Verwunderung, die Preussische Flagge lustig im Winde wehte.
Nun mußte ich doch natürlich genauer zusehen, was es hiermit für eine Bewand- niß hatte. Jch drängte mich mit Mühe durch den dicksten Haufen, bis ich am Eingang des Zeltes stand, zu dessen beiden Seiten ein paar baumhohe Preussische Grenadiere in ihren hohen blanken Spitzmützen stattlich schilderten. Fast hätt' ich Lust gehabt, die braven Landsleute hier unter fremden Him- mel treuherzig zu begrüßen, als ich noch zu rechter Zeit inne ward, daß mich ein paar Wachspuppen getäuscht hatten, und daß ich hier wahrscheinlich am Eingange eines Wachs- Figuren-Kabinettes stand, dem diese mar- tialischen Gesichter nur zu einem Aushänge- Schilde dienten. Jndeß, meine Neugier war nun einmal geweckt; und ich beschloß, hin- einzutreten: denn hinter solchen Thürhütern, dacht' ich, müsse wohl noch mehr stecken, woran ein Preussisches Herz sich erlaben könne.
Und so war es auch wirklich! So getreu und natürlich, als ob er lebte und schwebte, stand mitten inne der alte König Friedrich, mit einem Richterschwerdt in der Hand, und vor ihm lag ein Mann mit Weib und Kin- dern auf den Knieen, die um Gerechtigkeit zu flehen schienen. Jhm zur Rechten war eine große Wage angebracht, in deren Einen
Verwunderung, die Preuſſiſche Flagge luſtig im Winde wehte.
Nun mußte ich doch natuͤrlich genauer zuſehen, was es hiermit fuͤr eine Bewand- niß hatte. Jch draͤngte mich mit Muͤhe durch den dickſten Haufen, bis ich am Eingang des Zeltes ſtand, zu deſſen beiden Seiten ein paar baumhohe Preuſſiſche Grenadiere in ihren hohen blanken Spitzmuͤtzen ſtattlich ſchilderten. Faſt haͤtt’ ich Luſt gehabt, die braven Landsleute hier unter fremden Him- mel treuherzig zu begruͤßen, als ich noch zu rechter Zeit inne ward, daß mich ein paar Wachspuppen getaͤuſcht hatten, und daß ich hier wahrſcheinlich am Eingange eines Wachs- Figuren-Kabinettes ſtand, dem dieſe mar- tialiſchen Geſichter nur zu einem Aushaͤnge- Schilde dienten. Jndeß, meine Neugier war nun einmal geweckt; und ich beſchloß, hin- einzutreten: denn hinter ſolchen Thuͤrhuͤtern, dacht’ ich, muͤſſe wohl noch mehr ſtecken, woran ein Preuſſiſches Herz ſich erlaben koͤnne.
Und ſo war es auch wirklich! So getreu und natuͤrlich, als ob er lebte und ſchwebte, ſtand mitten inne der alte Koͤnig Friedrich, mit einem Richterſchwerdt in der Hand, und vor ihm lag ein Mann mit Weib und Kin- dern auf den Knieen, die um Gerechtigkeit zu flehen ſchienen. Jhm zur Rechten war eine große Wage angebracht, in deren Einen
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Verwunderung, die Preuſſiſche Flagge
luſtig im Winde wehte.
Nun mußte ich doch natuͤrlich genauer
zuſehen, was es hiermit fuͤr eine Bewand-
niß hatte. Jch draͤngte mich mit Muͤhe durch
den dickſten Haufen, bis ich am Eingang
des Zeltes ſtand, zu deſſen beiden Seiten
ein paar baumhohe Preuſſiſche Grenadiere in
ihren hohen blanken Spitzmuͤtzen ſtattlich
ſchilderten. Faſt haͤtt’ ich Luſt gehabt, die
braven Landsleute hier unter fremden Him-
mel treuherzig zu begruͤßen, als ich noch zu
rechter Zeit inne ward, daß mich ein paar
Wachspuppen getaͤuſcht hatten, und daß ich
hier wahrſcheinlich am Eingange eines Wachs-
Figuren-Kabinettes ſtand, dem dieſe mar-
tialiſchen Geſichter nur zu einem Aushaͤnge-
Schilde dienten. Jndeß, meine Neugier war
nun einmal geweckt; und ich beſchloß, hin-
einzutreten: denn hinter ſolchen Thuͤrhuͤtern,
dacht’ ich, muͤſſe wohl noch mehr ſtecken,
woran ein Preuſſiſches Herz ſich erlaben koͤnne.
Und ſo war es auch wirklich! So getreu
und natuͤrlich, als ob er lebte und ſchwebte,
ſtand mitten inne der alte Koͤnig Friedrich,
mit einem Richterſchwerdt in der Hand, und
vor ihm lag ein Mann mit Weib und Kin-
dern auf den Knieen, die um Gerechtigkeit
zu flehen ſchienen. Jhm zur Rechten war
eine große Wage angebracht, in deren Einen
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Nettelbeck, Joachim: Joachim Nettelbeck, Bürger zu Colberg. Bd. 2. Hrsg. v. Johann Christian Ludwig Haken. Leipzig, 1821, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nettelbeck_lebensbeschreibung02_1821/168>, abgerufen am 16.07.2024.
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