Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821.
Hierauf erzählte ich meinen Tischgenossen sinnlicher ergreifenden Anlaß zu diesem schwär-
merischen Gefühls-Ausbruche haben, als seine simple Versicherung, daß er ein Unterthan dieses gerechten Königs sey. -- Aber wie? Wenn sie sich zu dem Wahne hingerissen ge- funden hätte, sie sehe den anbetenswerthen Monarchen in eigner leibhafter Person vor sich? -- Wie und woher Dieser so plötzlich in die Straßen von Lissabon hineingeschneit seyn solle: -- darnach fragte die aufgeregte Phantasie in der Ueberraschung nicht. Schon Rettelbecks wenige, und wahrscheinlich noch unrichtig ausgesprochene Worte waren im Stande einen solchen Jrrthum zu erzeugen. Seine kleine Gestalt, seine Haltung und man- ches Andre, worinn das Auge beim flüchtigen Ueberblick eine flüchtige Aehnlichkeit mit dem Könige entdecken möchte, wurden vielleicht von Einigen mit der gegenüberstehenden Wachs-Figur verglichen und begünstigten den Mißverstand. Nur Einer, nur Zwei durften es denken und aussprechen "Er ist es!" -- und die überraschte Menge, gewohnt, überall Mirakel zu sehen und daran zu glauben, hatte kein Arges daraus, es mit Extase nach- zurufen. Die nächsten, sich herbei drängenden Haufen vernahmen wohl nur ein verwirrtes, aber Alles vergrösserndes Gerücht von der seltsamen Erscheinung, und schlossen sich, wenn auch nur aus Neugierde, in immer dichteren Schaaren an. Selbst Nettelbecks eignes exal- tirtes Benehmen, wie sehr es auch seinem Her- zen zur Ehre gereicht, war wenigstens nicht dazu gemacht, den Wahn, nachdem er einmal entstanden war, zu entkräften. Hierauf erzaͤhlte ich meinen Tiſchgenoſſen ſinnlicher ergreifenden Anlaß zu dieſem ſchwaͤr-
meriſchen Gefuͤhls-Ausbruche haben, als ſeine ſimple Verſicherung, daß er ein Unterthan dieſes gerechten Koͤnigs ſey. — Aber wie? Wenn ſie ſich zu dem Wahne hingeriſſen ge- funden haͤtte, ſie ſehe den anbetenswerthen Monarchen in eigner leibhafter Perſon vor ſich? — Wie und woher Dieſer ſo ploͤtzlich in die Straßen von Liſſabon hineingeſchneit ſeyn ſolle: — darnach fragte die aufgeregte Phantaſie in der Ueberraſchung nicht. Schon Rettelbecks wenige, und wahrſcheinlich noch unrichtig ausgeſprochene Worte waren im Stande einen ſolchen Jrrthum zu erzeugen. Seine kleine Geſtalt, ſeine Haltung und man- ches Andre, worinn das Auge beim fluͤchtigen Ueberblick eine fluͤchtige Aehnlichkeit mit dem Koͤnige entdecken moͤchte, wurden vielleicht von Einigen mit der gegenuͤberſtehenden Wachs-Figur verglichen und beguͤnſtigten den Mißverſtand. Nur Einer, nur Zwei durften es denken und ausſprechen „Er iſt es!‟ — und die uͤberraſchte Menge, gewohnt, uͤberall Mirakel zu ſehen und daran zu glauben, hatte kein Arges daraus, es mit Extaſe nach- zurufen. Die naͤchſten, ſich herbei draͤngenden Haufen vernahmen wohl nur ein verwirrtes, aber Alles vergroͤſſerndes Geruͤcht von der ſeltſamen Erſcheinung, und ſchloſſen ſich, wenn auch nur aus Neugierde, in immer dichteren Schaaren an. Selbſt Nettelbecks eignes exal- tirtes Benehmen, wie ſehr es auch ſeinem Her- zen zur Ehre gereicht, war wenigſtens nicht dazu gemacht, den Wahn, nachdem er einmal entſtanden war, zu entkraͤften. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0172" n="168"/> <p>Hierauf erzaͤhlte ich meinen Tiſchgenoſſen<lb/> das wunderſame Begebniß, welches ich ſo<lb/> eben erlebt hatte, und auch die erſte Veran-<lb/> laſſung dazu, die Arnoldſche Proceß-Geſchichte<lb/> ſo gut ſie mir bekannt war. Einer von den<lb/><note xml:id="seg2pn_1_2" prev="#seg2pn_1_1" place="foot" n="*)">ſinnlicher ergreifenden Anlaß zu dieſem ſchwaͤr-<lb/> meriſchen Gefuͤhls-Ausbruche haben, als ſeine<lb/> ſimple Verſicherung, daß er ein Unterthan<lb/> dieſes gerechten Koͤnigs ſey. — Aber wie?<lb/> Wenn ſie ſich zu dem Wahne hingeriſſen ge-<lb/> funden haͤtte, ſie ſehe den anbetenswerthen<lb/> Monarchen in eigner leibhafter Perſon vor<lb/> ſich? — Wie und woher Dieſer ſo ploͤtzlich<lb/> in die Straßen von Liſſabon hineingeſchneit<lb/> ſeyn ſolle: — darnach fragte die aufgeregte<lb/> Phantaſie in der Ueberraſchung nicht. Schon<lb/> Rettelbecks wenige, und wahrſcheinlich noch<lb/> unrichtig ausgeſprochene Worte waren im<lb/> Stande einen ſolchen Jrrthum zu erzeugen.<lb/> Seine kleine Geſtalt, ſeine Haltung und man-<lb/> ches Andre, worinn das Auge beim fluͤchtigen<lb/> Ueberblick eine fluͤchtige Aehnlichkeit mit dem<lb/> Koͤnige entdecken moͤchte, wurden vielleicht<lb/> von Einigen mit der gegenuͤberſtehenden<lb/> Wachs-Figur verglichen und beguͤnſtigten den<lb/> Mißverſtand. Nur Einer, nur Zwei durften<lb/> es denken und ausſprechen „Er iſt es!‟ —<lb/> und die uͤberraſchte Menge, gewohnt, uͤberall<lb/> Mirakel zu ſehen und daran zu glauben,<lb/> hatte kein Arges daraus, es mit Extaſe nach-<lb/> zurufen. Die naͤchſten, ſich herbei draͤngenden<lb/> Haufen vernahmen wohl nur ein verwirrtes,<lb/> aber Alles vergroͤſſerndes Geruͤcht von der<lb/> ſeltſamen Erſcheinung, und ſchloſſen ſich, wenn<lb/> auch nur aus Neugierde, in immer dichteren<lb/> Schaaren an. Selbſt Nettelbecks eignes exal-<lb/> tirtes Benehmen, wie ſehr es auch ſeinem Her-<lb/> zen zur Ehre gereicht, war wenigſtens nicht<lb/> dazu gemacht, den Wahn, nachdem er einmal<lb/> entſtanden war, zu entkraͤften.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [168/0172]
Hierauf erzaͤhlte ich meinen Tiſchgenoſſen
das wunderſame Begebniß, welches ich ſo
eben erlebt hatte, und auch die erſte Veran-
laſſung dazu, die Arnoldſche Proceß-Geſchichte
ſo gut ſie mir bekannt war. Einer von den
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*) ſinnlicher ergreifenden Anlaß zu dieſem ſchwaͤr-
meriſchen Gefuͤhls-Ausbruche haben, als ſeine
ſimple Verſicherung, daß er ein Unterthan
dieſes gerechten Koͤnigs ſey. — Aber wie?
Wenn ſie ſich zu dem Wahne hingeriſſen ge-
funden haͤtte, ſie ſehe den anbetenswerthen
Monarchen in eigner leibhafter Perſon vor
ſich? — Wie und woher Dieſer ſo ploͤtzlich
in die Straßen von Liſſabon hineingeſchneit
ſeyn ſolle: — darnach fragte die aufgeregte
Phantaſie in der Ueberraſchung nicht. Schon
Rettelbecks wenige, und wahrſcheinlich noch
unrichtig ausgeſprochene Worte waren im
Stande einen ſolchen Jrrthum zu erzeugen.
Seine kleine Geſtalt, ſeine Haltung und man-
ches Andre, worinn das Auge beim fluͤchtigen
Ueberblick eine fluͤchtige Aehnlichkeit mit dem
Koͤnige entdecken moͤchte, wurden vielleicht
von Einigen mit der gegenuͤberſtehenden
Wachs-Figur verglichen und beguͤnſtigten den
Mißverſtand. Nur Einer, nur Zwei durften
es denken und ausſprechen „Er iſt es!‟ —
und die uͤberraſchte Menge, gewohnt, uͤberall
Mirakel zu ſehen und daran zu glauben,
hatte kein Arges daraus, es mit Extaſe nach-
zurufen. Die naͤchſten, ſich herbei draͤngenden
Haufen vernahmen wohl nur ein verwirrtes,
aber Alles vergroͤſſerndes Geruͤcht von der
ſeltſamen Erſcheinung, und ſchloſſen ſich, wenn
auch nur aus Neugierde, in immer dichteren
Schaaren an. Selbſt Nettelbecks eignes exal-
tirtes Benehmen, wie ſehr es auch ſeinem Her-
zen zur Ehre gereicht, war wenigſtens nicht
dazu gemacht, den Wahn, nachdem er einmal
entſtanden war, zu entkraͤften.
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| Zitationshilfe: | Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/172>, abgerufen am 25.11.2024. |
