Zipfeln dergestalt um sich, daß es in den nächsten Augenblicken ebenfalls in Lappen da- vongeführt wurde. Jch schrie; ich bat; ich fluchte meinem Volke entgegen, das oben auf den Masten saß, die Fäuste, wie brave Kerle zu rühren und das Segel unter die Raa zu bringen. Endlich stieg ich selbst in die Höhe, und überzeugte mich, daß es schlech- terdings unmöglich sey, diese Absicht zu er- reichen.
Jn diesem Augenblick ward geschrieen: "Brandung leewärts!" (d. i. unterm Winde) Das war die Minute der Entscheidung! Denn da das Schiff dem Ruder nicht mehr folgen mochte, so ward hier alle Kunst des Steuerns zu Schanden! Wir wurden mit sichtlichen Augen in unsern Untergang hin- eingetrieben, und standen nach wenig Au- genblicken auf einem Steinfelsen fest. So- gleich auch stürzte die stürmende See in furchtbaren Wogen über unser Schiff hinweg, daß der Schaum bis hoch an die Mastkörbe emporsprützte, indeß Jenes durch die gewal- tigen Stöße am Boden durchlöchert wurde und voll Wasser lief. So war denn an ein Wiederabkommen von dieser Klippe und an Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu ge- denken!
Dies Unglück traf uns am 11. Mai, Abends um 9 Uhr. Auf dem Verdeck konn-
Zipfeln dergeſtalt um ſich, daß es in den naͤchſten Augenblicken ebenfalls in Lappen da- vongefuͤhrt wurde. Jch ſchrie; ich bat; ich fluchte meinem Volke entgegen, das oben auf den Maſten ſaß, die Faͤuſte, wie brave Kerle zu ruͤhren und das Segel unter die Raa zu bringen. Endlich ſtieg ich ſelbſt in die Hoͤhe, und uͤberzeugte mich, daß es ſchlech- terdings unmoͤglich ſey, dieſe Abſicht zu er- reichen.
Jn dieſem Augenblick ward geſchrieen: „Brandung leewaͤrts!‟ (d. i. unterm Winde) Das war die Minute der Entſcheidung! Denn da das Schiff dem Ruder nicht mehr folgen mochte, ſo ward hier alle Kunſt des Steuerns zu Schanden! Wir wurden mit ſichtlichen Augen in unſern Untergang hin- eingetrieben, und ſtanden nach wenig Au- genblicken auf einem Steinfelſen feſt. So- gleich auch ſtuͤrzte die ſtuͤrmende See in furchtbaren Wogen uͤber unſer Schiff hinweg, daß der Schaum bis hoch an die Maſtkoͤrbe emporſpruͤtzte, indeß Jenes durch die gewal- tigen Stoͤße am Boden durchloͤchert wurde und voll Waſſer lief. So war denn an ein Wiederabkommen von dieſer Klippe und an Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu ge- denken!
Dies Ungluͤck traf uns am 11. Mai, Abends um 9 Uhr. Auf dem Verdeck konn-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0265"n="261"/>
Zipfeln dergeſtalt um ſich, daß es in den<lb/>
naͤchſten Augenblicken ebenfalls in Lappen da-<lb/>
vongefuͤhrt wurde. Jch ſchrie; ich bat; ich<lb/>
fluchte meinem Volke entgegen, das oben auf<lb/>
den Maſten ſaß, die Faͤuſte, wie brave Kerle<lb/>
zu ruͤhren und das Segel unter die Raa<lb/>
zu bringen. Endlich ſtieg ich ſelbſt in die<lb/>
Hoͤhe, und uͤberzeugte mich, daß es ſchlech-<lb/>
terdings unmoͤglich ſey, dieſe Abſicht zu er-<lb/>
reichen.</p><lb/><p>Jn dieſem Augenblick ward geſchrieen:<lb/>„Brandung leewaͤrts!‟ (d. i. unterm Winde)<lb/>
Das war die Minute der Entſcheidung!<lb/>
Denn da das Schiff dem Ruder nicht mehr<lb/>
folgen mochte, ſo ward hier alle Kunſt des<lb/>
Steuerns zu Schanden! Wir wurden mit<lb/>ſichtlichen Augen in unſern Untergang hin-<lb/>
eingetrieben, und ſtanden nach wenig Au-<lb/>
genblicken auf einem Steinfelſen feſt. So-<lb/>
gleich auch ſtuͤrzte die ſtuͤrmende See in<lb/>
furchtbaren Wogen uͤber unſer Schiff hinweg,<lb/>
daß der Schaum bis hoch an die Maſtkoͤrbe<lb/>
emporſpruͤtzte, indeß Jenes durch die gewal-<lb/>
tigen Stoͤße am Boden durchloͤchert wurde<lb/>
und voll Waſſer lief. So war denn an ein<lb/>
Wiederabkommen von dieſer Klippe und an<lb/>
Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu ge-<lb/>
denken!</p><lb/><p>Dies Ungluͤck traf uns am 11. Mai,<lb/>
Abends um 9 Uhr. Auf dem Verdeck konn-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[261/0265]
Zipfeln dergeſtalt um ſich, daß es in den
naͤchſten Augenblicken ebenfalls in Lappen da-
vongefuͤhrt wurde. Jch ſchrie; ich bat; ich
fluchte meinem Volke entgegen, das oben auf
den Maſten ſaß, die Faͤuſte, wie brave Kerle
zu ruͤhren und das Segel unter die Raa
zu bringen. Endlich ſtieg ich ſelbſt in die
Hoͤhe, und uͤberzeugte mich, daß es ſchlech-
terdings unmoͤglich ſey, dieſe Abſicht zu er-
reichen.
Jn dieſem Augenblick ward geſchrieen:
„Brandung leewaͤrts!‟ (d. i. unterm Winde)
Das war die Minute der Entſcheidung!
Denn da das Schiff dem Ruder nicht mehr
folgen mochte, ſo ward hier alle Kunſt des
Steuerns zu Schanden! Wir wurden mit
ſichtlichen Augen in unſern Untergang hin-
eingetrieben, und ſtanden nach wenig Au-
genblicken auf einem Steinfelſen feſt. So-
gleich auch ſtuͤrzte die ſtuͤrmende See in
furchtbaren Wogen uͤber unſer Schiff hinweg,
daß der Schaum bis hoch an die Maſtkoͤrbe
emporſpruͤtzte, indeß Jenes durch die gewal-
tigen Stoͤße am Boden durchloͤchert wurde
und voll Waſſer lief. So war denn an ein
Wiederabkommen von dieſer Klippe und an
Rettung des Schiffes gar nicht mehr zu ge-
denken!
Dies Ungluͤck traf uns am 11. Mai,
Abends um 9 Uhr. Auf dem Verdeck konn-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/265>, abgerufen am 15.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.