſſen das Wort geredet hatte, in mich,
nun auch ſofort mit ihm zu Kapitain Sant-
leven an Bord zu gehen, wohin er mich
in ſeiner Schaluppe bringen wolle. Dies
geſchah auch, und indem wir nun vom
Strande abſtieſſen und in der See waren,
konnt’ ich mich denn laͤnger nicht entbrechen,
an meinen freundlichen Begleiter die Bitte
zu richten, daß er mir doch erklaͤren wolle,
woher er eine ſo genaue Kenntniß meiner
Familie habe, und wie er uͤberhaupt dazu
komme, einen ſo warmen und freundſchaft-
lichen Antheil an mir zu nehmen.
„Nun,‟ erwiederte er laͤchelnd — „das
wird Euch weiter nicht Wunder nehmen,
wenn Jhr hoͤren werdet, was ich Euch zu
erzaͤhlen habe. Jm Jahr 1764 fuhr ich,
als Steuermann, auf einem hollaͤndiſchen
Schiffe und hatte, in der herbeſten Jahres-
zeit zwiſchen Weihnachten und Neujahr, das
Mißgeſchick, eine Meile von Colberg zu
ſtranden und kaum das nackte Leben zu ber-
gen. Des naͤchſten Tages fuͤhrte Euern
Vater der Zufall in das Dorf und die arm-
ſelige Bauerhuͤtte, wohin ich und meine uͤbri-
gen Ungluͤcksgefaͤhrten uns kuͤmmerlich ge-
fluͤchtet hatten. Die hellen Thraͤnen traten
ihm bei unſerm Anblick in’s Auge. Jnſon-
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/76>, abgerufen am 24.11.2024.
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